"Das ist noch nie vorgekommen. Da müsste ja jeder Taschendieb Steuern zahlen", verlieh der nicht gerade unerfahrene Strafverteidiger Herbert Eichenseder seiner Verwunderung Ausdruck.
Noch erstaunter zeigte sich der Angeklagte: "Das mit der Steuerzahlung habe ich wirklich nicht gewusst. Wenn ich ein Verbrechen begehe, was hätte ich tun sollen? Wenn ich zum Finanzamt gegangen wäre, was hätte ich sagen sollen? Dass ich das aus linken Abzweigungen habe? Was hätte ich auf die Einkommenssteuererklärung draufschreiben sollen? Provisionen?"
Der Mann war jahrelang in einem großen Unternehmen beschäftigt, wo er sich zusehends darüber ärgerte, dass ihm seine Überstunden nicht abgegolten wurden. Also begann er, sich Gelder auf sein Konto zu überweisen, und dies in großem Stil: Bis zu 260.000 Euro jährlich leitete er in seine Taschen um, ehe nach sechs Jahren seine unorthodoxe Form der Selbsthilfe aufflog. Nach seiner Festnahme legte der Buchhalter ein umfassendes Geständnis hinsichtlich der Unterschlagungen ab.
Finanz-Vertreter muss im Zeugenstand "Steuertipps" geben
Die Staatsanwaltschaft stützte ihren Strafantrag auf einen rechtskräftigen Bescheid der Finanzbehörden, mit dem die grundsätzliche Steuerpflicht des untreuen Buchhalters bejaht wurde. "An und für sich hätte er die Möglichkeit gehabt, den strafbestimmenden Wertbetrag auf der Steuererklärung als nichtselbstständige Einkünfte einzutragen", musste ein Vertreter der Finanz im Zeugenstand erklären. Schließlich wären Belege "nur auf Anfrage des Finanzamts" vorzulegen. Diese würden außerdem nur stichprobenartig angefordert: "Das ist eher eine Computerfrage."
Der Zeuge räumte jedoch ein, dass nichtselbstständige Einkünfte in Höhe von einer Viertelmillion Euro Nachfragen seitens der Finanz zur Folge gehabt hätten und sich der Firmengelder unterschlagende Buchhalter damit zwangsläufig selbst ans Messer geliefert hätte: "Die Herkunft der Einkünfte hätte man sicher hinterfragt."
Freispruch - aber noch nicht rechtskräftig
Angesichts dieser Beweislage fällte das Gericht nach eingehender Beratung einen Freispruch, sodass der Buchhalter zwar - wenn vermutlich auch nur in der Theorie - Steuern nachzahlen, aber wenigstens nicht als Steuersünder eine weitere Freiheitsstrafe absitzen muss. Der Senat (Vorsitz: Claudia Moravec-Loidolt) stützte die Entscheidung auf Judikatur des Obersten Gerichtshofs, wonach ein an sich "verpöntes Grundgeschäft" nicht unbedingt eine Steuerpflicht begründet, sofern das rechtswidrig erlangte Einkommen nicht im allgemeinen Wirtschaftsleben verwendet wird.
Die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab, der Freispruch ist daher nicht rechtskräftig.
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