Er ist nicht nur letzte Ruhestätte für drei Millionen Menschen, sondern auch ein mit Leben erfüllter Ort: der Wiener Zentralfriedhof. „Sprechende“ Gräber berichten über vergangene Zeiten, von großen Namen und stillen Schicksalen.
Während ich in der Straßenbahn sitze, höre ich mit Kopfhörern Wolfgang Ambros’ großen Hit über den Zentralfriedhof und „olle seine Toten“, eine passende Einstimmung. Am Eingang bei Tor 2 wartet Claudia Muchitsch, geprüfte Wiener Stadtführerin, die mir an diesem mit Wolken und Sonne garnierten Herbsttag einen der größten Friedhöfe zeigt. Seit 20 Jahren macht sie hier Führungen.
Ein Spaziergang durch Wiens Geschichte
„Es ist immer wieder schön hier. Denn ,der Zentral‘ ist nicht nur ein Friedhof, sondern auch ein Panoptikum. Man geht durch Wiens Geschichte des 19. Jahrhunderts, sieht bekannte Namen und wunderschöne ,sprechende‘ Grabsteine, die das Leben der Bestatteten sehr genau erzählen“, so Claudia.
Erste Station: die Gruppe 0, in der sich Ehrengräber teils weniger bekannter, aber spannender Persönlichkeiten befinden. Jenes der 1858 verstorbenen Ida Pfeiffer beispielsweise. Die Reiseschriftstellerin war, obwohl nicht reich, die erste Österreicherin, die Weltreisen unternahm. Auf ihrem Grab ist ein Schiff abgebildet, obenauf eine Weltkugel-Skulptur.
Eröffnet wurde der Zentralfriedhof am 1.11.1874. Wien war damals so gewachsen, dass es bald zwei Millionen Einwohner hatte und einen größeren Friedhof benötigte. Das 2,5 km² große Areal konzipierte man für vier Millionen Tote, weil man angesichts der starken Ausdehnung des Kaisertums davon ausging, dass Wien bis Ende des 20. Jahrhunderts zu so einer großen Metropole werden würde.
Doch es gab ein Problem, die Wiener wollten sich auf der Gstettn, die der Friedhof anfangs war, nicht beerdigen lassen. Auch, weil er schwer erreichbar war. Die Lösung: die Umbettung Prominenter wie Ludwig van Beethoven oder Franz Schubert, die zuvor am Währinger Ortsfriedhof (heute Schubertpark) bestattet waren. Der Plan, den Friedhof zur Sehenswürdigkeit und so beliebter zu machen, ging auf. Heute zählt er rund drei Millionen „Einwohner“ verschiedener Konfessionen und 330.000 Grabstellen. In Europa größer ist nur der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, wo weniger Tote beerdigt sind.
ALLGEMEINE AUSKÜNFTE
ANREISE
Mit der U-Bahn-Linie U3 bis Simmering, dann mit den Straßenbahn-Linien 11 od. 71 weiter (sie halten bei den Toren 1-4). Info-Point bei Tor 2. Oder mit dem Pkw.
FÜHRUNGEN
TIPPS
Wir spazieren weiter. Immer wieder sehen wir auch pompöse Roma-Gräber, kommen dann zu den Grüften bei den Alten Arkaden, finanziert von der Ringstraßen-High-Society des 19. Jahrhunderts. „Diese Leute haben ihr Vermögen oft mit außergewöhnlichen Dingen wie der Produktion von Nadeln verdient“, verrät die Stadtführerin. Auch im Tod wollte man zeigen, was man hatte, und in der ersten Reihe „residieren“.
Die Stadt der Toten ist voll von Leben
Ein Grab, das Claudia immer wieder berührt, ist jenes eines jungen Mannes, auf dessen Grabstein sein früherer Skischuh steht. Viele Besucher sind heute unterwegs – Touristengruppen, Senioren, Mütter mit Kinderwagen und auch Läufer.
„Es ist eine Stadt der Toten, die trotzdem lebendig ist. Diese Verbindung zwischen Tod und Leben ist so ur-wienerisch.“ Der „Zentral“ ist eben auch Naherholungsgebiet. Viele, die herkommen, haben keine Angehörigen hier. Sie „besuchen“ Prominente, schauen prachtvolle, aber auch einfache Grabmäler an oder genießen einfach nur die besondere Stimmung.
Es gibt ausgeschilderte Joggingwege. Den Friedhof kann man ebenso mit dem Leihrad, der eigenen E-Bus-Linie, die 19 Haltestellen hat, oder bei einer Fiakerfahrt entdecken. Der Park der Ruhe und Kraft lädt zum Besinnen und Verweilen ein. Doch in all der Ruhe herrscht Leben – immer wieder gibt es Konzerte oder auch Nachtführungen.
Den Zentralfriedhof zu besuchen, sei zu jeder Jahreszeit schön, so Claudia weiter. Der Herbst, wenn das bunte Laub von den Bäumen fällt, sei aber besonders. Die Vergänglichkeit vor einem Neuanfang im Frühling, Ende und Anfang ganz nah beieinander.
Und kaum woanders hat man außerdem die Möglichkeit, so vielen bedeutenden historischen Persönlichkeiten und Promis auf einmal zu „begegnen“ – wir besichtigen u.a. die Gräber von Hans Moser, Johann Strauss Sohn, Manfred Deix, Marcel Prawy oder Falco. Auch ein Besuch des Bestattungsmuseums, das spannende Einblicke in die Geschichte von Sterben und Tod in Wien gewährt, lohnt.
An der Karl-Borromäus-Friedhofskirche – vor der sich die Bundespräsidentengruft befindet – vorbei, geht es weiter. Auf unserem Weg sehen wir ein Eichkätzchen. Mit etwas Glück erblickt man auch Hamster oder Rehe. Nun erreichen wir einen atmosphärisch ganz besonderen Platz: den Alten Jüdischen Friedhof. Die Stimmung ist mystisch.

Es gibt viele kleine, umgefallene oder versunkene Grabsteine, viele sind von Efeu bedeckt, die Natur zeigt sich in ihren schönsten Farben. „Kriegsbomben haben viel zerstört. Im Sommer steht das Gras so hoch wie die Grabsteine“, so Claudia. In der Zeremonienallee sehen wir beeindruckende Grüfte.
Am Ende des Rundgangs kehren wir beim Würstelstand vor dem Friedhof ein. Sein Name: eh scho wuascht. Drei Worte, die das Verhältnis vieler Wiener zum Tod kaum besser ausdrücken könnten.
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.