Wien

„Es lebe der Zentralfriedhof und olle seine Toten“

Reisen & Urlaub
29.10.2025 17:00

Er ist nicht nur letzte Ruhestätte für drei Millionen Menschen, sondern auch ein mit Leben erfüllter Ort: der Wiener Zentralfriedhof. „Sprechende“ Gräber berichten über vergangene Zeiten, von großen Namen und stillen Schicksalen.

Während ich in der Straßenbahn sitze, höre ich mit Kopfhörern Wolfgang Ambros’ großen Hit über den Zentralfriedhof und „olle seine Toten“, eine passende Einstimmung. Am Eingang bei Tor 2 wartet Claudia Muchitsch, geprüfte Wiener Stadtführerin, die mir an diesem mit Wolken und Sonne garnierten Herbsttag einen der größten Friedhöfe zeigt. Seit 20 Jahren macht sie hier Führungen.

Ein Spaziergang durch Wiens Geschichte
„Es ist immer wieder schön hier. Denn ,der Zentral‘ ist nicht nur ein Friedhof, sondern auch ein Panoptikum. Man geht durch Wiens Geschichte des 19. Jahrhunderts, sieht bekannte Namen und wunderschöne ,sprechende‘ Grabsteine, die das Leben der Bestatteten sehr genau erzählen“, so Claudia.

Erste Station: die Gruppe 0, in der sich Ehrengräber teils weniger bekannter, aber spannender Persönlichkeiten befinden. Jenes der 1858 verstorbenen Ida Pfeiffer beispielsweise. Die Reiseschriftstellerin war, obwohl nicht reich, die erste Österreicherin, die Weltreisen unternahm. Auf ihrem Grab ist ein Schiff abgebildet, obenauf eine Weltkugel-Skulptur.

Ehrengrab einer spannenden Frau: Ida Pfeiffer († 1858) war auf zwei Weltreisen und ...
Ehrengrab einer spannenden Frau: Ida Pfeiffer († 1858) war auf zwei Weltreisen und Reiseschriftstellerin.(Bild: Imre Antal)

Eröffnet wurde der Zentralfriedhof am 1.11.1874. Wien war damals so gewachsen, dass es bald zwei Millionen Einwohner hatte und einen größeren Friedhof benötigte. Das 2,5 km² große Areal konzipierte man für vier Millionen Tote, weil man angesichts der starken Ausdehnung des Kaisertums davon ausging, dass Wien bis Ende des 20. Jahrhunderts zu so einer großen Metropole werden würde.

Komponist Beethoven wurde auf den „Zentral“ umgebettet. Das Grab ist viel besuchte Ruhestätte.
Komponist Beethoven wurde auf den „Zentral“ umgebettet. Das Grab ist viel besuchte Ruhestätte.(Bild: Imre Antal)
Skulptur bei der Grabstelle von Künstler Franz West. In Klein hatte er sie als Kühlerfigur ...
Skulptur bei der Grabstelle von Künstler Franz West. In Klein hatte er sie als Kühlerfigur seines Rolls-Royce.(Bild: Imre Antal)

Doch es gab ein Problem, die Wiener wollten sich auf der Gstettn, die der Friedhof anfangs war, nicht beerdigen lassen. Auch, weil er schwer erreichbar war. Die Lösung: die Umbettung Prominenter wie Ludwig van Beethoven oder Franz Schubert, die zuvor am Währinger Ortsfriedhof (heute Schubertpark) bestattet waren. Der Plan, den Friedhof zur Sehenswürdigkeit und so beliebter zu machen, ging auf. Heute zählt er rund drei Millionen „Einwohner“ verschiedener Konfessionen und 330.000 Grabstellen. In Europa größer ist nur der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, wo weniger Tote beerdigt sind.

infos

ALLGEMEINE AUSKÜNFTE

ANREISE
Mit der U-Bahn-Linie U3 bis Simmering, dann mit den Straßenbahn-Linien 11 od. 71 weiter (sie halten bei den Toren 1-4). Info-Point bei Tor 2. Oder mit dem Pkw.

FÜHRUNGEN

TIPPS

Wir spazieren weiter. Immer wieder sehen wir auch pompöse Roma-Gräber, kommen dann zu den Grüften bei den Alten Arkaden, finanziert von der Ringstraßen-High-Society des 19. Jahrhunderts. „Diese Leute haben ihr Vermögen oft mit außergewöhnlichen Dingen wie der Produktion von Nadeln verdient“, verrät die Stadtführerin. Auch im Tod wollte man zeigen, was man hatte, und in der ersten Reihe „residieren“.

Die Stadt der Toten ist voll von Leben
Ein Grab, das Claudia immer wieder berührt, ist jenes eines jungen Mannes, auf dessen Grabstein sein früherer Skischuh steht. Viele Besucher sind heute unterwegs – Touristengruppen, Senioren, Mütter mit Kinderwagen und auch Läufer.

„Es ist eine Stadt der Toten, die trotzdem lebendig ist. Diese Verbindung zwischen Tod und Leben ist so ur-wienerisch.“ Der „Zentral“ ist eben auch Naherholungsgebiet. Viele, die herkommen, haben keine Angehörigen hier. Sie „besuchen“ Prominente, schauen prachtvolle, aber auch einfache Grabmäler an oder genießen einfach nur die besondere Stimmung.

Das Areal des Zentralfriedhofs kann man auch per Fiaker, E-Bus oder mit dem Fahrrad erkunden.
Das Areal des Zentralfriedhofs kann man auch per Fiaker, E-Bus oder mit dem Fahrrad erkunden.(Bild: Imre Antal)
Dachziegel nach dem Muster des Wiener Stephansdoms zieren die Gräber der Domkapitel-Mitglieder.
Dachziegel nach dem Muster des Wiener Stephansdoms zieren die Gräber der Domkapitel-Mitglieder.(Bild: Imre Antal)
Franz Wirer Ritter von Rettenbach machte Solebäder im Kurort Bad Ischl in Oberösterreich ...
Franz Wirer Ritter von Rettenbach machte Solebäder im Kurort Bad Ischl in Oberösterreich salonfähig.(Bild: Imre Antal)

Es gibt ausgeschilderte Joggingwege. Den Friedhof kann man ebenso mit dem Leihrad, der eigenen E-Bus-Linie, die 19 Haltestellen hat, oder bei einer Fiakerfahrt entdecken. Der Park der Ruhe und Kraft lädt zum Besinnen und Verweilen ein. Doch in all der Ruhe herrscht Leben – immer wieder gibt es Konzerte oder auch Nachtführungen.

Den Zentralfriedhof zu besuchen, sei zu jeder Jahreszeit schön, so Claudia weiter. Der Herbst, wenn das bunte Laub von den Bäumen fällt, sei aber besonders. Die Vergänglichkeit vor einem Neuanfang im Frühling, Ende und Anfang ganz nah beieinander.

Besuch bei Johann Strauss Sohn. Auf seinem Grabstein als Symbole: eine Fledermaus für die ...
Besuch bei Johann Strauss Sohn. Auf seinem Grabstein als Symbole: eine Fledermaus für die Operette und die Donauquelle für den Donauwalzer(Bild: Imre Antal)

Und kaum woanders hat man außerdem die Möglichkeit, so vielen bedeutenden historischen Persönlichkeiten und Promis auf einmal zu „begegnen“ – wir besichtigen u.a. die Gräber von Hans Moser, Johann Strauss Sohn, Manfred Deix, Marcel Prawy oder Falco. Auch ein Besuch des Bestattungsmuseums, das spannende Einblicke in die Geschichte von Sterben und Tod in Wien gewährt, lohnt.

Mit Tschick in der Schnauze thront Katzenkönig Basil am Grab von Karikaturist Manfred Deix, der ...
Mit Tschick in der Schnauze thront Katzenkönig Basil am Grab von Karikaturist Manfred Deix, der hier am 8. Juli 2016 beerdigt wurde.(Bild: Imre Antal)
Die Urne von Ausnahmekünstler und Sänger Udo Jürgens wurde in einem weißen Marmorflügel mit ...
Die Urne von Ausnahmekünstler und Sänger Udo Jürgens wurde in einem weißen Marmorflügel mit „Trauertuch“ bestattet.(Bild: Imre Antal)

An der Karl-Borromäus-Friedhofskirche – vor der sich die Bundespräsidentengruft befindet – vorbei, geht es weiter. Auf unserem Weg sehen wir ein Eichkätzchen. Mit etwas Glück erblickt man auch Hamster oder Rehe. Nun erreichen wir einen atmosphärisch ganz besonderen Platz: den Alten Jüdischen Friedhof. Die Stimmung ist mystisch.

Die Ehrengräber von Dramatiker Arthur Schnitzler und Schriftsteller Friedrich Torberg finden ...
Die Ehrengräber von Dramatiker Arthur Schnitzler und Schriftsteller Friedrich Torberg finden sich am Alten Jüdischen Friedhof.(Bild: Imre Antal)
Auf dem rund 260.000 Quadratmeter großen Areal herrscht eine besondere Stimmung.Auf dem rund ...
Auf dem rund 260.000 Quadratmeter großen Areal herrscht eine besondere Stimmung.Auf dem rund 260.000 Quadratmeter großen Areal herrscht eine besondere Stimmung.(Bild: Imre Antal)
Beim Spazieren am Zentralfriedhof trifft man immer wieder auf Rehe, Hamster und auch ...
Beim Spazieren am Zentralfriedhof trifft man immer wieder auf Rehe, Hamster und auch Eichhörnchen.(Bild: Imre Antal)

Es gibt viele kleine, umgefallene oder versunkene Grabsteine, viele sind von Efeu bedeckt, die Natur zeigt sich in ihren schönsten Farben. „Kriegsbomben haben viel zerstört. Im Sommer steht das Gras so hoch wie die Grabsteine“, so Claudia. In der Zeremonienallee sehen wir beeindruckende Grüfte.

Claudia Muchitsch und Mario Aberl gönnen sich eine Käsekrainer nach dem Friedhofsbesuch beim ...
Claudia Muchitsch und Mario Aberl gönnen sich eine Käsekrainer nach dem Friedhofsbesuch beim Würstelstand von Patricia Pölzl (Mitte).(Bild: Imre Antal)

Am Ende des Rundgangs kehren wir beim Würstelstand vor dem Friedhof ein. Sein Name: eh scho wuascht. Drei Worte, die das Verhältnis vieler Wiener zum Tod kaum besser ausdrücken könnten.

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