Irritation ist seit geraumer Zeit eines der wichtigsten Markenzeichen bei BMW. Kein Wunder, dass die neue, höchste Trumpfkarte im Blatt der Münchner auch dieses Stilmittel auf die Spitze treibt: Der neue 7er-BMW, der auch zugleich der elektrisch angetriebene i7 ist, tritt mit einem völlig neuen Gesicht und versteckten Scheinwerfern an. Doch was im ersten Moment für Verstörung sorgt, löst bald erstaunliche optische Befriedigung aus - und öffnet den Blick auf ein durch und durch faszinierendes Auto.
Der neue 7er in Kürze: Er wird exklusiv in Dingolfing gebaut, und zwar als rein elektrischer i7, als Sechszylinder-Plug-in-Hybrid sowie als Verbrenner mit Diesel- oder Benzinmotor. Von den Verbrennern bekommen wir in Europa nur den Sechszylinder-Mildhybrid-Diesel; Sechs- und Achtzylinder-Benziner bleiben uns vorenthalten. Alle haben dieselbe Plattform. Anders als Mercedes beim EQS ordnet BMW bei der Gestaltung der Karosserie auch beim i7 nicht alles der Aerodynamik unter. Das hat viele Vorteile (nicht nur optische), bringt aber auch einen cW-Wert von 0,24 statt 0,20.
Das Design braucht einen zweiten Blick
Wer hätte gedacht, dass die großen Nieren nicht das am meisten polarisierenden Element an der Front des neuen 7er-BMWs sein würde? Sie treten trotz ihrer Auffälligkeit beinahe in den Hintergrund, weil die charakteristischen Scheinwerfer aus dem Antlitz verschwunden sind. Genauer gesagt sind sie zusammengeschrumpft auf Spaltbreite und stellen nur noch das LED-Tagfahrlicht bzw. die Blinker dar. Allerdings in Doppelscheinwerfer-Optik und optional mit Swarovski-Kristallen.
Die Hauptscheinwerfer liegen hinter einer planen Glasfläche darunter und treten erst in Erscheinung, wenn sie in Betrieb genommen werden. Vor allem bei einer dunklen Lackierung sind sie praktisch nicht zu erkennen und regelrecht versteckt.
Anders als beim Vorgänger sind die Nieren beim neuen 7er harmonisch in die Front integriert, sämtliche Linien scheinen in sie hineinzuführen. Daher wird es auch für Traditionalisten schwer, echte Kritik am Design zu üben. Ja, diese hohen Tagfahrlichter haben wir schon bei Jeep Cherokee (der sie ganz schnell wieder verloren hat), Hyundai Kona, Citroen C5 X usw. gesehen, doch in Verbindung mit BMWs klassischer Shark Nose, einer gelungen gezeichneten Front und zusätzlich mit dem leuchtenden Nierenrahmen wächst der Eindruck von Stimmigkeit, je länger man den Wagen betrachtet. In Realität wahrscheinlich noch mehr als auf Fotos.
Das Hinterteil ist deutlich klassischer, aber doch grundlegend anders als beim Vorgänger, vor allem weil die Dachlinie sehr lang sehr hoch bleibt, damit man leicht einsteigen kann. Daran kann man schon erkennen: BMW setzt hier viel mehr auf Luxus als auf einen dynamischen Auftritt. Dass der Stoßfängerbereich hinten noch immer so klobig ist, liegt vor allem an Versicherungsregularien: „Wäre das flacher gestaltet, würde die Versicherung rund 10.000 Euro mehr pro Jahr kosten. Rolls Royce nimmt auf so etwas keine Rücksicht, ein BMW-Kunde ist das nicht bereit zu zahlen“, erläuterte ein Sprecher bei der Vorabpräsentation in München.
Ein Riesentrumm Auto
BMW spart sich eine eigene Langversion, macht stattdessen quasi die Langversion zum Standard. Eine logische Entscheidung, weil vom Radstand auch die mögliche Größe der Batterie abhängt (zwischen den Achsen im Boden untergebracht). Dieser misst mit 3,22 Meter eine Spur mehr als bei der Langversion des Vorgängers. Das ganze Auto streckt sich auf 5,39 Meter und wächst um je 5 Zentimeter auf 1,95 Meter Breite und 1,54 Meter Höhe. Die Räder messen serienmäßig mindestens 19 Zoll, optional sind sie bis zu 22 Zoll groß.
Naheliegend, dass das Platzangebot im Innenraum mehr als opulent ist. Und Im Gegensatz zum EQS muss man hier trotz des Akkus unter den Füßen auch auf den Rücksitzen keine Abstriche machen.
Ein rollendes Autokino
Aushängeschild im neuen Innenraum ist der optionale „Theater Screen“ für die Passagiere in Reihe zwei. Dieses 31,3-Zoll-Touchdisplay im 32:9-Format mit 8K-Auflösung verdeckt bei Nichtgebrauch zwar das serienmäßige Glaspanoramadach (das optional von LED-Lichtfäden „durchwirkt“ ist), bietet aber nach Herunterklappen ein Kinoerlebnis der Sonderklasse: Amazon Fire TV ist integriert und für 4K-Streaming vorgesehen. Der Bowers-&-Wilkins-Sound schlägt optional wahrscheinlich selbst ein echtes Kino, mit 1965 Watt, Shakern in den Sitzen und 36 Lautsprechern, davon vier im Dachhimmel (Serie: 18 Lautsprecher, 655 Watt).
Bedient werden kann das Bordentertainment über 5,5-Zoll-Screens in den hinteren Türen, die auch Licht, Sitzposition und Telefon steuern. Ja, erstmals kann man auch auf dem Rücksitz über die Bordanlage telefonieren.
Das höchste der Gefühle ist natürlich, für den Fond die Executive Lounge zu bestellen, mit den First-Class-Sesseln, deren Beinauflage keine Querfugen aufweisen. Dann fehlen nur noch die automatisch öffnenden Türen (per Knopfdruck, Display-Tipp, Handy oder Sprachsteuerung).
Das Interieur
Der Innenraum ist Gott sei Dank nicht so abgespacet gestaltet wie im BMW iX. Es gibt eine klassische Mittelkonsole, auch der iDrive-Controller bleibt erhalten, ebenso wie einige Direktzugriffstaste. Das Bediensystem ist das aktuelle BMW OS 8, an das man sich erst gewöhnen muss.
Die Art, wie sich das Armaturenbrett mächtig vor dem Fahrer aufbaut, erinnert ein wenig an Rolls-Royce. Das Curved Display kennen wir bereits aus dem iX und dem überarbeiteten X7. Es fasst einen 12,3-Zoll-Tacho-Screen und einen 14,9-Zoll-Touchscreen zu einer Fläche zusammen. Anders als bei den vorgenannten Brüdern ist das Panel aber so angebracht, dass es rechts seitlich freisteht und kein klobiger Ständer den Eindruck zerstört. Eines von vielen Beispielen am neuen 7er, wo Designer auch im Detail ganze Arbeit geleistet haben.
Die serienmäßige Vierzonen-Klimaanlage verzichtet auf sichtbare Luftauslässe. Stattdessen kommt die Luft aus neuartigen Fugenausströmern. Lediglich kleine Gnubbel sind noch zu sehen, welche die Richtung des Luftstromes steuern. Die Temperatur wird am Display eingestellt, die Lüfterstärke - ebenso wie ein paar andere Funktionen - über Touchfelder/-Slider auf der sogenannten „BMW Interaction Bar“ (bei Tageslicht teilweise schlecht zu erkennen). Diese wie ein rauchglasartiger Kristall „geschliffene“ durchsichtige Kunststoffleiste weist auch mehrere Lichtfunktionen auf. So leuchtet sie beispielsweise (teilweise mit Farbverläufen) unterschiedlich je nach Fahrmodus oder kann auch auffällig blinken, wenn ein Anruf hereinkommt.
Die Materialanmutung ist wahrscheinlich die beste, die wir je in einem BMW gesehen haben, bis hin zu hochflorigem Teppich, der wiederum an Rolls-Royce erinnert.
Nur gut die Hälfte der Antriebe kommt zu uns
Erster Antrieb, der bei uns auf den Markt kommt, ist im Dezember einer der beiden rein elektrischen: Der BMW i7 xDrive60 hat zwei Elektromotoren, die gemeinsam 400 kW/544 PS und 745 Nm zur Verfügung stellen. Damit wuchten sie den nach DIN knapp 2,7 Tonnen schweren Luxuskoloss in 4,7 Sekunden auf Tempo 100. Erst bei 240 km/h wird abgeregelt. Den WLTP-Verbrauch gibt BMW mit 19,6-18,4 kWh an. Der Akku ist mit 101,7 kWh netto etwas kleiner als im iX, auch die Ladeleistung ist mit 195 kW eine Spur niedriger. In zehn Minuten soll man 170 km Reichweite „tanken“ können.
Eine stärkere Version, der i7 M70 xDrive mit 485 kW/660 PS, soll später eingeführt werden.
Im Frühjahr rollt der 740d xDrive zum Händler, mit einem 300 PS/670 Nm starken Reihensechszylinder-Diesel-Mildhybridantrieb. Ein kleiner Teil der Power kommt vom in die Achtgangautomatik integrierten Elektromotor. Verbrauch 6,9-5,9 l/100 km, Sprintwert 6,3 Sekunden.
Etwas später im Frühjahr erscheinen dann die beiden Plug-in-Hybride mit einer Systemleistung von 490 oder 571 PS und einer rein elektrischen WLTP-Reichweite von mindestens 80 Kilometern.
Zwei Reihensechszylinder mit 272 und 380 PS sowie ein 544 PS starker V8 werden zwar gebaut, aber nicht in Europa angeboten.
Preise für Österreich stehen noch nicht fest, aber es gibt eine Orientierung: Der BMW 740d xDrive wird in Deutschland voraussichtlich ab 107.300 Euro in der Preisliste stehen. Für den i7 werden mindestens knapp 140.000 Euro fällig. Das wiederum wird annähernd auch für Österreich gelten, weil ja keine NoVA anfällt.
Unterm Strich
BMW hat den 7er gewissermaßen neu erfunden. Sie legen viel mehr Wert auf Luxus als früher und wollen damit sogar die Benchmark setzen (zumindest diesseits von Rolls-Royce). Den BMW i7 bezeichnen sie in München als einzige elektrische Luxuslimousine überhaupt. Wir sind gespannt, wie Mercedes diese Aussage kontern wird. Nun bleibt abzuwarten, ob BMWs neues Flaggschiff die hohen Erwartungen, die es mit dem bloßen Auftritt, aber auch mit markigen Marketing-Ansagen weckt, auch in Fahrt erfüllt. Der 7er soll zwar vollen Luxus bieten, aber auch dynamisch viel zu bieten haben.
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