Oma spielt Christkind

Über die Leere und Lehre der Ungerechtigkeit

Eine Kärntner Pensionistin zog aus ihrer leidvollen, persönlichen „Leere“ eine Lehre fürs Leben. Die 68-Jährige organisiert seit vielen Jahren Präsente für Kinder, die ohne ihren Einsatz keine Geschenke unterm Weihnachtsbaum vorfinden würden. Warum Johanna Karl jedes Jahr aufs Neue zum „Christkind auf Erden“ wird, erzählt sie hier. 

Wenn Johanna Karl in Klagenfurt Schuhgeschäft um Schuhgeschäft abklappert, dann nicht, um sich über aktuelle Modetrends oder neue Kollektionen zu informieren - im Gegenteil. Die im Laden ausgestellten Stiefeln und Winterboots interessieren die rüstige Kärntnerin wenig. Es ist kartoniertes Verpackungsmaterial, auf welches es die 68-Jährige abgesehen hat. 

Johanna - die Janna genannt werden und ihr Gesicht nicht zeigen will - ist trotz ihres Alters eine agile Frau voller Tatendrang. Aus einer Bergbauernfamilie mit zehn Kindern stammend ist sie es gewohnt, anzupacken. Müßiggang ist für sie ein Fremdwort. So auch in den stillen, besinnlichen Monaten. Für die pensionierte Volksschullehrerin die schönste Zeit des ganzen Jahres. Ihre Bemühungen erreichen nun ihren Höhepunkt.

Große Freude in kleinen Schuhkartons
Das ganze Jahr hat Janna mit unermüdlichem Einsatz auf eigene Faust Spenden lukriert, auf Flohmärkten gestöbert, Spielzeug gekauft und teils monatelang bei sich zu Hause verwahrt. In den kommenden Wochen werden die Güter ihrer Bestimmung zugeführt. Denn alljährlich verschickt Janna Hunderte Kartons mit Geschenken im Rahmen der Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“ an bedürftige Kinder weltweit.

Zweizimmerwohnung wird zur „Christkindlwerkstatt“ 
Ihre kleine Zweizimmerwohnung wird in der Vorweihnachtszeit zur „Christkindlwerkstatt“. „Jedes Jahr frage ich mich, wie und wo ich die vielen Spenden unterbringen soll, aber irgendwie ist es noch immer gegangen“, berichtet die Kinderlose, die regelmäßig in Spielzeuggeschäften, in Vereinen und Kindergärten vorspricht, um Menschen und Spenden für ihre Zwecke zu gewinnen. Mit Erfolg. Wenn am Boden kein Platz mehr dafür ist, liegen Stofftiere, Malbücher und Spielzeug auf dem Bett.

Ehebett wird zur Lagerstatt 
Jannas Mann ist vor drei Jahren gestorben, Nachwuchs wollten beide nicht. Die „Buben und Mäderl“, die sie in ihrer Schule früher unterrichtet habe, seien wie eigene Kinder gewesen. Nur Pudel „Aris“ und Hauskatze „Terry“ leisten der Rentnerin Gesellschaft.

In ihrer kleinen Wohnung stehen eine dicke Mappe Unterlagen, säckeweise Spielzeug und ein großer Haufen gestapelter Schuhkartons für die diesjährige Sammelaktion bereit. Ihre Kartons werden, gemeinsam mit etwa 400.000 anderen Päckchen, in Kürze auf die Reise nach Bulgarien, Litauen, Rumänien, Polen und die Ukraine geschickt. Johanna hat in zehn Jahren über 1800 Päckchen beigesteuert.

Der Wille zu helfen lässt Alter in den Hintergrund rücken
„Dieses Hobby gibt mir Sinn“, erklärt die 1954 in Hermagor Geborene, die der Ausbildung wegen mit 17 Jahren in die steirische Hauptstadt zog und sich erst 20 Jahre später wieder in Kärnten niederließ. Als Kind, das in der Nachkriegszeit geboren wurde, war ihr Leben noch von Entbehrungen gekennzeichnet. Zehn Kinder hätten die Eltern „irgendwie“ großgezogen. Ein Dach über dem Kopf und karge, warme Mahlzeiten hätte es für sie gegeben. „Und harte Arbeit am Bauernhof, jeden Tag des Jahres“, so Janna. Sonst nichts.

„Weihnachten war kaum der Rede wert. Wenn es einen kleinen Baum gab, hing vielleicht Lebkuchen daran.“ Darunter seien kaum jemals Geschenke gelegen: „Vielleicht ein Stück Schokolade, das unsere Eltern gemeinsam mit den Nachbarn für uns Kinder zusammengespart hatten. Oder eine Semmel zum Nachtmahl nach dem Weihnachtsgottesdienst. Dafür bin ich heute noch unendlich dankbar.“ Eine prägende Erfahrung sei es gewesen. Heute würde sie die damalige Leere als Lehre sehen. Anderen Kindern aber sollen es trotzdem besser haben als sie. "Vor allem in dieser Welt des Überflusses, in der wenige viel und manche gar nichts" hätten, so Janna.

Über „Weihnachten im Schuhkarton“

„Weihnachten im Schuhkarton“ ist Teil der internationalen Aktion „Operation Christmas Child“ der christlichen Hilfsorganisation Samaritan‘s Purse. Ziel der Aktion ist es, bedürftigen Kindern weltweit mit Geschenken im Schuhkarton zu erfreuen. Seit 1993 wurden im Rahmen der Aktion über 198 Millionen Geschenkkartons auf die Reise zu Kindern in mehr als 170 Ländern und Regionen gebracht.

Ein Jahr im Dienst der Kinder 
Der Gedanke, dass es da draußen Kinder gibt, die unterm Weihnachtsbaum kein Geschenk vorfinden, in einer Gesellschaft des Überflusses, betrübt sie sehr. Janna selbst hat zahlreiche Neffen und Nichten sowie drei Patenkinder, die sich jedes Jahr über kleine Geschenke freuen dürfen. „Manche Kinder haben gar nichts oder nur sehr wenig, während andere neues Spielzeug schon nicht mehr zu schätzen wissen, weil sie viel zu viel haben. Das finde ich ungerecht. Und das will ich ändern - oder zumindest dabei helfen!“.

Solange die Gesundheit mitmacht, will sie weitermachen. Denn mit 68 Jahren ficht Johanna, deren Name passenderweise „Die Gütige“ bedeutet, so manchen Kampf gegen die Beschwernisse des Alters. Noch gewinnen Beharrlichkeit und der Wille zu helfen, über den doch schon fragilen Körper. Bis dahin wird man sie weiterhin auf Klagenfurts Straßen sehen, oft auch vor einem Schuhgeschäft. Schon kurz nach Silvester beginnt sie mit den Vorbereitungen aufs Neue. Sie ist eben ein „Christkind“ im Dienst der Kinder - und eine Botschafterin, die gegen die Leere im Überfluss kämpft.

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