Der Druck auf die Mitarbeiter des Online-Kaufhauses Amazon ist offenbar höher, als aus bereits bekannten und ohnedies nicht schmeichelhaften Berichten ehemaliger Angestellter hervorgeht. Wer bei dem E-Commerce-Giganten arbeitet und das seitens des Arbeitgebers gewünschte Pensum nicht erfüllt, muss nämlich damit rechnen, von einem Computer wegen Ineffizienz gekündigt zu werden.
Das berichtet das US-amerikanische IT-Portal „The Verge“ unter Berufung auf ein Schreiben der Anwälte des Konzerns. Daraus geht hervor, dass die Produktivität der Mitarbeiter und insbesondere die „Time Off Task“, also die Zeit, die etwa für Pausen oder WC-Besuche aufgewendet wird, von den IT-Systemen des Online-Riesen lückenlos überwacht wird und Beschäftigte mit zu viel „Leerlauf“ damit rechnen müssen, dass sie von diesen Computersystemen gekündigt werden.
Automatische Mahnungen, Abteilungsleiter-Vetorecht
Vor der Kündigung werden offenbar automatisch Abmahnungen an Mitarbeiter verschickt, die das von Amazon gewünschte Soll nicht erfüllen. Verbessert sich ihre Leistung nicht, folgt die ebenfalls automatisiert ausgestellte Kündigung. Die kann vom zuständigen Abteilungsleiter zwar noch abgewendet werden, allzu oft scheint das aber nicht zu passieren. Manch ein Amazon-Mitarbeiter soll sich deshalb sogar die WC-Pause verkneifen, um im Produktivitäts-Ranking nicht nach unten zu rutschen.
In einem Jahr jeden zehnten Mitarbeiter gefeuert
In einem US-Logistikzentrum in Baltimore, in dem in Summe rund 3000 Menschen arbeiten, sollen auf diese Weise zwischen August 2017 und September 2018 rund 300 Mitarbeiter entlassen worden sein. Das würde bedeuten, dass in diesem einen Logistikzentrum binnen Jahresfrist ein Zehntel der Belegschaft ausgetauscht wurde, weil es die Arbeitsvorgaben des Amazon-Managements nicht erfüllen konnte. In Nordamerika, wo insgesamt 125.000 Menschen in 75 Amazon-Lagern arbeiten, dürften demnach jedes Jahr Tausende Menschen von einem Computersystem gekündigt werden.
Europa: Strengere Gesetze und wehrhafte Gewerkschaft
Wie sich die Sache hierzulande darstellt, geht aus dem Bericht aus den USA nicht hervor. Da es in Europa strengere Gesetze und einen höheren Mitarbeiterschutz gibt, dürfte die Lage aber nicht so dramatisch sein wie in den USA. Klagen über Amazon gibt es aber auch in Europa - etwa von der deutschen Gewerkschaft Ver.di, die seit Jahren Amazon-Lager bestreikt, weil der Online-Händler aus ihrer Sicht den falschen Kollektivvertrag - Logistik statt Versandhandel - anwendet.
„Sie behandeln einen, als wäre man ein Roboter“
Mitarbeiter in einem Amazon-Lager in Swansea in Großbritannien beklagten zudem vor einigen Monaten: „Sie behandeln einen, als wäre man ein Roboter!“ Gewerkschafter sehen in der lückenlosen Überwachung der Amazon-Belegschaft nicht nur ein ethisches Problem, sondern auch ein gesundheitliches. „Die Leute stehen unter einem solchen Druck. Sie werden entmenschlicht und in Roboter verwandelt, und dann passieren Unfälle“, sagt ein Gewerkschafter, der mit den Vorgängen in Swansea vertraut ist.
Amazon bietet langsamen Mitarbeitern Schulungen
Bei Amazon selbst beteuert man, dass man das Arbeitspensum nicht willkürlich festsetze, sondern sich daran orientiere, ob die Performance von drei Viertel der Belegschaft bereits erbracht werde. Besonders langsamen Mitarbeitern - den aus Sicht der IT-Systeme unproduktivsten fünf Prozent - biete man vor einer Kündigung Schulungen an, um ihre Produktivität zu steigern. Eine Kündigung werde auch keineswegs sofort ausgesprochen, wenn jemand einen schlechten Tag hatte. Vielmehr werte man die Produktivität und die Entwicklung über einen längeren Zeitraum von zwölf Monaten aus.
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