Nun im Museum

Liese Prokops Jackett: Von Tokio nach Tokio

Olympia
22.07.2021 11:54

Von Tokio nach Tokio! Einen Tag vor Beginn der Olympischen Spiele wurde das offizielle Jackett, das Österreichs Leichtathletik-Legende Liese Prokop bei der Eröffnungsfeier vor 57 Jahren getragen hat, im Museum des Leichtathletik-Weltverbandes in Monte Carlo offiziell präsentiert. Gunnar Prokop hatte der World Athletics Heritage dieses olympische Erinnerungsstück seiner Silvester 2006 verstorbenen Frau generös vermacht. Symbolisch markiert dieses offizielle Jackett der österreichischen Olympiamannschaft von 1964 den Beginn von Liese Prokops großer Karriere, im Fünfkampf gekrönt von Olympia-Silber in Mexiko City 1968, EM-Gold in Athen 1969 und dem Weltrekord in der Südstadt 1969.

Liese Prokops Weg zur erfolgreichen Mehrkämpferin war beschwerlich und führte, wie so bei manchen Sommersportlern in Österreich, auch über den Wintersport. Sie arbeitete zunächst als Skilehrerin an der Skischule ihres späteren Ehemannes Gunnar Prokop in Annaberg in Niederösterreich. Hochsprung schien fast nur ein besseres Hobby zu sein. In der Wintersaison 1963/1964 reifte aber der Wunsch, bei den Spielen in Tokio 1964 teilnehmen zu können. Gunnar Prokop, der Liese auch als Leichtathletin trainierte und sich eine Reise nach Japan nicht hätte qualifizieren können, erhielt durch Vermittlung des österreichischen Botschafters in Tokio für den Zeitraum von einem halben Jahr nach den Sommerspielen bereits einen Vertrag als Skilehrer in Japan. Somit hatte er sein Ticket fix für Fernost, ehe sich Liese erst im folgenden Sommer im Hochsprung für ihre ersten Spiele qualifizierte…

Der Schwur bei der Schlussfeier 1964
In Tokio zahlten beide, Liese und Gunnar, noch Lehrgeld. Liese scheiterte (noch unter ihrem Mädchennamen Sykora) in der Hochsprung-Qualifikation mit 1,65 m. Dabei war sie freilich gehandicapt. Eine Gegnerin war mit ihrem Spike beim Einspringen auf ihren Schuh getreten. Und Gunnar war als Coach noch unerfahren. „Aber ich sah auf dem Aufwärmplatz erstmals die Götter der Leichtathletik aus der UdSSR und den USA, ich sah wie die Athletinnen mit ihren Trainern schrien und stritten - aber drei Tage später waren sie Olympiasiegerinnen.“ Für die Zukunft lernte er dort, eisenhart mit Athletinnen umzuspringen. Die Geburtsstunde des legendären „Peitschenknallers“. Mit Lieses Jackett, das nun bereits online im „Museum of World Athletics“ präsentiert wird, verbindet Gunnar bis heute fest die Erinnerung an die Schlussfeier von Tokio 1964. „Als das “Sayonara Mexiko 1968„ aufleuchtete, hatten wir einander geschworen: ‚Dort werden wir Olympiasieger!‘“

„Wir haben wie verrückt, wie besessen trainiert, jetzt nur noch für den Fünfkampf. Für Goldhat es nicht gereicht, aber Silber ist es geworden“, lacht Gunnar Prokop heute. Liese selbst hat Hunderte Male von Mexiko 1968 erzählt, wo sie, inzwischen schon mit Gunnar verheiratet, in einem denkwürdigen Fünfkampf mit 4966 Punkten hinter der Bundesdeutschen Ingrid Mickler-Becker (5098) Zweite wurde. Bis zu Lieses frühem Tod waren die beiden Athletinnen eng befreundet, Ingrid Mickler-Becker war auch Überraschungsgast bei Liese Prokops 60. Geburtstag…

1968: Legendäres Kugelstoßen im Regen
Immer wieder kam in ihren und Gunnars Berichten über Mexiko 1968 die Anekdote vom Kugelstoßen vor. Es hatte damals einen sintflutartigen Platzregen gegeben, der Ring stand sofort unter Wasser, Ingrid Mickler rutschte derart aus, dass Liese ihr ihre Schuhe borgte. Wichtiges Detail: Die Deutschen hatten einen Vertrag mit „Adidas“, Prokop trat mit „Puma“ an. Gunnar: „Das Bild von Becker mit den Puma-Schuhen ging damals durch die Weltpresse. Wer weiß, vielleicht oder wahrscheinlich wäre Ingrid ohne Lieses Hilfe nicht Olympiasiegerin geworden.“ Vor dem abschließenden 200-m-Lauf hatte Liese Prokop zwar noch mit 22 Punkten vor der bekannt starken Sprinterin Ingrid Becker geführt, aber die Österreicherin hatte schon befürchtet, einmal mehr „auf dieser Strecke zu sterben“. „Doch ich merkte, dass ich mit den anderen halbwegs mithalten konnte.“ Mit 25,1 Sekunden rettete sie sich ins Ziel und eroberte vor der Ungarin Annamária Tóth (4959) Silber. Bei der Siegerehrung war Liese dann kurz den Tränen nahe. Statt der österreichischen wurde für sie die australische Fahne gehisst. Eine klassische Verwechslung von Austria und Australia.

Endstand von Mexiko 1968: 1. Ingrid Mickler-Beckler 5098 (80 m Hürden 10,9; Kugelstoßen 11,48; Hochsprung 1,71; Weitsprung 6,43; 200 m 23,5), 2. Prokop 4966 (11,2; 14,61; 1,68; 5,97; 25,1).

Überlegene Europameisterin in Athen
Ein Jahr später aber stand Liese Prokop ganz oben auf dem Gipfel des Erfolgs. Sie war 1969 in der Form ihres Lebens. Sie wurde in Athen vor der Schweizerin Meta Antenen (4793) überlegene Europameisterin mit 5030 Punkten. In diesem Jahr wurde der Fünfkampf schon mit den 100 m Hürden durchgeführt, wobei Liese Prokop in Athen folgende Einzelleistungen verzeichnete: 14,0; 15,20; 1,68; 6,14; 25,6.

Unsterblich wurde Liese Prokop in Österreich mit ihrem legendären Fünfkampf-Weltrekord am 4./5. Oktober 1969 in der Südstadt bei Wien. In jenem Jahr hatte sie selbst zunächst in Leoben (Steiermark) mit 5089 einen Weltrekord aufgestellt, der dann von Heide Rosendahl (GER) auf 5155 Punkten verbessert wurde. Die Sternstunde sollte Liese Prokop wenig später in der Südstadt schlagen. Sie war so sicher, einen neuen Weltrekord aufstellen zu können, dass sie diesen auch mutig ankündigte und eine bis dahin in Österreich nicht erlebte Euphorie anfachte. Auch Gunnar Prokop lag mit seiner Prognose goldrichtig: „Liese schafft 5300 bis 5400 Punkte!“ Am Ende sollten es 5352 Punkt sein.

„Liese Prokop ist die Größte“
Nachdem Liese am ersten Tag nach den 100 m Hürden (13.5), dem Kugelstoßen (14,95) und dem Hochsprung (1,75) auf Weltrekordkurs lag, kamen sonntags 6000 Zuschauer zu den beiden letzten Disziplinen. „So etwas hatte noch nie eine österreichische Leichtathletin bewirkt“, schrieb die „Kronen Zeitung“. Liese Prokop ließ im Weitsprung 6,62 m folgen, im 200-m-Lauf standen die Zuschauer dann wie eine Mauer dicht an der Laufbahn, schirmten den Wind ab, sodass Liese mit 24,6 ins Ziel kam. Die „Krone“ jubelte in fetten Lettern auf der Titelseite: „Liese Prokop ist die Größte: Neuer Traum-Weltrekord!“

Es war das bis heute in Österreich gefeierte Schlusswort der großen Karriere der Liese Prokop, deren nationale Bestmarken teils Jahrzehnte hielten. Ihr früherer Kugelstoßrekord von 16,04 m ist bis heute die zweitbeste Leistung Österreichs. Noch 1969 stieg Liese Prokop in die Politik ein. Mit großem Erfolg. In Niederösterreich schaffte sie es bis zur Stellvertreterin des Landeshauptmannes und wurde 2004 sogar zu Österreichs Innenministerin ernannt. Wo auch immer, förderte sie als Politikerin natürlich den Sport und da besonders ihre geliebte Leichtathletik.

Olaf Brockmann
Olaf Brockmann
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