Ilisu-Staudamm

Österreich steigt aus Projekt aus

Ausland
07.07.2009 12:20
Österreich, Deutschland und die Schweiz stoppen die Export-Risikoversicherungen für den Ilisu-Staudamm in der Türkei. Die mehr als 150 Auflagen im Bereich Umwelt, Kulturgüter und Umsiedlung konnten "trotz teilweise erheblicher Verbesserungen" innerhalb der vertraglich festgelegten Frist, die zu Mitternacht abgelaufen ist, nicht erfüllt werden, teilten die Exportkreditversicherer Österreichs (Kontrollbank), Deutschlands (Euler-Hermes) und der Schweiz (Serv) am Dienstag in einer Aussendung mit. Das heißt für Österreich, dass der Staudamm nicht mit Staatshaftungen aus unserem Land mitfinanziert wird.

Für den steirischen Anlagenbauer Andritz geht es bei dem Projekt um einen 235-Millionen-Euro-Auftrag. Der Ausstieg der Europäer aus dem Projekt sei zwar bedauerlich, aber für das Unternehmen ergeben sich dadurch "keine nennenswerten finanziellen Auswirkungen", so Andritz-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Leitner. Bis dato sei der Auftrag "erst in einem sehr geringen Umfang" als Auftragseingang verbucht worden. Andritz wird nun die Entscheidung der türkischen Regierung hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise bezüglich des Projekts abwarten, so das Unternehmen.

Als Grund für den Ausstieg gaben die Kreditversicherer an, dass die Grundlagen für eine Fortführung des Projekts mit staatlicher Absicherung "nicht mehr gegeben" seien. Als Folge davon enden die Exportgarantien, hieß es am Dienstag in einer gemeinsamen Aussendung.

"Strenge Anforderungen" nicht erfüllt
Die Exportkreditversicherer haben seit Projektbeginn "strenge Anforderungen" an die Übernahme der Exportgarantien gestellt. Wichtigstes Ziel war, die Auswirkungen des Kraftwerksprojektes auf die in der Region lebenden Menschen sowie auf Umwelt und Kulturgüter zu minimieren und die dafür geltenden Standards der Weltbank zu erfüllen.

Anfang Dezember 2008 wurde der Türkei ein "blauer Brief" geschickt, da die Auflagen bis dahin nicht erfüllt wurden. Die Lieferkonsortien wurden angewiesen, die Bau- und Lieferverträge zu suspendieren, und die vertraglich vorgesehene letzte Frist von 180 Tagen zur Umsetzung dieser Standards wurde gesetzt.

ECA-Watch: "Ein großer Erfolg"
Der europäische Rückzug aus dem Ilisu-Projekt ist am Dienstag auf breite Zustimmung gestoßen. Für ECA-Watch ist es "ein großer Erfolg, den es bis jetzt noch nicht gegeben hat", sagte Sprecher Ulrich Eichelmann in einer ersten Stellungnahme. Die Chancen seien jetzt "so groß wie nie", dass der Damm nicht gebaut wird. Die Ankündigung der Türkei, dass sie den Damm auch ohne westliche Hilfe errichten möchte, ist nach Ansicht von Eichelmann "unrealistisch", da es dem Land am nötigen Know-how fehle.

Der Ausstieg der Europäer wird auch vom Bürgermeister der archäologisch bedeutenden Stadt Hasankeyf, Abdulvahap Kusen, begrüßt. "Wir wollen nicht, dass Hasankeyf zerstört wird. Wir wollen, dass es für die kommenden Generationen erhalten bleibt", sagte Kusen. Er forderte, die Jahrtausende alte Ortschaft als UNESCO-Weltkulturstätte zu schützen.

"Gute Entscheidung", "Rücktritt war unumgänglich"
Begrüßt wird der Ausstieg aus dem Projekt auch von Finanzstaatssekretär Andreas Schieder (SPÖ). Das sei "eine gute Entscheidung", sagte er am Dienstag mit Verweis auf offene Fragen bezüglich Umweltschutz und Menschenrechte. Befürwortet wird der Ausstieg auch von den Freiheitlichen. Aus vielen Gründen sei der Rücktritt Österreichs "aus dem Haftungsszenario mit Steuergeldern unumgänglich" gewesen, sagte FPÖ-Umweltsprecher Norbert Hofer. Ähnlich wird der Rückzug von den unabhängigen Gewerkschaftern gesehen. "Den österreichischen Steuerzahlern ist jedenfalls die Haftung für dieses aus vielerlei Gründen fragwürdige Projekt erspart geblieben", sagte Markus Koza, Vertreter der unabhängigen Gewerkschafter im ÖGB-Bundesvorstand.

Türkei: Westlicher Rückzug ist "politisch motiviert"
Die türkische Regierung hat den Rückzug der Kreditgarantien für den Ilisu-Staudamm durch Österreich, Deutschland und der Schweiz als politisch motiviert kritisiert. Die mit der Überwachung der Kreditauflagen beauftragten Expertenkomitees seien sich überwiegend einig gewesen, dass die Auflagen erfüllt seien und die Kredite nach Ablauf der sechsmonatigen Nachbesserungsfrist am 6. Juli wieder freigegeben werden sollten, erklärte das Umweltministerium am Dienstag in Ankara. Dass die Kreditversicherungsinstitute gegen die Empfehlung der Experten gehandelt hätten, zeige, dass es eine "politische Entscheidung" sei.

Nach Angaben des Ministeriums hatten die Expertenkomitees für Umsiedlung, für Umwelt und für Finanzen für eine Freigabe der Kredite votiert; lediglich im Expertenkomitee für Kulturgüter habe es keine Einigkeit darüber gegeben.

Türkei will Damm trotzdem bauen
Die Türkei bleibe weiterhin entschlossen, den Staudamm zu bauen, betonte das Ministerium. Das Ilisu-Projekt sei sowohl energie- als auch entwicklungspolitisch notwendig. Zur Frage eines neuen Finanzierungsmodells nach dem Wegfall der europäischen Kredite äußerte sich die Regierung allerdings nicht.

Mega-Projekt mit 22 Staudämmen
Der Ilisu-Damm gehört zum sogenannten Südostanatolien-Projekt, einem Netzwerk aus 22 Staudämmen und 19 Wasserkraftwerken, mit dem Ankara dem verarmten Südosten des Landes wirtschaftlich auf die Beine helfen will. Der Damm soll 1,8 Kilometer lang und 135 Meter hoch sein und mehr als zehn Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem Tigris aufstauen. Das Kraftwerk wird eine Leistung von 1.200 Megawatt haben.

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