Schwer verletzt

“Missstand!” Salzburger Allianz-Mann klagt Bayern

Sport
03.04.2017 09:46

Kniescheibe gebrochen, Elle gebrochen, einen Zahn ausgeschlagen - aus einem vermeintlich unbeschwerten Champions-League-Abend wurde am 9. April 2014 für Fritz Rettensteiner ein Drama mit Langzeitfolgen. Ein sogenannter "Drehkreuzspringer" hatte ihn vor der Münchener Allianz-Arena übel zugerichtet. Jetzt matcht er sich mit Bayern vor Gericht. Pikant: Rettensteiner leitet in St. Johann im Pongau eine Allianz-Agentur, klagt also gleichsam - zumindest indirekt - seinen Arbeitgeber. Bayern ist sich keiner Schuld bewusst.

Fritz Rettensteiners Stimme wird höher, die Betonung pointierter, die Zunge flinker - der Gedanke an den Vorfall im Jahr 2014 ist emotional stark aufgeladen. Zumal er durch die erste Gerichtsverhandlung vor zwei Wochen neue Brisanz verliehen bekam. "Ich will einen Missstand beim Eintrittssystem des FC Bayern vor der Allianz Arena aufzeigen", sagt Rettensteiner im ausführlichen Gespräch mit sportkrone.at. Sein durchaus deftiger Vorwurf an den deutschen Rekordmeister: "Der FC Bayern schafft es offenbar nicht, Menschen mit Eintrittskarten von Menschen ohne Eintrittskarten zu trennen." In Rettensteiners Fall endete dieses vermeintlich banale Versäumnis - das Bayern explizit NICHT als solches etikettiert wissen will - mit schwerwiegenden Verletzungen, an denen er heute noch laboriert. Die über 200 Therapie-Einheiten haben regelrechte Unsummen verschlungen. Weswegen er vor Gericht einen Vergleich ablehnte. Bayern hatte Rettensteiner 10.000 Euro angeboten - "lächerlich!"

Manchester-Spiel wird zum Albtraum
Rückblende: Fritz Rettensteiner ist am 9. April 2014 wieder einmal in München, um "seinen" Bayern im Champions-League-Hit gegen Manchester United die Daumen zu drücken. Als selbstständiger Allianz-Franchise-Nehmer pflegt er ein gewisses Nahverhältnis zum FC Bayern, erst recht zu dessen prunkvoller Heimstätte, deren Namensgeber wiederum Rettensteiners "Arbeitgeber" ist. "Natürlich ist es für das Geschäft nicht schlecht, präsent zu sein und im Stadion Kundenkontakte zu pflegen", sagt er.

Als Rettensteiner an besagtem Abend vor den Drehkreuzen zum Stadioneingang steht, wird er zum Opfer eines unmotivierten "Springers". Ein Manchester-Fan hatte offenbar versucht, ohne Ticket ins Stadioninnere zu gelangen, nahm Anlauf und übersprang das Drehkreuz. Dabei krachte er in den mit dem Rücken zu ihm stehenden Rettensteiner, der schwer verletzt liegen blieb.

Im Nachhinein betrachtet, will Rettensteiner gleich mehrere Sicherheitsmängel geortet wissen: zu wenige Ordner; kein Nachfragen nach den Tickets bei der Leibesvisitation im ersten Sicherheitsgürtel; gerade einmal hüfthohe Drehkreuz-Absperrungen, die zu überspringen es keiner athletischen Höchstleistung bedarf.

Bayern: Alle Auflagen erfüllt
sportkrone.at bittet den FC Bayern, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen - und erhält ein schriftliches Statement. Von den Anschuldigungen distanziert sich Bayern ausdrücklich. Die Stellungnahme im Original-Wortlaut: "Der FC Bayern München bedauert, dass der Stadionbesucher Fritz Rettensteiner, verursacht durch einen Dritten, am 9. April 2014 in der Allianz Arena zu Schaden gekommen ist. Allerdings wurden und werden von der FC Bayern München AG alle Vorgaben und Auflagen eingehalten, so dass eine juristische Verantwortlichkeit ausschließlich beim dritten Schädiger liegt."

"Eines der sichersten Stadien der Welt"
Die Frage, ob es ähnliche Unfälle vor der Allianz-Arena gab, lässt die Bayern-Pressestelle unbeantwortet. Bayern-Anwalt Gerhard Riedl wird von der "Bild" zu diesem Thema aber wie folgt zitiert: "Die Allianz-Arena ist eines der sichersten Stadien der Welt. Es gibt jährlich etwa nur fünf Fälle mit Personen ohne Tickets. Und das bei zwei Millionen Besuchern. In zwölf Jahren gab es noch nie einen ähnlichen Fall mit einem Verletzten."

"Wettbewerb" Drehkreuz-Springen?
Ein gänzlich unbekanntes Phänomen sollen "Drehkreuz-Springer" oder "-Jumper" in der Szene aber nicht sein, meint Rettensteiner. Darauf schließt er, weil ein Sicherheitsbeamter vor der Allianz-Arena nach dem Unfall am 9. April 2014 diese Bezeichnung verwendete, die Rettensteiner davor noch gar nicht gehört hatte. "Drehkreuz-Springen" als eine Art Trendsportart in europäischen Stadien? Wir fragen nach bei Steffen Andritzke. Mit seiner Vergangenheit als Hooligan hat der bullige Glatzkopf abgeschlossen. Die höchst turbulente Zeit als Held der Fäuste hat er in seinem Buch "Kulturstadtbanause" festgehalten. Als Kenner der deutschen und internationalen Fanszene geht der Gladbach-Anhänger aber immer noch durch. Umso erstaunter, fast belustigt ist er, als sportkrone.at ihm "Drehkreuz-Springen" als eigenen Wettbewerb "verkaufen" will. "Vielleicht haben sich ja Mitglieder des Kegelklubs "lila-orange Castrop-Rauxel" im Suff selbiges einmal als Mutprobe selbst auferlegt", schmunzelt er: "Ein Drehkreuz-Springen in Fan-Kreisen und/oder in der Ultra-Szene gibt es nicht." Auch sei das in Deutschland sehr schwierig, "weil hinter jedem Drehkreuz die Ordner stehen", meint Andritzke.

Und trifft damit einen wunden Punkt bei Fritz Rettensteiner. Er bekrittelt, dass eben NICHT jedes Drehkreuz von Ordnern bewacht wird. "Vor dem Allianz-Stadion befinden sich in einem Abteil bis zu 22 einzelne Drehkreuze, auf die teilweise nur zwei oder drei Ordner kommen", will er ausgeforscht haben. Welche Probleme das nach sich ziehen kann, habe er am eigenen Leib verspürt. "Ein Ordner hat bei der Einvernahme gesagt, er habe den Unfall nicht gesehen, weil er zur selben Zeit damit beschäftigt war, einem anderen Stadionbesucher beim Bedienen des Drehkreuzes zu helfen", sagt Rettensteiner.

Deutsche Medien erwarten ein Urteil schon Ende April. "Das kann ich mir nicht vorstellen", meint Fritz Rettensteiner, "der Fall wird sich noch in die Länge ziehen".

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(Bild: KMM)



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