Bürger oder Polizei?

Politik im Dilemma um Internet-Überwachung

Web
15.02.2011 09:32
Die Regierung kann sich weiterhin nicht auf die längst fällige Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einigen. Eine letzte Verhandlungsrunde am Montagabend verlief erfolglos, das Thema wurde von der Tagesordnung für den Ministerrat am Dienstag genommen. Es spießt sich einerseits an den Wünschen der ÖVP, die weiterhin darauf drängt, die Daten aus der Internetüberwachung auch für zivilrechtliche Verfahren (z.B. Urheberrecht) zuzulassen. Die SPÖ wiederum will das Gesetz derart eng fassen, dass die Polizei Verschlechterungen ortet.

Die ÖVP ist der Ansicht, dass mit dem vorliegenden Vorschlag - formal zuständiges Ressort ist jenes von SP-Infrastrukturministerin Doris Bures - bereits bestehende Möglichkeiten der Bekämpfung von Internetkriminalität eingeschränkt werden würden.

Knackpunkt sei die Frage, bei welchen Delikten der Zugriff erlaubt sei, und die Bekämpfung von Kinderpornografie etwa könne erschwert oder gar unmöglich gemacht werden, warnte am Montagabend ein Sprecher von Justizministerin Claudia Bandion-Ortner. Das Infrastrukturministerium argumentiere hier mit Kosten, aber "wir wollen die bestehenden Instrumente im Kampf gegen schwere Internet-Kriminalität auch weiterhin zur Verfügung haben".

Für Delikte ab einem Jahr Haft?
Das Infrastrukturministerium will auch gar nichts von Limitierung wissen: "Auf keinen Fall sollen Möglichkeiten eingeschränkt werden. Wir wollen nur den entsprechenden Rechtsschutz beim Zugriff." Unter dem Begriff der "schweren Straftat", wie er in der EU-Richtlinie steht, seien all diese gravierenden Delikte ja ohnehin erfasst.

Dem Vernehmen nach soll die SPÖ als Grenze Delikte mit Höchststrafandrohung ab einem Jahr vorgeschlagen haben - womit auch Kinderpornografie erfasst wäre. Dies bestätigte das Justizministerium so allerdings nicht.

Boltzmann-Institut sieht Einschränkung nicht gegeben
Das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, von dem Bures die Richtlinie in Sachen Datenschutz ausarbeiten ließ, sieht die Ermittlungen wegen Kinderpornografie indes keineswegs eingeschränkt, hieß es am Dienstag. Die Befürchtungen des Justizministeriums würden im besten Fall auf einem Missverständnis beruhen. Im Institut vermutet man eine "vorgeschützte Debatte", um von den eigentlichen Rechtsschutzfragen abzulenken.

Der Entwurf sehe in §99 nämlich vor, dass IP-Adressen für die Verhinderung und Verfolgung von allen Straftaten zur Verfügung stehen sollen, und zwar unabhängig von bestimmten Strafdrohungen. Dem Wunsch der Justiz, auch Fälle von Kinderpornografie mit Strafdrohungen von weniger als einem Jahr verfolgen zu können, werde damit Rechnung getragen.

ÖVP will Tore für Abmahnanwälte öffnen
Die SPÖ warnt jedoch wiederum davor, die Richtlinie als Vehikel dafür zu verwenden, für andere Delikte den Zugriff zu öffnen. So habe die ÖVP auch urheberrechtliche Fragen ins Spiel gebracht, war zu hören, worunter man sich etwa die Verfolgung von Musik- oder Filmdownloadern vorstellen könnte, was einer bedingungslosen Auslieferung der österreichischen Staatsbürger an die Contentindustrie und ihre Abmahnanwälte gleichkommen würde.

Entsprechend der Tenor aus der Sozialdemokratie: Dafür solle die Volkspartei aber bitte eigene Gesetze schreiben, anstatt solche Maßnahmen in eine Anti-Terror-Richtlinie zu verpacken.

Wer soll das bezahlen?
Letzter strittiger Punkt ist die Kostenfrage: Nach Darstellung aus SPÖ-Kreisen kann man sich nicht einigen, wer die einmaligen Anschaffungskosten für Speichermedien - die bei den Telekom-Betreibern stehen müssen - übernehmen soll. 15 bis 20 Millionen Euro wurden als Richtwert genannt.

Das Infrastrukturministerium sieht sich dafür nicht zuständig, sei das Ganze doch eine sicherheitspolitische Maßnahme. Im Justizministerium hat man von Bures "bis heute keine haushaltsrechtskonforme Lösung vorgelegt" bekommen, hieß es.

WKÖ fordert Zurückhaltung
Die Wirtschaftskammer, konkret die Bundessparte Information und Consulting in der WKÖ, appellierte zuvor an die Bundesregierung zu einer zurückhaltenden Vorgehensweise. Aus Sicht der Wirtschaft müssten folgende Kriterien berücksichtigt werden: Beauskunftung der Vorratsdaten nur für schwere Straftaten, Richtervorbehalt im Falle der Anforderung der Vorratsdaten und voller Kostenersatz der notwendigen Investitionen. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die Vorratsdatenspeicherung vor dem Hintergrund der Terrorattentate in Madrid und London erarbeitet wurde. Für Bagatelldelikte war die Regelung nie gedacht", warnte Hans-Jürgen Pollirer von der WKÖ.

Die WKÖ fordert auch einen Kostenersatz für die Telekom-Unternehmen: "Die Unternehmen benötigen diesen umfassenden Datenfriedhof nicht. Im Gegenteil: Netzbetreibern wäre ein Zugriff auf den technisch abgesonderten Datenpool für eigene Zwecke nach dem derzeitigen Entwurf ausdrücklich untersagt." Dass die Kosten für die technische Implementierung, der Aufrechterhaltung der Systeme und die laufenden Beauskunftungen von der öffentlichen Hand zu tragen sind, ergebe sich außerdem aus der Rechtsprechung des VfGH zu den Überwachungskosten in der Strafverfolgung.

Arge Daten gegen jegliche Speicherung
Grundsätzliche Kritik kam erneut vom Datenschutzverein Arge Daten. Das ÖVP-Argument, dass bereits jetzt Daten von den Telekomunternehmen gespeichert und ausgewertet würden, wies Leiter Hans Zeger zurück. Dies erfolge ausschließlich zur Diensterbringung der Provider sowie für die Abrechnung, und zwar allerhöchstens für drei Monate. Allerdings gebe es eine "gewisse Grauzone". Die Polizei versuche, die Provider unter Druck zu setzen, um solche Daten zu erhalten. "Das ist eine Welt, in der sich das Innenministerium sehr wohl fühlt und die sie gerne weiter hätte".

Doch auch am Entwurf des Infrastrukturministeriums ließ er kein gutes Haar. "Jeder Versuch, den Bures macht, ist bestenfalls gut gemeint, aber nicht gut gemacht", sagte Zeger. Er lehne die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ab, sie widerspreche auf jeden Fall dem Rechtsgrundsatz des Anspruchs auf ein unbeobachtetes Leben.

Gesetzlicher Generalverdacht gegen Internetuser
Mit der Vorratsdatenspeicherung sollen sämtliche Verbindungsdaten von Internet-, Telefon- und E-Mail-Anwendern ein halbes Jahr lang gespeichert werden - und zwar bei allen Teilnehmern, ohne Vorliegen eines konkreten Tatverdachts, auf Vorrat eben. Damit können die Behörden künftig feststellen, wer, wann, wie lange, von wo aus mit wem kommuniziert und welche Internetseiten er/sie besucht hat. Verwendet werden sollen die Daten laut einer 2006 unter dem Eindruck u.a. der Terroranschläge von Madrid erlassenen EU-Richtlinie zur "Verfolgung von schweren Straftaten".

Österreich hätte die Vorratsdatenspeicherung bis 15. März 2009 umsetzen sollen und ist bereits einmal vom Europäischen Gerichtshof wegen Säumigkeit verurteilt worden. Im Februar ist laut Infrastrukturministerium mit dem zweiten Mahnschreiben in dieser Sache zu rechnen. Ab dann läuft eine zweimonatige Frist. Ist die Umsetzung danach noch immer nicht erledigt, drohen Strafzahlungen, und zwar in Millionenhöhe. Dass die EU-Kommission mittlerweile schon wieder an eine Überarbeitung der Richtlinie - wegen Proteste von Daten- und Konsumentenschützern - denkt, hilft da nach Darstellung des Ministeriums auch nichts: Solange es keine neue gibt, ist die alte in Kraft und umzusetzen.

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