Wozu eine klare Spielphilosphie im Fußball? Eine Streitfrage, an der sich die Geister scheiden. Frank Kramer, Leiter der Red Bull Fußball Akademie, sagt gegenüber krone.at: „Die Vorteile überwiegen für mich klar.“ Ein Interview über Spielentwicklung, Dynamik, DNA und Rauten.
krone.at: Was sind für Sie die Vor- und Nachteile einer einheitlichen Spielphilosophie?
Frank Kramer: Die Vorteile überwiegen für mich ganz klar. Alle in der Jugend tätigen Personen (Spieler, Trainer, Scouts, Analysten) denken komplett in eine Richtung. Jeder weiß genau was gefordert ist vom Kollektiv, wie auch vom Einzelnen. Das umfasst alle Bereiche. Dadurch ist es für alle Beteiligten in jeglichen Phasen deutlich einfacher einen Weg zu denken und an einem Strang zu ziehen. Die Spieler wachsen über Jahre in eine Idee hinein. Auch die Trainer wachsen in diese Idee, werden gefestigt in ihrem Tun und entwickeln sich von dieser Basis aus. Wenn ich etwas Handfestes habe, kann ich mich auch einfacher weiterentwickeln, kann variabler agieren. Das ist sehr wichtig im modernen Fußball, man macht es den Gegner schwerer sich auf die eigene Mannschaft einzustellen.Ein Riesenvorteil ist auch die Überzeugung, die dahintersteckt. Diese wächst über Jahre. Ohne einheitliche Spielphilosophie ist es bei einem neuen Trainer, der einer anderen Fußballidee entsprang, nicht klar, ob dieses funktionieren wird. Wenn ich weiß, dass meine Philosophie funktioniert und alle wissen ganz genau, was zu tun ist, wächst eine andere Überzeugung und eine andere Dynamik. Jeder weiß, in welche Richtung man im Training und in der Spielvor- und Nachbereitung gehen soll bzw. kennt seine Aufgaben und die Vorgehensweisen. Die Überzeugung ist extrem wichtig. Das sieht man auch bei Neuzugängen: Diese wissen genau, wofür wir stehen, und sind überzeugt von unserer Idee. Neue Spieler und Trainer wissen, wofür wir stehen. Sie treffen die klare Entscheidung, dass unsere Idee und unser Weg genau die Richtige für sie ist. Wir wissen alle, Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft, und dass es auch zu Personalwechsel am Trainersektor kommen kann. Aufgrund der vorgegebenen Idee sind wir personenunabhängig und wissen immer genau nach was wir suchen.Ein Nachteil kann auch entstehen, wenn man zu lange damit wartet sich weiterzuentwickeln. Ansonsten kann ich keinen Nachteil erkennen.
Also wie bei Spanien 2018 zum Beispiel?
Ja, genau oder auch bei Deutschland 2018. Das deutsche Team dachte sich: jeder weiß wie wir spielen aber wir machen es einfach besser, dann setzen wir uns durch. Das ist dann aber sehr schwer, wenn der Gegner weiß, wie man agiert.Heutzutage kann jedes Team bei einem Topturnier stark verteidigen.
Zum Stichwort weiterentwickeln: Arbeitet die Akademie daran, die Philosophie ständig zu verbessern und an die Erkenntnisse des modernen Fußballs anzupassen?
Selbstverständlich tun wir alles, um uns weiterzuentwickeln. Jede Mannschaft hat ihren eigenen Charakter. Da müssen sich alle anpassen, um das Beste rauszuholen. Die Richtung und die „Leitplanken“ unserer Philosophie sind klar. Jeder Trainer hat dann die Möglichkeiten, diese Gegebenheiten an seine Mannschaft anzupassen, das ist wichtig, das muss man sogar machen. Das Ziel ist die bestmöglichen Spieler an den Start zu bringen. Je nach Spielerqualität und Charakter einer Mannschaft lässt ein Trainer dann in einer Raute spielen, der andere bringt ein 4-3-3 auf den Platz. Die DNA bleibt gleich, aber je nach Mannschaftszusammensetzung passt sich der Trainer an. Habe ich drei kreative Mittelfeldspieler in der Mannschaft muss ich anders spielen lassen, als wenn ich besonders viele talentierte Außenspieler zu Verfügung habe.
Neue Spieler und Trainer wissen, wofür wir stehen. Sie treffen die klare Entscheidung, dass unsere Idee und unser Weg genau die Richtige für sie ist.
Frank Kramer
Ist es dadurch für junge Spieler einfacher den Sprung, in die nächst höhere Nachwuchsmannschaft oder in den Profibetrieb zu schaffen?
Ja, wenn man eine einheitliche Philosophie hat, ist der Weg eindeutig direkter. Wenn ich das Rüstzeug mitbringe, weil alle einheitlich die gleiche Idee haben, müssen sich Spieler nicht ständig auf neue Vorgehensweisen einstellen. Sie müssen nur an kleineren Variationen und Details abhängig von der Mannschaft arbeiten. Ein Spiel, eine Idee, das macht es einfacher. Wenn die Richtung klar ist, ist es einfacher sich um Details zu kümmern und die Idee dann möglichst gut auf den Platz zu bekommen.
Wie sieht die Weiterentwicklung der Spielphilosophie bei Ihnen in der Akademie aus? Wird das von „oben“ vorgeben, oder arbeiten die Trainer einzeln daran?
Sowohl als auch. Der einzelne Trainer probiert Sachen aus, um moderner und flexibler zu sein, weil er diese woanders gesehen hat und denkt, dass könnte seine Mannschaft noch besser machen. Die andere Möglichkeit ist, dass wir als Verantwortliche den Mannschaften sagen: „Schaut euch das genauer an, das könnte unserem Spiel weiterhelfen.“ Es ist also ein Wechselspiel: Der Einzelne bringt etwas in die Gemeinschaft ein, oder Dinge werden von der Gemeinschaft vorgegeben, die allen helfen können. Es ist ein ständiger Austausch.
Wie ist ihr Eindruck von den anderen Vereinen in Österreich? Rapid z.B. hat angekündigt eine einheitliche Spielphilosophie entwickeln zu wollen? Ist Salzburg in dieser Hinsicht klarer Vorreiter in Österreich, oder gibt es Klubs die hier auf gleichem Level sind?
Ich denke, es wäre vermessen, mir nach einem halben Jahr in Österreich ein Urteil darüber zu erlauben. Nachdem ich bislang schon viele Spiele gesehen habe, denke ich, dass Salzburg eine Vorreiterrolle einnimmt. Ein wirkliches Urteil darüber will ich nicht fällen.
Sie haben für den DFB drei Jahre lang Jugendmannschaften trainiert? Wie sieht es dort hinsichtlich einer einheitlichen Spielphilosophie über die verschiedenen Auswahlen hinweg aus?
Beim DFB gibt es sogenannte Leitlinien, die grobe Leitplanken bilden.
Was sind die Herausforderungen bei der Einführung einer einheitlichen Spielphilosophie in einer Nationalmannschaft, die auf den Klub nicht zu treffen?
In den Details ist es bei einer Nationalmannschaft viel schwieriger, da Spieler aus verschiedenen Vereinen mit verschiedenen Ideen kommen. Die Herausforderung ist es vieles ganz stark zu vereinfachen und zu kürzen. Also mit viel weniger Details, weil man oft nur wenige Tage für die Spielvorbereitung hat. Auch im Nationalteam müssen Spieler die Überzeugung für die Spielidee entwickeln. Das ist deutlich schwieriger, weil die verschiedenen Akteure anders geprägt sind. Daher findet auch eine gewisse Selektion in der Auswahl statt. Man fragt sich, was für Spieler die Idee schneller umsetzen können. Entwicklung findet im Nationalteam wenig statt, daher muss man die Idee sehr vereinfacht darstellen, damit es alle schnell umsetzen können. Man arbeitet mehr mit Videos und bildlicher Darstellung auf dem Trainingsplatz.
Heißt das, man nimmt dann auch mal bessere Spieler nicht mit?
Nein, als Trainer muss man immer die besten Spieler zusammenholen und diese dann überzeugen, diesen Weg anzunehmen. Es müssen die besten Spieler auf dem Platz sein, sonst hat man international keine Chance. Hin und wieder kann es zu einem Härtefall kommen, das ist aber eine große Ausnahme.
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