„Ghetto“ in Wien

Mitterhofergasse: „Man fühlt sich alleingelassen“

Wien
08.01.2023 15:37

Ganze 1426 Appartements umfasst die 1978 erbaute Wohnhausanlage Dr.-Franz-Koch-Hof in Wien-Floridsdorf. Immer wieder gerät der Gemeindebau in Verruf. Auch zu Neujahr. Silvester 2022 kommt es zur Eskalation. Die Polizei greift ein, sie sei mit Böllern beworfen worden, 200 Identitätsfeststellungen und interne Ermittlungen sind die Folge. Krone.tv besuchte die Bewohner des Dr.-Franz-Koch-Hofs.

Mitterhofergasse. Drei Kinder zünden von der Straße aus einen Schweizer Kracher und werfen ihn Richtung Gehweg im Bau. Mit vollem Einkaufswagen spaziert eine Dame nichts ahnend vorbei und zuckt nur leicht, als der Knallkörper wenige Meter neben ihr explodiert. Ein weitläufiges Areal. Im Innenhof sitzt eine Gruppe Jugendlicher auf Steintreppen.

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Eigentlich sind wir nicht aggressiv“
Einer von ihnen ist Mahir: „Die Älteren machen eh nix. Nur die Kleineren sind ein bisschen frech hier“, erzählt er. Wie die Bewohner mit ihnen umgehen? „Wenn sie respektlos sind, sind sie auch rassistisch“, so Mahir weiter. „Aber nicht jeder“, entgegnet sein Nachbar. Manchmal fällt „Ausländer, geht zurück in die Heimat“. Und manche „beleidigen hier auch muslimische Eltern“. Wenn Beleidigungen kommen? „Am besten keinen Stress anfangen. Aber wenn sie es übertreiben, dann reden wir zurück“, sei das Credo. „Eigentlich sind wir nicht aggressiv“, sagt ein anderer, als sein Handy klingelt.

Man zeigt sich eine Gegenaufnahme der Szene, die viral ging - eine Polizeianhaltung im Bau zu Neujahr. Mahirs Freund: „Obwohl ich nix dabei hatte und nichts gemacht habe, wurde ich am Boden kontrolliert. Sie haben gesagt, ich soll nach Hause gehen. Ich wollte nicht, aber bin dann heimgegangen.“

Einer von ihnen will nicht gefilmt werden. Er erzählt, die Krawallmacher kamen aus anderen Bezirken und waren schon längst verschwunden, als die Polizei eingetroffen ist. Sogar Eltern wurden angehalten. Auch ein 15-jähriges Mädchen wurde am Boden fixiert. Er selbst habe sich im Gebüsch verstecken können. Die Polizei prüft nun Teile der Amtshandlung an diesem Neujahrsabend.

Viele wollen aufs Land ziehen
Vanessa spaziert mit Kinderwagen entlang des Fußballkäfigs. Sie lebt erst seit einem Jahr hier, „gezwungenermaßen, wegen einer größeren Wohnung“, ist aber in der Nähe von Floridsdorf aufgewachsen. „Auch zu Halloween kam es zu einem Polizeieinsatz.“ Obwohl die Nachbarn in ihrer Stiege „nett, freundlich, höflich“ sind. „Ich würde gern aufs Land ziehen. Momentan fehlt mir das Geld, aber ich bin dabei, etwas zu sparen und was zur Seite zu legen“, so die 24-Jährige. Dann mit den Kindern Alina (4) und Lyan (2) „raus aus Wien, das ist angenehmer - auch für die Tiere“.

„Man fühlt sich schon sehr alleingelassen“
Sabine und Hana sind seit der Kindheit befreundet. „Ich überlege schon wegzuziehen, bin jetzt auf Wohnungssuche und schau, dass ich wegkomme, weil das hier schon fast ein Ghetto wird“, sagte Sabine. Ihre Freundin Hana arbeitet bei Wiener Wohnen: „Tagtäglich sehen wir hier Sachen, die eigentlich nicht okay sind. Menschen stellen Möbel zu den Müllcontainern, lassen alles liegen. Die Stiegenhäuser werden beschmutzt. Man fühlt sich schon sehr alleingelassen.“ 

„Plötzlich 30 Jugendliche um mich herum“
Als Sabines Sohn 14 war, hört sie, wie ihm jemand über die Gegensprechanlage mit „Nächstes Mal schlitze ich dir die Kehle auf“ droht. Sie eilt runter und konfrontiert die Jugendlichen. „Wer hat das jetzt gesagt?“ Plötzlich wird sie von 30 Leuten umringt. Die Antwort: „Wir sind Tschetschenen, ihr habt hier nix verloren.“ „Vor der 26er-Stiege hat es einmal ein Schwimmbad gegeben. So schön war das hier“, erinnert sich Sabine.

(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)
(Bild: Alexander Bischofberger-Mahr)

„Alle sind durcheinander ...“
Elvis stammt aus Mazedonien, kommt gerade von der Arbeit nach Hause. 15 Jahre wohnt er insgesamt schon hier. Er will wegziehen, „ich pack‘s nicht mehr“, am besten aufs Land. „Das ist keine Zukunft für die Kinder, wenn sie hier aufwachsen.“ Es sei schlimmer geworden. Situationen versucht er zu deeskalieren. „Egal ob Jugendliche oder Ältere, alle sind durcheinander, keinen Respekt, alle schreien herum. Die Jugend ist aber unsere Zukunft.“

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