Abkommen in Gefahr

Nach Votum: Schweiz fürchtet “Guillotine-Klauseln”

Ausland
12.02.2014 07:19
Nach dem Ja zur Initiative gegen Masseneinwanderung in die Schweiz steigt die Nervosität in Bern angesichts der drohenden Konsequenzen für die bilateralen Abkommen mit der EU. Zahlreiche dieser sind mit sogenannten "Guillotine-Klauseln" versehen, also eng miteinander verzahnt und stehen oder fallen gemeinsam. Als erste Reaktion seitens der EU wurden die Verhandlungen zu einem gemeinsamen Stromabkommen ausgesetzt.

Die seit 2007 andauernden Verhandlungen über das Abkommen, das den Zugang der Schweiz zum europäischen Strommarkt zum Gegenstand hat, befanden sich eigentlich auf der Zielgeraden. Nun hat die EU-Kommission "ein demnächst geplantes Treffen auf technischer Verhandlungsebene abgesagt", wie es am Dienstag seitens des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten hieß.

Zahlreiche Abkommen nun gefährdet
Die EU-Kommission bestätigte ebenfalls: "Die Situation ist die, dass es angesichts der neuen Situation keine Gespräche im technischen Bereich zwischen der Schweiz und der EU gibt", erklärte eine Sprecherin. Neben dem Stromabkommen sind nun auch das Forschungsrahmenprogramm "Horizon2020" und das Austauschprogramm "Erasmus+" gefährdet.

Die Kommission sei angesichts dieser großen Herausforderungen "sehr besorgt" gewesen, sagte der Präsident der Außenpolitischen Kommission des Nationalrats in der Schweiz, Carlo Sommaruga. Konkrete Lösungsvorschläge seien bisher nicht diskutiert worden.

Bundespräsident: "Wollen Freizügigkeit mit EU nicht auflösen"
Zur EU gab es laut dem Schweizer Bundespräsidenten Didier Burkhalter bereits am Montag Kontakte, jedoch nur auf informeller Ebene. Nächste Woche soll eine erste diplomatische Mission starten. Ziel sei es, die bestehenden Abkommen aufrechterhalten zu können. "Es gibt in der Schweiz keinen politischen Willen, das Freizügigkeitsabkommen aufzulösen", sagte Burkhalter. Dass die EU das Abkommen ihrerseits kündigen wolle, sei aber nicht auszuschließen, so der Schweizer Präsident.

In der Nacht auf Mittwoch äußerte sich erstmals der EU-Botschafter in der Schweiz, Richard Jones, zum Ergebnis der Volksabstimmung und dessen Folgen. Er lässt keine Zweifel offen: Die EU wird eine Beschränkung der Personenfreizügigkeit ablehnen. Eine solche Beschneidung eines EU-Grundprinzips sei eine "rote Linie". Kontingente für Zuwanderer "sind für uns kein Thema, Verhandlungen darüber werden sehr kurz ausfallen", sagte Jones gegenüber dem "Tagesanzeiger".

Kurz kritisiert "Rosinenpicken"
Tatsächlich äußerten sich mehrere EU-Außenminister am Montag besorgt. Österreichs Ressortchef Sebastian Kurz kritisierte das "Rosinenpicken" der Schweiz und sprach sich im Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" (Dienstagsausgabe) gegen eine Sonderbehandlung des Nachbarlandes aus.

Gefragt nach einem möglichen Modell "Personenfreizügigkeit light", sagte Kurz, dass es nicht möglich sei, "einzelne Rechte und Pflichten zu kippen, und den Rest zu behalten". Auch die bilaterale Zusammenarbeit mit Österreich stehe nun in Gefahr, erklärte Kurz unter Verweis auf Kooperationen in den Bereichen Wirtschaft und Forschung.

Mangel an Arbeitskräften droht
Die Schweizer Wirtschaft befürchtet bereits, dass Arbeitskräfte in den nächsten Jahren knapper werden könnten. Bereits heute gibt es knapp 110.000 offene Stellen in der Schweiz. Jede fünfte davon betrifft einen Handwerksjob, bei jeder neunten Stelle wird jemand in Führungsposition gesucht.

Nach der Annahme der Zuwanderungsinitiative dürfte die Personalsuche für Arbeitgeber aufwändiger werden. Das bekommen auch die Basler Pharmakonzerne zu spüren. Novartis und Roche rangieren auf den Plätzen zwei und drei unter jenen Arbeitgebern mit dem größten Personalbedarf.

Könnte Österreich vom Votum profitieren?
Für die österreichische Wirtschaft wiederum könnte die Zuwanderungsbeschränkung in der Schweiz sogar "ungewollt positive Auswirkungen" haben, wie Industriellenvereinigung-Generalsekretär Christoph Neumayer in der "Presse" betonte. Fachkräfte, die wegen der neuen Bestimmungen nicht in die Schweiz gehen dürfen, könnten nach Österreich geholt werden, so Neumayer.

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