Am Grünen Band

Sieben Tage Pilgern entlang der stillen Grenzen

Reisen & Urlaub
05.06.2025 10:43

Drei Länder, sieben Tage, rund 150 Kilometer zu Fuß. Ein Weg, der verbindet und den Wert von Freiheit, Gemeinschaft und innerer Einkehr spürbar macht. Es ist eine stille Route durch die Vergangenheit und eine überraschend hoffnungsvolle Landschaft der Gegenwart.

„Jetzt bin ich ergriffen. Weil ich hier stehe und keine Angst haben muss.“ Dagmars Stimme zittert, während ihre Hand vorsichtig den Grenzstein am Dreiländereck berührt. Wenige Schritte vor dem Gipfel des Plöckensteins, wo Österreich, Deutschland und Tschechien aufeinandertreffen, markiert dieser Stein einen Ort, der für viele Menschen einst das Ende bedeutete. 1979 floh Dagmar mit ihrer Familie aus der Tschechoslowakei in Richtung Westen. Jeder Schritt war ein Risiko – begleitet von Stacheldraht, Wachtürmen, Minenfeldern und dem Schussbefehl.

Was für Dagmar einst Lebensgefahr bedeutete, ist heute nur noch ein schmaler Graben – gesäumt von Holzschildern und Tafeln.
Was für Dagmar einst Lebensgefahr bedeutete, ist heute nur noch ein schmaler Graben – gesäumt von Holzschildern und Tafeln.(Bild: Ferdinand Kaineder)

Vom Todesstreifen zur Lebenslinie
Der Eiserne Vorhang zog sich 40 Jahre lang wie eine klaffende Narbe quer durch Europa, über 12.500 Kilometer lang. Eine betonierte Ideologie, errichtet, um Menschen voneinander zu trennen. Eine Pilgerreise führte uns auf den Spuren der Geschichte: sieben Tage lang am Grünen Band, dem ehemaligen Sperrstreifen zwischen Ost und West. Was einst Niemandsland war, ist heute ein sicherer Weg durch dichte Wälder, über Bergkämme, Niederungswiesen zu kleinen Dörfern. Seit 1989 hat sich das einstige Bollwerk in ein Naturrefugium verwandelt und bildet einen Biotopverbund sowie Lebensraum für Luchse, Auerhähne und seltene Pflanzenarten.

Pilgerfreundin Maria vertraut auf die Kraft des Schwedenbitters. Jeden Morgen gab es vor dem Aufbruch einen Sprühstoß ihres selbstgemachten Kräuter-Elixiers – als kleiner Segen für den Weg.
Pilgerfreundin Maria vertraut auf die Kraft des Schwedenbitters. Jeden Morgen gab es vor dem Aufbruch einen Sprühstoß ihres selbstgemachten Kräuter-Elixiers – als kleiner Segen für den Weg.(Bild: Diana Zwickl)

Unser Ausgangspunkt war Bayerisch Eisenstein, ein Grenzort, der wie ein lebendiges Kapitel aus einem Geschichtsbuch wirkt. Der Bahnhof, halb auf deutscher, halb auf tschechischer Seite gelegen, war früher streng bewacht – heute verbindet er Länder und Menschen. Der Weg verläuft hinein in den Nationalpark Bayerischer Wald, der mit dem Šumava-Nationalpark auf tschechischer Seite eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Mitteleuropas bildet.

Über 500 Stufen dem Himmel so nah
Der Wanderpfad steigt an, vorbei an moosgrünen Hängen und uralten knorrigen Bäumen, hinauf zum Großen Falkenstein auf 1315 Meter Höhe. Weiter geht es durch dichten Buchenwald und über Lichtungen, die wie zufällig geöffnete Fenster wirken, in Richtung Große Rachel (1453 Meter).

Der nächste Höhepunkt ist der Lusen (1371 Meter), ein Gipfel aus wild aufgetürmten Granitblöcken. Die Bergspitze erreicht man über die sogenannte Himmelsleiter – gebildet aus etwa 500 Natursteinstufen, die sich durch das Blockmeer winden. Jeder Schritt nach oben fühlt sich wie ein kleiner Triumph über die Schwerkraft an. Beim Gipfelkreuz bläst der Wind in vielen Sprachen. Man hört Tschechisch, Deutsch – dazwischen liegen Momente des Schweigens.

Alle auf der Höhe: Am Lusen wird das Gipfelkreuz zum Symbol der Verbundenheit.
Alle auf der Höhe: Am Lusen wird das Gipfelkreuz zum Symbol der Verbundenheit.(Bild: Ferdinand Kaineder)

Zwischen den Welten
Ab dem vierten Tag ist die ehemalige Grenze ständiger visueller Begleiter. In Haidmühle beginnt der Anstieg zum Dreisesselberg (1333 Meter), dessen drei markante Granitfelsen wie Wächter über dem Dreiländereck thronen. Von dort oben bietet sich ein beeindruckendes Panorama. Am Horizont zeichnet sich der ehemalige Grenzverlauf wie ein schmaler, andersfarbiger Saum im Wald ab – Bäume, die nach dem Rückzug des Eisernen Vorhangs neu und anders gewachsen sind. Sie sind stille Zeugen einer Zeit, in der Freiheit ein gefährlicher Traum war.

Vom Plöckenstein, mit 1378 Metern der höchste Punkt des Böhmerwaldes, fällt der Blick weit über Wälder, Wiesen und Grenzen hinweg. Hier begann die letzte Etappe unserer Tour, die durch das Mühlviertel in Oberösterreich über den sanften Hochficht nach Schöneben, Haslach an der Mühl bis nach Bad Leonfelden führte.

„So wenig wie möglich – so viel wie nötig“
Unsere Pilgergruppe erlebte während der Woche zahlreiche besondere Momente – auf dem Weg und in der Begegnung miteinander. Jeder Tag begann mit einem Gedankenaustausch und christlichem Gesang. Kleine Rituale, die eine spürbare Gemeinschaft entstehen ließen und behutsam auf das Gehen einstimmten. Dabei spielte der persönliche Glaube keine ausschlaggebende Rolle. Entscheidend war die Bereitschaft, sich einzulassen: auf die Stille, die Natur, das Gehen.

Denn Pilgern bedeutet für jeden etwas anderes: ein innerer Weg, eine Auszeit vom Alltag, Unterwegssein mit leichtem Gepäck: „So wenig wie möglich – so viel wie nötig.“ Dieser Satz gilt beim Pilgern als Einladung zur Reduktion. Weniger Ballast, mehr Raum für Begegnungen, Gedanken, den Blick über Grenzen hinweg – auch über die eigenen. Am Ende waren es etwa 150 Kilometer, die wir gemeinsam gegangen sind. Und doch war es nicht die Strecke, die zählte, sondern das Miteinander.

Reiseinformation

Veranstalter „WELTANSCHAUEN“ bietet geführte sozial-ökologische Reisen für Gruppen, Organisationen und Unternehmen – mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit, bewusstem Erleben und respektvoller Begegnung.

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