Der 23-jährige Brice Chapuis (23) wurde mit der neurologisch Krankheit CMT geboren, die zum Rückgang von Muskulatur und Beweglichkeit führt. Mit seiner Teilnahme am Wien-Marathon im April will er auf diese Erbkrankheit aufmerksam machen und Spenden sammeln.
„Ich habe mich entschlossen, meine Geschichte zu erzählen, um das Bewusstsein für eine Krankheit zu schärfen, die außer mir noch etwa 300.000 andere Menschen in Europa haben“, erzählt Brice Chapuis. Und die damit die häufigste seltene Erkrankung weltweit ist. Sie wird aber viel zu selten oder zu spät erkannt. Der 23jährige gebürtige Franzose studiert derzeit in Krems, NÖ, International Business und hat ein ehrgeiziges Projekt entwickelt, um das Charcot-Marie-Tooth-Syndrom (CMT) bekannter zu machen. Dabei kommt es zu Beeinträchtigung der motorischen und sensiblen Nervenfasern in Beinen und Armen, was zu Rückbildung von Muskeln und Gefühlsstörungen führt.
Beweglicher als die meisten anderen Patienten
Dafür hat sich Brice ein unglaublich hohes Ziel gesetzt: die Teilnahme am heurigen 40. Wien-Marathon am 23.April 2023. Durchkommen ist die Devise, ohne Zeitvorgabe: „Wir CMT-Patienten machen zwar alle ähnliche Erfahrungen, aber ich persönlich verfüge glücklicherweise über eine bessere Mobilität als die meisten. So wurde etwa bei meinem Cousin und mir der gleiche Gendefekt gefunden, aber ich kann gehen und laufen, während er eine Mobilitätshilfe braucht. Daher sehe ich es als meine Pflicht, meinen Vorteil als Instrument zu nützen, um für mehr Forschung und damit Therapiemöglichkeiten zu werben, anderen Betroffenen eine Plattform zu bieten und Spenden zu sammeln.“
Eine ganz persönliche Reise
Eine ordentliche Herausforderung schon für Hobbysportler ohne Einschränkungen. Doch der Idealismus des Studenten ist eine starke Triebfeder. Er trainiert konsequent und diszipliniert, macht dazu noch die täglichen Übungen, die aufgrund seiner Erkrankung wichtig sind, engagiert sich weiterhin für seine Community im Zuge von Run for CMT. Weil sich viele Betroffene isoliert fühlen und es oft schwer ist, Kontakt zu anderen aufzubauen, möchte der Student ihnen die Möglichkeit bieten, eine Gemeinschaft zu finden. Vor allem aber soll gezeigt werden, dass eine Behinderung auch eine Chance bedeuten kann, sich weiter zu entwickeln und sich auf seine ganz persönliche Reise zu begeben.
28.2. ist der Internationalen Tag der Seltenen Erkrankungen
Brice Chapuis bemängelt die geringe Beforschung von CMT und möchte mit seinen Aktivitäten die Europäische CMT-Föderation unterstützen, eine Organisation, die Wissenschafter, klinische Forscher, Pharmazeuten, Patientenvertreter und Politiker an einen Tisch bringt, um die Möglichkeiten für Betroffen zu verbessern. Dafür, für mehr Chancengleicheit und soziale Gerechtigkeit Betroffner und ihrer Familien findet jährlich der „Tag der seltenen Erkrankungen“ (Rare Disease Day) statt. Eine Krankheit gilt dann selten, wenn sie bei nicht mehr als 5 von 10.000 Personen vorkommt. Bis zu 8000 Leiden zählen dazu.
Das Charcot-Marie-Tooth-Syndrom (CMT, Neurale Muskelatrophie oder Peroneale Muskelatrophie) ist eine Erbkrankheit der peripheren Nerven und wird auch vererbte Polyneuropathie genannt. In Österreich leiden etwa 4000 Personen daran, weltweit 2,8 Millionen, vor allem Kinder und Jugendliche. Trotzdem zählt CMT zu den seltenen Erkrankungen. CMT verursacht Funktionsstörungen der motorischen und/oder sensiblen und/oder vegetativen Nervenfasern, schreitet stetig voran und kann nicht geheilt werden. Sie führt langfristig zu einem Schwund von Muskeln, vor allem der Füße und Hände, später auch der Arme und Unterschenkel. Manchmal sind Hüfte und Wirbelsäule betroffen. Regelmäßige Physiotherapie, tägliche Mobilitätsübungen, moderater Sport und orthopädische Maßnahmen helfen, die Muskelkraft zu unterstützen.
Suchen sie mit Ihrem Kind einen Arzt auf, wenn Sie Folgendes bemerken:
Kurz bremste im Herbst 2022 eine Knöchelverletzungen die sportliche Vorbereitung - ob Brice seine Marathonteilnahme aufrecht erhalten könne, war damals fraglich. So begab er sich in die Hände der Experten der Sportordination Wien zu Dr. Robert Fritz (VCM Medical Center), der zunächst zur Vorsicht mahnte. Dann kam Ende Jänner ein Mail von Brice in die Gesundheits-Redaktion: „Seit Mitte Dezember kann ich wieder laufen und manchmal sogar ohne Schmerzen! Ich bin nach einem Aufenthalt in Frankreich wieder in Wien und habe Frau Haberzettl getroffen, die mich als Physiotherapeutin betreut und sehr optimistisch ist, was meinen Fall betrifft! Der Marathon ist immer noch in Sicht!“ Julia Haberzettl, Physiotherapeutin der Sportordination Wien, unterstützt den unerschütterlichen Optimisten mit ihrem Spezialwissen.
Aufgeben ist keine Option
Auch an das Verschieben des Planes steht nicht zur Debatte. „Möglicherweise ist dies meine einzige Chance, mein Vorhaben in die Realität umzusetzen. Dafür werde ich alles tun, was mir möglich ist“, gibt sich Brice unerschrocken.
Und so hat alles begonnen: „Als ich 16 Jahre alt war, bemerkte ich immer wieder Schmerzen in den Füßen und erzählte es meiner Mutter, da mein Cousin zu diesem Zeitpunkt schon ausgeprägte CMT-Symptome hatte. Das machte mir Angst. Also suchten wir einen Neurologen auf. So wurde die Erbkrankheit entdeckt. Viele junge Betroffene möchten sich aber nicht damit beschäftigen, hoffen, dass sich ihr Zustand nicht verschlechtert. Das dachte ich am Anfang auch, aber dann hatte ich zunehmend Probleme bei Alltagsbewegungen. Da wusste ich, ich muss etwas unternehmen, um meine Beweglichkeit so lange wie möglich zu erhalten oder sogar zu verbessern. Wenn man sein Leiden nicht akzeptiert, kann man es auch nicht behandeln. Das ist mir nach einiger Zeit klar geworden. “
Stretching, Balanceübungen, Crosstraining
Der Teenager startete mit Stretching, Balanceübungen, Crosstraining, entschied sich dafür, mit dem Laufen anzufangen. „Und das funktionierte! Ich konnte leben wie alle anderen! Da entstand die Idee mit dem Marathon“, berichtet Brice. Die Vorbereitungen sind allerdings weit aufwändiger als bei anderen Läufern: „Bevor ich mit dem normalen Training beginnen kann, muss ich erst einmal die Übungen absolvieren, die für das Management meiner Krankheit wesentlich sind. Dazu muss man etwa kleine Muskeln aktivieren, die vom Gehirn nicht so gut angesteuert werden. Es handelt sich ja nicht um eine Muskelkrankheit, sondern eine neurologische! Übt man nicht täglich, verliert man Funktionen rasch.“ Das habe ich auch beim Selbsthilfeverein CMT-Austria gelernt."
Für CMT gibt es keine Heilung, aber viele wirksame Therapiemaßnahmen. Je früher das Leiden erkannt wird, umso besser. Dafür wäre aber mehr Aufklärung nötig.
Barbara Chaloupek, Obfrau der Selbsthilfegruppe für hereditäre Neuropathien
Barbara Chaloupek, Obfrau der Selbsthilfegruppe für hereditäre Neuropathien, CMT-Austria und Betroffene, unterstützt den jungen Franzosen bei seinen Aktivitäten und rät Patienten unbedingt zu Begleitung durch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Experten für das Krankheitsbild. Neuropathische Schmerzen, oft aus dem Nichts heraus, Schwächezustände und psychische Belastung durch die unheilbare Krankheit beeinträchtigen die Lebensqualität enorm. „Der einzige Fehler, denn man machen kann ist, sich aus dem sozialen Leben zurückzuziehen. Alles andere lässt sich gemeinsam bewerkstelligen! Die Akzeptanz hilft, damit umzugehen. Wir würden uns auch wünschen, dass Polyneuropathien nicht als etwas abgetan würden, wogegen man nichts tun kann. Denn es gibt therapeutische Möglichkeiten, wenn auch keine Heilung möglich ist. Medikamente helfen unserer Erfahrung nach nicht wirklich. Da sind es eher regelmässige Bewegungsportionen, Neurophysiotherapie, Massagen, sensible Anregungen wie z.B. auch Lymphdrainage.“ Als Therapie in Frage kommt u.a. neben Schmerzlinderung etwa auch Hochtontherapie (elektrische Muskelstimulation).
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