Wie geht es weiter?

Fußball nach der Krise: Eine ungewisse Zukunft

Fußball International
07.05.2020 10:00

Der Weltfußball steht still. Die Corona-Krise verordnet dem Fußball eine Zwangspause, die es in einem solchen Ausmaß seit mehr als 70 Jahren nicht mehr gegeben hat. Damals ist das Fußballgeschäft noch weit entfernt von der milliardenschweren Industrie gewesen, die es heute ist. Wie wirkt sich die heutige Krise auf die Strukturen des Fußballs aus? Was hat der Fußball in den letzten Jahrzehnten verabsäumt? Und wie kann die Herausforderung namens Corona gemeistert werden, damit „die schönste Nebensache der Welt“ auch in den nächsten Jahren die Weltsportart Nummer eins bleibt? 

Das Corona-Virus schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Weltfußball. Es ist ungewiss, wie es in naher Zukunft weitergehen kann. Wann kann wieder gespielt werden? Wie lange dauert es, bis Fans ihren Herzensverein wieder live vor Ort anfeuern dürfen? Geht jetzt ein Klub nach dem anderen Pleite? Kommt es vielleicht sogar zu einer Neuausrichtung, einem Systemwandel?

Corona, Geisterspiele und die wirtschaftlichen Folgen
Die wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Fußball scheinen die offensichtlichsten Konsequenzen der Corona-Krise auf die Sportart darzustellen. „Die nächsten Monate werden sicher kritisch werden“, meint Georg Pangl im Gespräch mit krone.at. Der ehemalige Vorstand der österreichischen Bundesliga und Ex-Generalsekretär der European Leagues führt weiter aus: „Es fehlt an allen Ecken und Enden an Bargeld, das wird eine riesen Herausforderung werden“. Droht gar eine Massenpleite von Profiklubs in ganz Europa? Dies verneint Pangl ganz klar: „Es wird vielleicht den ein oder anderen Verein treffen, aber grundsätzlich sollte auch die Mittelschicht überleben und in Zukunft wieder durchstarten können.“

Etwas skeptischer sieht das der Ex-Profi und jetzige Coach für Persönlichkeitsentwicklung Peter Hackmair (hier geht es zum ganzen Interview): „Man sieht ja schon nach kurzer Zeit des Stillstands, dass viele Vereine in Österreich und sogar in der wirtschaftlich starken deutschen Bundesliga ins Straucheln kommen, weil keine Reserven vorhanden sind.“ Noch dazu könnten die so wichtigen Sponsoreneinnahmen für viele Klubs zukünftig wegfallen, da viele Firmen selbst um ihren Fortbestand kämpfen werden. Hackmair sieht auch ein großes Risiko eines mehrmonatigen Zeitraums mit Geisterspielen in Verbindung mit dem Ausfall von Sponsorengeldern. „Wie attraktiv bleibt der Fußball dann noch?“, stellt er in den Raum.

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Wie fad und unrealistisch ist bitte ein Spiel ohne Zuschauer? Das werden wir auch in der Leistungsfähigkeit der Spieler sehen.

Paul Scharner

Die Auswirkung von Geisterspielen auf die Attraktivität des Fußballs betrachtet auch Paul Scharner mit großem Argwohn: „Wie fad und unrealistisch ist bitte ein Spiel ohne Zuschauer? Das werden wir auch in der Leistungsfähigkeit der Spieler sehen. Die meisten sind dabei extrinsisch motiviert durch den Einfluss der Fans.“ Der Ex-Teamspieler prophezeit dabei vor allem „einen deutlichen Einbruch der Leistungsdaten.“

Verliert der Fußball eine Generation an Fußballern?
Paul Scharner ist nach dem Ende seiner aktiven Karriere als Berater für Jugendspieler tätig. In seiner Funktion sieht er große Gefahren im derzeitigen Stillstand für die Entwicklung des Nachwuchses: „Es birgt ein großes Risiko, dass sich möglicherweise einige Generationen nicht so entwickeln, wie sie das sollten. Deshalb hofft der FA-Cup-Sieger von 2013 auf “eine baldige Wiederaufnahme des alltäglichen Trainingsbetriebs in Akademien."

Droht sonst ein Ausfall von einer oder gar von mehreren Spielergenerationen? „Es kommt drauf an, wie man reagiert. Wichtig wird es sein, fokussiert mit einem richtigen Konzept anzuschließen und dagegenzuwirken, damit die entstandenen Defizite bestmöglich abgefedert werden“, meint Scharner auf diese Frage. Eine neue Zeitstruktur in den Akademien sei von großer Bedeutung, denn „sechs Einheiten plus Match sind nicht genug um das Versäumte aufzuholen.“ Solche und andere Vorschläge können den Verlust einer Generation verhindern. Schließlich „kann man jede Krise auch als Chance sehen.“

Milliardenindustrie ohne Realitätsbezug? (Mögliche) Versäumnisse der letzten Jahre

Ein großer Kritikpunkt an der Entwicklung der letzten 20 Jahre ist die immer größere Profitgier und das Entfernen vom Ursprungsgedanken des Fußballs: Eine Unterhaltung für jeden Menschen, egal welcher Klasse.

Georg Pangl nahm in seinen Funktionen als Bundesliga-Vorstand und Generalsekretär der European Leagues oft die Rolle des Vermittlers zwischen Fans und Verantwortlichen ein: „Ich war immer ein Kämpfer für die Werte im Fußball. Es war mein Bemühen die auseinandergehenden Schienen zwischen Arm und Reich so gut es geht zu verkleinern.“ Eine Entwicklung, die Pangl kritisch betrachtet, ist die immer größere Vorhersagbarkeit im Fußball. „Heutzutage gewinnt ein Favorit mit 80% bis 90% Wahrscheinlichkeit seine Spiele. Als ich noch jünger war, hat immer wieder der Außenseiter die Chance gehabt dem vermeintlichen Favoriten das Haxl zu stellen. Das gibt es jetzt nur noch ganz selten“, gibt der Burgenländer zu bedenken.

Zum Thema Profitgier und fehlendem Realitätsbezug fällt Paul Scharner vor allem eines ein: „Gier frisst Hirn.“ Der 40-jährige Niederösterreicher beklagt, dass Vereine zu reinen Wirtschaftsunternehmen geworden sind. „Der Bezug zu den Menschen, die in der Region leben und ins Stadion gehen, ist komplett verloren gegangen“, bedauert Scharner. Auch die in der Vergangenheit oft angestellten Überlegungen zur einer europäischen Superliga sind ihm ein Dorn im Auge: „Der Fußball wird nicht sehenswert sein ohne kleine Vereine und Underdogs. Ich weiß nicht, ob eine Superliga der Weisheit letzter Schluss ist.“

Rückbesinnung, kleine Veränderungen oder alles beim Alten?
Viele Herausforderungen, die auf den Fußball zukommen werden, sind, wie so vieles in dieser Krise, noch nicht wirklich abschätzbar. Genau deshalb bietet sich jetzt die einmalige Gelegenheit für eine gründliche Reflexion des gesamten Systems. Wird es einen Neustart geben mit der Rückbesinnung auf alte Tugenden? Sollte es zu kleineren Adaptierungen kommen, die einem ohnehin gut funktionierenden System erfolgreich aus der Krise verhelfen? Oder lässt man alles beim Alten, da der Fußball ohne diese Krise keinerlei Probleme hätte?

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In den Diskussionen der letzten Wochen hat man gemerkt, dass nationale Ligen einen höheren Stellenwert bekommen haben. Da gab es ein Umdenken auf europäischer Ebene.

Georg Pangl

Darf man den Worten von FIFA-Boss Gianni Infantino Glauben schenken, wird zumindest an einigen Schrauben des Systems gedreht. „Vielleicht können wir den Fußball reformieren, indem wir einen Schritt zurück machen“, sagte er in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung „Gazzetta dello Sport“. Auch Georg Pangl ist dieser neuen Denkansatz bei FIFA und UEFA nicht entgangen: „In den Diskussionen der letzten Wochen hat man gemerkt, dass nationale Ligen einen höheren Stellenwert bekommen haben. Da gab es ein Umdenken auf europäischer Ebene.“ Dieses Momentum sollte seiner Meinung nach genutzt werden: „Ich habe immer gesagt: Die nationalen Ligen sind das Brot und die Butter und die europäischen Bewerbe sind mehr oder weniger der Kaviar.“

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Allerspätestens wenn das System komplett kollabiert, wird es zu einer Art Neugründung eines globalen Fußballverbands kommen

Peter Hackmair

Peter Hackmair reichen kleinere Adaptierungen nicht aus. Er plädiert für eine komplette Neuausrichtung des Fußballs. Er hofft auf weitreichende Reformen, die in einem Zusammenspiel zwischen Spitze und Basis geschaffen werden. Es brauche „nicht nur neue Köpfe, sondern auch ein neues System.“ Die Krise, so hofft er, soll „Einschnitt genug sein“ um die richtigen Lehren zu ziehen. „Allerspätestens wenn das System komplett kollabiert, wird es zu einer Art Neugründung eines globalen Fußballverbands kommen“, prophezeit der Oberösterreicher.

Lehren aus der Vergangenheit und der Blick in die Zukunft
Welche Schritte können nun gesetzt werden, damit der Fußball trotz Krise und vergangener Versäumnisse an der Spitze bleibt?

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Das Gute am Fußball ist, dass er einfach zu spielen ist. Man braucht quasi nix und kann ihn überall spielen. Das kann man dem Fußball auch niemals wegnehmen.

Paul Scharner

Immer größeren Anklang in der Welt des Fußballs finden Ideen des amerikanischen Systems, wie Gehaltsobergrenzen und Draft-Verfahren. Erst kürzlich dachten Juventus-Sportdirektor Fabio Paratici und Hannover-Boss Martin Kind laut über mögliche Reformen dieser Art nach. Auch Georg Pangl findet Gefallen am amerikanischen Vorbild, um die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern. Dazu meint er: „Eine Einführung des Draft-Systems oder von Gehaltsobergrenzen sind zwei Aspekte, die man diskutieren und auch umsetzten könnte, damit die Ausgeglichenheit wiederhergestellt wird. Die besten Talente könnten zum Beispiel bei kleineren Klubs zu günstigen Konditionen spielen. Auch eine Umverteilung der erspielten Gelder wäre eine Möglichkeit die kleinen und mittleren Vereine näher an die Spitze heranzuführen.“

Peter Hackmair hingegen schlägt einen „Stufenplan“ vor, der den Fan abholt und den Fußball „back to basic“ bringt. Damit soll verhindert werden, dass die Entwicklung zum Elitesport weiter voranschreitet. Auch Paul Scharner wünscht sich Vereine, die „in der Community verankert sind“. Laut ihm braucht es dafür eine Vereinskultur „mit menschenkonformen Werten und Prinzipien.“

Wie sehr die Krise den Fußball verändern wird, weiß derzeit niemand. Ob es eine komplette Neuausrichtung geben wird, darf ob der Entwicklung der letzten Jahre ernsthaft bezweifelt werden. Egal wie es in den kommenden Jahren weitergeht, Fußball wird, in welcher Form auch immer, weiterbestehen. Da ist sich auch Paul Scharner sicher: „Das Gute am Fußball ist, dass er einfach zu spielen ist. Man braucht quasi nix und kann ihn überall spielen. Das kann man dem Fußball auch niemals wegnehmen.“

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(Bild: KMM)



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