PASSIONSSPIEL THIERSEE

Leben, Sterben und Auferstehung in neuer Fassung

Tirol
13.06.2022 17:00

Seit dem 12. Juni - und noch bis Oktober - ist, so wie alle sechs Jahre, Passions-Spielzeit in Thiersee. Insgesamt rund 250 Bewohner der Unterländer Gemeinde opfern für Monate ihre Freizeit und den Urlaub, damit sie um „Gottes Lohn“ den Schwur ihrer Vorfahren weiterführen. Heuer erstmals in einer runderneuerten Inszenierung, die man ihnen so nicht zugetraut hätte.

Um von den Kämpfen im Jahr 1799 verschont zu bleiben, gelobte die Bevölkerung von Thiersee, dass sie zum Dank alljährlich ein Mysterienspiel aufführen würden. Wie durch ein Wunder blieben sie dann im malerischen Hochtal über Kufstein auch verschont. Diesem aus Angst und Not getätigten Schwur sind die Thierseer bis heute treu geblieben.

Jedoch wurde aus dem jährlichen Passionsspiel im Laufe der Zeit ein Zyklus, in welchem nun alle sechs Jahre gespielt wird. Im Zuge dieser Periode finden heuer von Juni bis Oktober die Passionsspiele statt, deren Premiere am Sonntag stattfand.

Eine moderne, sehr familientaugliche Passion
Wir bleiben nun kurz im Passionsspielhaus, um eine essenzielle Novität des diesjährigen Mysterienspiels zu erkunden. In dem 1926 erbauten Gebäude findet sich mit dem aus vier Spitzbögen (Stefansbögen) bestehenden Deckengewölbe eine ganz besondere architektonische Meisterleistung, die als Vorlage für die Umrandung der Bühne dient. Die Bühne selbst weist die Form des Davidsterns auf. Regisseur Norbert Mladek gibt damit einen Hinweis auf die Zusammenhänge zwischen Christen- und Judentum. Aber nicht nur das aufwendige Bühnenbild ist neu – die gesamte Passion Thiersee ist einfach nicht mehr wiederzuerkennen. Sie wurde nicht nur dank eines ausgeklügelten Lichtdesigns sehr bunt, sondern auch inhaltlich modern, verständlich und äußerst familienfreundlich.

Wobei man nicht behaupten kann, dass ihr tieferer Sinn - nicht ein Theater, sondern ein Mysterienspiel zu sein - nicht verloren ging. Den knapp 100 Jahre alten Text hat man durch die neue Fassung des Südtiroler Schriftstellers Toni Bernhart ersetzt. Bernharts Text geht im Laufe der gut 150 Minuten dauernden Inszenierung eine Symbiose mit der von Josef Pirchmoser komponierten Musik ein, die von 36 Musikern und dem 48 Stimmen starken Chor dargebracht wird.

Ein hoher Anteil an jungen Passions-Darstellern
Rund 150 Thierseer in farblich abgestimmten Kostümen bevölkern in größeren und kleineren Rollen die Bühne. Wobei man überrascht zur Kenntnis nimmt, dass über die Hälfte Kinder und Jugendliche sind. Waren es 2016 noch zwei Jesu, die abwechselnd spielten, sind es heuer drei. Christian Juffinger spielt die Rolle des „menschlichen“ Heilands bis zu dessen Tod am Kreuz, sein Cousin Michael Juffinger gibt den göttlichen, den auferstandenen Christus, und Leo Lamprecht (14) gibt sehr überzeugend das „schwierige“ Kind Jesu. Erwähnenswert ist bei dieser Inszenierung der Teil des Neuen Testaments, in welchem Jesus geschlagen, gefoltert und ans Kreuz genagelt wird. Dieser Part wird oft gerne fast schon ein wenig voyeuristisch und sehr brutal im Schauspiel dargestellt.

Handlung geht weit über Kreuzigung hinaus
Nicht so in der aktuellen Thierseer Fassung. Hier gibt es keine Brutalität, hier werden die Gewalt durch blutrotes Bühnenlicht und die Peitschenschläge durch Stroboskop-Blitze verdeutlicht. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen uns durchgehend Bilder der realen Grausamkeit des Krieges erreichen, eine Wohltat. Das Böse hat viele Gesichter und ist zentraler Gegenstand der Religions- und Kulturwissenschaften. Das Buch der Bücher spricht aber nicht über ein allgemeines, abstraktes Böses, sondern personifiziert es und nennt es mit Namen: Satan. Und dieser ist gleich in zweimaliger Ausführung Teil der Inszenierung und in dieser durchgehend im Vorder- wie im Hintergrund so gut wie omnipräsent.

Die Kreuzigung stellt auch nicht das Ende dar, sondern in Thiersee wagt man sich noch weiter hinein in die Heilsgeschichte und zeigt Jesu, der das „ewige Leben“ nicht nur verspricht, sondern es auch umsetzt. Ergreifend die Schlussszene, in welcher alte und junge Thierseer beiderlei Geschlechts mit roten Seilen zwischen den Bühnen-Spitzbögen ein Netz weben, welches durch seine rote Farbe verdeutlicht: „Ich bin für Euch gestorben, damit ihr leben könnt!“

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