Kranken-Mobbing

ÖBB-Vorsitzender Klugar gesteht Fehler ein

Österreich
19.09.2009 19:58
Immer neue Aufdeckungen in den letzten Tagen haben ÖBB-Boss Peter Klugar stark unter Druck gesetzt. Auf einer Pressekonferenz am Freitag gestand der Bahn-Manager jetzt, dass er vom systematischen Sammeln der Diagnosedaten von ÖBB-Mitarbeitern mit langen Fehlzeiten wusste. "Bei der Umsetzung von Personalmaßnahmen sind Fehler gemacht worden", meinte Klugar. In einigen Fällen hätten Mitarbeiter des Personalwesens "unangemessen reagiert", das sei inakzeptabel. Infrastrukturministerin Doris Bures hat indes den ÖBB-Aufsichtsrat aufgefordert, in der Causa die Staatsanwaltschaft einzuschalten.

Er bedauere sehr, wie mit einigen Mitarbeitern umgegangen wurde. Ein persönliches Verschulden seinerseits sieht Klugar (im Bild rechts neben dem neuen ÖBB-Personalchef Emmerich Bachmayer) aber nicht. Man werde die Angelegenheit bei der Aufsichtsratssitzung am kommenden Dienstag zwar besprechen, "meinen Rücktritt werde ich nicht anbieten", sagte er zu den versammelten Reportern.

Seit wann er über die dubiosen Praktiken bei der Aufzeichnung von Krankendaten Bescheid wusste, wollte Klugar nicht genau beantworten. Aus seiner Zeit als Vorstand der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG habe er gewusst, dass es ein umfassendes betriebliches Förderwesen für Gesundheit gibt. Er habe damals aber sicher nie jemanden bespitzelt oder eine entsprechende Weisung erteilt.

Über "Brisanz der Situation" erst jetzt erfahren
Seit seiner Bestellung zum Vorstandsvorsitzenden der ÖBB-Holding per Juni 2008 sei das Thema aber nicht an ihn herangetragen worden, daher habe er auch keine Kenntnis davon gehabt. Es habe aber "Maßnahmen" in der Dienstleistungs-GmbH (sie ist mittlerweile in Auflösung, Anm.) gegeben, die damals für Personalangelegenheiten zuständig war, so Klugar. Über die "Brisanz der Situation" habe er erst vor einigen Wochen erfahren und aus der Berichterstattung, sagte der ÖBB-Chef.

Rund 3.000 Mitarbeiter betroffen
Ganz genau können es die ÖBB auch nach der ersten Sitzung der Untersuchungs-Kommission zur Causa noch nicht sagen, wie viele Mitarbeiter vom "Kranken-Mobbing" betroffen sind bzw. waren. In der bisher einzigen geprüften Gesellschaft, der ÖBB Infrastruktur Betrieb AG seien unter den rund 11.000 Mitarbeitern rund 1.000 Fälle entdeckt worden, in denen in Beförderungsbögen auch Angaben zu Krankenständen und Diagnosen enthalten waren, sagte der neue Personalchef der ÖBB-Holding, Emmerich Bachmayer. Im gesamten Konzern rechnet er mit etwa 3.000 Fällen. Für den ÖBB-Konzern arbeiten in Summe fast 43.000 Menschen.

Bachmayer, der Vorsitzender der vergangene Woche eingesetzten Untersuchungskommission ist, sprach von "zwei Systemen", die nun "verwechselt" würden. Einerseits gebe es seit 2006 bzw. 2007 elektronische Aufzeichnungen von "Gesundheitsgesprächen". Dort sei auch ein Feld "Diagnose" vorgesehen gewesen, in das ursprünglich auch Daten aufgenommen worden seien. 2008 sei dieses Feld mit "Nichts eintragen" versehen worden, nun werde die Diagnoseaufnahme im Formular "verunmöglicht". Nach früheren Angeben von Betriebsratsvorsitzendem Wilhelm Haberzettl erfolgte die Änderung 2008 auf Betreiben der Datenschutzkommission und der Arbeitnehmervertreter. Parallel dazu wurden aber laut Bachmayer in Beurteilungsblättern von Mitarbeitern die zur Beförderung anstanden, Krankenstands- und Diagnosedaten aufgenommen, die "aus Gründen der Menschenwürde besser unterblieben wären".

Vorgangsweise rechtswidrig – es gab aber Missbrauch
"Hier sind Dinge passiert, die schlicht rechtswidrig waren", sagte der als Experte zur Kommission beigezogene Arbeitsrechtler Wolfgang Brodil. Die Vorgangsweise sei weder mit Arbeitsrecht noch mit Datenschutzrecht vereinbar gewesen. Gleichzeitig räumte er ein, dass es ein Grundproblem mit ausgegliederten Unternehmen wie den ÖBB gebe: Die Unkündbarkeit führe bei einigen Mitarbeitern zu Krankenstandsmissbrauch, der dann mit überschießenden Methoden bekämpft werde.

"Von den Krankenstandbekämpfungsmethoden waren keine 10 Prozent der Mitarbeiter betroffen", betonte Bachmayer. Diese hatten ungewöhnlich hohe Krankenstände. Mittlerweile seien die "Linienvorgesetzten" informiert worden, dass diese Praxis nicht mehr zulässig sei. "Die sogenannten Kellerdaten müssen verschwinden", sagte Bachmayer. Es werde auch Kontrollen geben. Außerdem werde ein unabhängiger Vorsitzender für die Datenschutzkommission der ÖBB gesucht. Bisher hatte diese Funktion der Ex-Personalchef Franz Nigl inne. Bei den Mitarbeitern werde man sich entschuldigen und sie auch zur Einsicht in ihre Personalakten einladen.

"Einige schwarze Schafe"
Vorstandsvorsitzender Peter Klugar betonte, er habe nach seinem Antreten als Vorstandsvorsitzender der ÖBB-Holding erkannt, dass das System im Personalbereich "nicht optimal" gewesen sei". Daher habe er mittlerweile das Personalmanagement neustrukturiert, so dass künftig "die Fehlerrate geringer und die Wege kürzer" würden. Wie berichtet befindet sich die ÖBB Dienstleistungsgesellschaft, die unter der Führung des früheren Telekom Austria-Personalchefs Franz Nigl für Personal zuständig war, in Auflösung. Mit Bachmayer in der Personalverantwortung werde man künftig andere Wege gehen und "einige Usancen der Vergangenheit überdenken". Die Reduktion der Krankenstände sei aber auch weiter "existenziell für das Unternehmen".  Klugar sprach von "einigen schwarzen Schafen, die zu Lasten der Anderen und des Konzerns das System ausnützten.

Bures will Staatsanwaltschaft eingeschaltet sehen
Infrastrukturministerin Bures hat am Freitagnachmittag - nach Klugars Pressekonferenz - ÖBB-Aufsichtsratsvorsitzenden Horst Pöchhacker aufgefordert, zur Aufklärung der "rechtswidrigen Erfassung von Krankendaten in den ÖBB", wie sie es nannte, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Außerdem verlangt Bures von Pöchhackerin ihrer Rolle als Eigentümervertreterin, am kommenden Dienstag im Aufsichtsrat den Bericht der Untersuchungskommission zu behandeln und "alle Maßnahmen zu setzen, dass in Zukunft keine derartigen Praktiken mehr angewendet werden".

Personelle Konsequenzen fordert Bures derzeit nicht, vielmehr dürfe es "keine Vorverurteilungen" geben, sagte sie am Freitagnachmittag. Aber Pöchhacker solle "eine Sachverhaltsdarstellung des Aufsichtsrates" an die Staatsanwaltschaft übermitteln. Es gehe im Moment vor allem darum, zu klären, was genau passiert ist.

Sollte es strafrechtlich relevante Vorgänge geben haben, will die ÖBB-Führung reagieren. Disziplinarverfahren gegen Manager der unteren Ebene wegen Diagnosedaten in Beförderungsblättern werde es wohl nicht geben, weil das bisher kein Verstoß gegen betriebliche Vorgaben gewesen sei, sagte der neue Personalchef.

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