100-fache Menge

Dokumente: BP toppte intern alle Schätzungen

Ausland
21.06.2010 09:20
US-amerikanische Kongressabgeordnete wühlen sich seit Wochen durch einen riesigen Dokumentenberg, den der Ölkonzern BP der US-Regierung aushändigen musste. Der Demokrat Ed Markey aus Massachussetts ist dabei auf ein BP-internes Schriftstück mit Zahlen bezüglich einer ersten "Worst case"-Abschätzung des Ausmaßes der Ölpest im Golf von Mexiko gestoßen. Es zeigt: Der Ölkonzern kommunizierte nach außen hin gerade einmal ein Hunderstel der Austrittsmenge, die er für möglich hielt.

Dass BP beim Zahlenkrieg um die schlimmste Ölpest der US-Geschichte - noch ein paar Wochen und das Unglück übertrifft selbst die bisher schlimmste Ölkatastrophe im Golf von Mexiko bei der Havarie der mexikanischen Plattform Ixtoc I - von Anfang an untertrieb, ist hinreichend bekannt. Als Anfang Juni erstmals austretendes Öl abgesaugt werden konnte, vermeldete der britische Konzern eine Zahl, die weit über seiner ursprünglichen Schätzung bezüglich des austretenden Rohöls lag.

"Sollten wir uns verrechnet haben, ..."
Laut den BP-internen Dokumenten, die Markey nun aus dem Papierberg zog und veröffentlichte, toppten aber schon die ersten internen Worst-case-Schätzungen BPs alle Werte, die später von BP und anderen genannt werden sollten. Während man bei den ersten Kongressanhörungen zunächst 1.000 und dann 5.000 Barrel Öl (1 Barrel = 159 Liter) pro Tag als "flow rate" vermeldete, war bereits im Dokument ein Worst-case-Szenario von 50.000 Barrel vermerkt, das BP allerdings nie kommunizierte. In diese Berechnungen waren etwa ein Auseinanderbrechen des Blowout-Preventers oder ein weiteres Nachgeben der Bohrloch-Verrohrung miteinbezogen.

Als Notiz war noch beigefügt: "Achtung: Sollten wir uns beim Blow-Out-Preventer und beim Bohrlochkopf verrechnet haben, kann die maximale Ausflussrate bis zu 100.000 Barrel am Tag betragen." Markey kritisiert, BP hätte die Schätzungen zumindest der US-Küstenwache mitteilen müssen, als Ingenieure versuchten, das Leck mithilfe der "Top kill"-Methode zu stopfen. Das Risiko dabei sei angesichts der nun vorliegenden Zahlen unnötig hoch gewesen. Von der US-Regierung beauftragte Experten waren sich zuletzt einig, dass die Ausflussrate 60.000 Barrel pro Tag beträgt - exklusive der Menge, die BP seit Anfang Juni mithilfe der Trichtervorrichtung in Bohrschiffe an die Meeresoberfläche pumpen kann.

In der Ölquelle unter dem beschädigten Bohrloch befinden sich nach Schätzungen von BP übrigens noch mehr als sieben Milliarden Liter Öl. Die Quelle, die der britische Konzern mit der Explorationsplattform Deepwater Horizon erkunden ließ, enthält mit Stand vergangener Woche noch immer 94 bis 97 Prozent ihres Öls. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Rohöl derzeit austritt, würde es zwei bis vier Jahre dauern, bis die Gesamtmenge ins Meer geflossen ist.

BP will 50 Milliarden Dollar auftreiben
Indes kursieren Gerüchte, BP müsse seine Bargeld-Reserven aufstocken. Der Konzern will laut "Sunday Times" 50 Milliarden US-Dollar eintreiben. Die Summe setzt sich dem Bericht zufolge aus drei Posten zusammen. Ein Verkauf von Anleihen soll 10 Milliarden Dollar in die Kassen spülen. Der finanziell angeschlagene Konzern will außerdem Darlehen in Höhe von 20 Milliarden Dollar aufnehmen. Durch den Verkauf von Vermögenswerten in den kommenden zwei Jahren sollen weitere 20 Milliarden Dollar eingenommen werden.

Der Ölmulti wollte den Bericht nicht kommentieren. BP hatte bisher immer wieder gesagt, der Konzern sei finanziell stark genug. Aufsichtsratschef Carl-Henric Svanberg verwies mehrfach darauf, dass die Firma "einen außergewöhnlich soliden Kassenstand" benötige. BP hatte letzte Woche bereits der Zahlung von 20 Milliarden Dollar in einen Treuhandfonds für die Opfer der Ölpest zugestimmt. Analysten warnten jedoch davor, dass die Kosten der Umweltkatastrophe am Ende auf bis zu 100 Milliarden Dollar anschwellen könnten. Das Energieunternehmen hat seit Beginn der Ölpest vor knapp neun Wochen herbe finanzielle Rückschläge hinnehmen müssen. Der Konzern verlor mehr als 40 Prozent seines Börsenwertes. Die Ratingagenturen Fitch und Moody's stuften die Kreditwürdigkeit herab. Die Dividendenzahlungen an die Aktionäre wurden für dieses Jahr gestrichen.

"Eher wird die US-Regierung insolvent als BP"
Analysten sehen die Gefahr einer Insolvenz BPs trotzdem nicht gegeben. Das Unternehmen habe wenig Schulden für einen Konzern seiner Größe und verdiene mehr Geld als Apple und Google zusammen. Als es auf Druck des Weißen Hauses die 20 Milliarden Dollar  bereitstellen musste, machten sich die Anleger keine großen Sorgen, dass BP bankrott gehen könnte. Sie zuckten kaum zusammen. "Eher wird die US-Regierung insolvent als BP", sagt Bruce Lanni, Analyst bei Nollenberg Capital Partners.

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