Über 100 NGOs warnen

Corona „kein Freibrief für digitale Überwachung“

Web
02.04.2020 15:07

Mehr als 100 zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppen haben am Donnerstag davor gewarnt, dass die weltweite Coronavirus-Krise nicht als Deckmantel für den Beginn einer neuen Ära intensiver digitaler Überwachungstechnologien benutzt werden dürfte. In dem Schreiben fordern sie die Regierungen auf, bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie eine Führungsrolle zu übernehmen, die sicherstelle, dass der Einsatz digitaler Technologien zur Verfolgung und Überwachung von Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen streng im Einklang mit den Menschenrechten erfolge. Zu den Unterzeichnenden der Erklärung gehören Amnesty International, Access Now, Human Rights Watch und Privacy International.

„Technologie kann eine wichtige Rolle bei den weltweiten Bemühungen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie spielen, doch gibt das den Regierungen keinen Freibrief für die Ausweitung der digitalen Überwachung. Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass die Regierungen oft nicht bereit sind, vorübergehende Überwachungsbefugnisse wieder aufzugeben. Wir dürfen jetzt nicht in einen permanenten erweiterten Überwachungsstaat schlittern“, sagte Rasha Abdul Rahim, die stellvertretende Leiterin von Amnesty Tech, der Technologieabteilung bei Amnesty International, in einer Aussendung.

Folgende Bedingungen sollten dem Schreiben nach unter anderem von allen Regierungen bei einer verstärkten digitalen Überwachung erfüllt sein: Die Maßnahmen sollten rechtmäßig, notwendig, verhältnismäßig, transparent und gesetzlich vorgesehen sein. Die Befugnisse sollten zeitlich begrenzt sein und nur so lange wie nötig fortbestehen, um die aktuelle Pandemie zu bekämpfen. Persönliche Daten sollten nur für die Zwecke der Reaktion auf die Pandemie verwendet werden und es sollten auch die Situationen von Minderheiten, in Armut lebenden Menschen und andere marginalisierten Bevölkerungsgruppen ausreichend miteinbezogen werden.

Kritik an Ungarns Notstandsgesetz
Amnesty International veröffentlichte am Donnerstag zudem generelle Empfehlungen zum Umgang mit der Corona-Krise für Staaten in Europa. Darin werden die Staaten aufgefordert, sicherzustellen, dass ihre Reaktionen auf die Krise mit ihren internationalen und regionalen Menschenrechtsverpflichtungen im Einklang stehen. Explizit verwies die Menschenrechtsorganisation dabei auf die Situation in Ungarn.

Dort wurde am vergangenen Montag ein Notstandsgesetz mit der Zwei-Drittel-Mehrheit der rechtsnationalen Regierungspartei Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban im Parlament beschlossen. Das Gesetz ermöglicht es Orban, für unbegrenzte Zeit und ohne parlamentarische Kontrolle per Dekret zu regieren. Das Parlament und Wahlen werden ausgesetzt. Zudem sieht das Gesetz auch Änderungen beim Strafrecht vor.

„Keine Regierung darf Situation für eigenen Machtausbau missbrauchen!"
„Die Einschränkungen einiger unserer grundlegendsten Menschenrechte verbreiten sich in manchen Staaten Europas fast so schnell wie das Virus selbst“, hieß es seitens Annemarie Schlack, der Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, in einer Aussendung. Mit Blick auf Ungarn sagte sie: „Die Europäische Union und damit jeder einzelne Mitgliedsstaat ist jetzt gefordert: Keine Regierung darf die aktuelle Situation für den eigenen Machtausbau missbrauchen!“

Regierungen müssten Maßnahmen zur Kontrolle der Ausbreitung der Pandemie ergreifen, Menschenrechte müssten aber im Mittelpunkt aller Bemühungen stehen. „Die Situation in unserem Nachbarland Ungarn ist ernst. Aber sie macht uns bei Amnesty International entschlossener denn je! Wir stehen Seite an Seite mit den Menschen in Ungarn und werden uns weiter gemeinsam für ihre Rechte einsetzen“, so Schlack.

„Schutz der Schwächsten“
Die am Donnerstag veröffentlichten Empfehlungen geben klare Richtlinien vor, wie Regierungen auf die anhaltende Pandemie reagieren sollten und was sie nicht tun sollten. Dazu gehören die Gewährleistung des Rechts der Menschen auf Gesundheit, die Gewährleistung des Rechts auf Wohnung, Wasser und sanitäre Einrichtungen sowie die Gewährleistung des Schutzes der Schwächsten in der Gesellschaft.

Zudem sollte niemand in dieser schweren Zeit diskriminiert werden. So hätten zum Beispiel in mehreren europäischen Ländern die Behörden über Hassverbrechen gegen Menschen, die als Chinesen oder Ostasiaten wahrgenommen wurden und die für die Verbreitung von Covid-19 verantwortlich gemacht wurden, berichtet.

Erhöhtes Infektionsrisiko für Randgruppen
Amnesty International warnte auch davor, dass Randgruppen einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt seien, weil sie sich während der Pandemie nicht wirksam schützen könnten. Dazu gehörten Obdachlose, Migranten und Flüchtlinge, ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Häftlinge sowie Menschen in Einrichtungen wie Pflegeheimen und psychiatrischen Einrichtungen.

Zudem machte die Organisation in ihrem Schreiben auf geschlechtsspezifische Probleme aufmerksam. Für viele Frauen und Mädchen bedeute „zu Hause bleiben“, in einer unsicheren Umgebung mit einem missbrauchenden Verwandten oder Partner sein zu müssen. Daher sollten Staaten Ressourcen und Hilfe diesbezüglich bereitstellen. Zu guter Letzt sei das Recht auf freie Meinungsäußerung zu schützen.

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