Unfassbare Gräueltaten
„Schlachthaus“ – Was aus Darfur nach außen dringt
Bei der größten humanitären Krise der Welt schaut kaum einer hin. Das ist das Schicksal des Sudan, wo seit Jahren ein blutiger Bürgerkrieg tobt. Aus der Stadt Al-Fashir, die vor einigen Wochen von einer Kriegspartei an die andere fiel, dringen Berichte über unvorstellbare Gräueltaten.
Ende Oktober hatte die Miliz RSF, die gegen die sudanesische Regierungsarmee kämpft, die strategisch wichtige Stadt Al-Fashir in der Region Nord-Darfur im Westen des Landes eingenommen. Seither gibt es kaum Informationen aus der Stadt. Forscher und Hilfsorganisationen versuchen, Licht ins Informationsdunkel zu bringen. Sie sind sich einig: Die humanitäre Lage in Nord-Darfur ist katastrophal.
Wissenschaftler des Humanitarian Research Lab der Universität Yale werten Satellitenaufnahmen aus, um Informationen über Truppenbewegungen, Bombardierungen und Massengräber zu sammeln. Sie halten es für möglich, dass es in Al-Fashir seit der Eroberung mehrere Zehntausende Tote gegeben hat. In der Stadt hungern die Menschen seit Monaten. Helfer haben keinen Zugang.
Satellitenbilder zeigen Leichenstapel
Nathaniel Raymond, Direktor des Research Lab, berichtet der Deutschen Presse-Agentur von den Beobachtungen kurz nach der Einnahme der Stadt durch die Miliz. „Innerhalb der ersten sieben bis zehn Tage waren über 140 Leichenstapel zu erkennen“, sagt er. „Sie transportieren die Leichen und verbrennen sie. Das geht seit Wochen so. Es ist ein Schlachthaus.“
Lebenszeichen von Zivilisten können die Wissenschaftler dagegen kaum ausmachen. Keine Menschen an den Wasserstellen, keine Eselskarren auf den Märkten. „Wir sehen nur Bewegungen der RSF, wir sehen Plünderungen“, sagt Raymond. „Sollten noch Zivilisten in größerer Zahl in der Stadt sein, dann verstecken sie sich.“
Zehntausende geflüchtet
Doch nicht nur in Al-Fashir ist die Lage dramatisch, sondern auch in Tawila, etwa 70 Kilometer westlich davon. Dort haben Zehntausende Binnenflüchtlinge Zuflucht gesucht. Veronicah Mbogo von der Hilfsorganisation Plan International ist derzeit als Kinderschutzexpertin in der Stadt. „Es mangelt an allem – an Lebensmitteln, an Hygieneartikeln, an Unterkünften“, schildert Mbogo. „Oft haben sie nicht einmal ein Handtuch oder Kleidung zum Wechseln“, weil sie an Kontrollpunkten von RSF-Milizen ausgeraubt wurden. Einige Geflüchtete hätten Plastikplanen bekommen, andere hätten aus Hirsehalmen provisorische Unterkünfte gebaut.
Vergewaltigung als Kriegswaffe
Es sind nicht nur Satellitenaufnahmen, sondern die Menschen von dort und ihre Schilderungen, die helfen, das Grauen in Al-Fashir zu erfassen. Die Stadt war eineinhalb Jahre von der Miliz RSF belagert worden, bevor sie eingenommen wurde. Die meisten Flüchtlinge kommen in Tawila deswegen bereits in schlechtem Zustand an. Es gab kaum Lebensmittel. Es gibt viele Berichte über sexuelle Gewalt. Vergewaltigung war schon vor 20 Jahren während des Völkermords in Darfur eine Kriegswaffe. Daran hat sich bis heute nichts geändert. „Der Krieg im Sudan ist gekennzeichnet durch sexuelle Gewalt und anderen schweren Missbrauch, um sudanesische Gemeinschaften gezielt zu unterdrücken und zu erniedrigen“, sagt Hala Al-Karib, Regionaldirektorin des Frauennetzwerks Siha.
Opfer von sexueller Gewalt werden im Sudan stigmatisiert – deswegen sprechen viele Betroffene nicht über das Erlebte. Das Frauennetzwerk geht in einem Bericht von einer hohen Dunkelzahl aus. Plan-Helferin Veronicah Mbogo berichtet ebenfalls von Scham und Schweigen. „Die Frauen und Mädchen öffnen sich oft nur gegenüber Mitarbeiterinnen von Hilfsorganisationen“, sagt sie. „Aber innerhalb der eigenen Gemeinschaft ist es oft nicht sicher für sie, über das zu berichten, was ihnen zugestoßen ist.“
Angst vor Ehrenmorden
Gerade junge, unverheiratete Frauen und Mädchen fürchteten, keinen Ehemann zu finden, wenn bekannt ist, dass ihnen sexuelle Gewalt angetan wurde. Bei anderen gebe es die sogar die Angst, von ihren Brüdern oder anderen Angehörigen getötet zu werden, weil diese die Familienehre verletzt sehen.
Auch im Nachbarland Tschad trifft man auf Geflüchtete aus Darfur und ihre Geschichten. Jan Sebastian Friedrich-Rust, Geschäftsführer von Aktion gegen den Hunger, hat dort kürzlich Überlebende aus Al-Fashir getroffen. „Eine Frau, die seit Kurzem mit zwei Enkelkindern in einem Flüchtlingslager lebt, erzählte, dass ihre beiden Brüder vor ihren Augen getötet wurden. Sie selbst wurde in Al-Fashir schwer verletzt und musste ins Krankenhaus“, schildert er ihren Bericht. Auf ihrer Flucht mussten die Menschen Grauenvolles ansehen: Mädchen und Frauen, die auf den Straßen vergewaltigt wurden. Personen, die wahllos getötet wurden. „Ihre Berichte sind erschütternd.“












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