Leseraktion

Zwischen Monitoralarm und Menschlichkeit

Community
16.12.2025 18:00

„Krone“-Leserin Marion M. hat uns das Gedicht ihrer Tochter zukommen lassen, das sie auf der Intensivstation in einem Wiener Spital verfasst hat. Sie vermittelt dabei ihre Erlebnisse und ihre Dankbarkeit als Patientin.

Zwischen Monitoren

Zwischen Monitoren,
im gedämpften Licht der Nacht,
hörte ich zuerst nur das Rauschen
meines eigenen Kampfes.

Die Sättigung fiel
wie ein sternenloser Himmel,
Atemzüge zitterten wie dünne Fäden,
und meine Lunge -
erschöpft, widerspenstig,
ein Vogel mit gefalteten Flügeln -
wollte nicht mehr fliegen.

Doch dann wart ihr da,
lautlos wie ein eingespieltes Team von Schutzengeln,
die Hände sicher, die Blicke wach,
in jeder Sekunde bereit,
mich zurück ins Licht zu holen.

Ihr habt meine Werte gelesen,
wie andere Menschen Gedichte lesen:
PEEP, BGA, Atemzugvolumen -
Zahlen, die in euren Augen
zu Bedeutungen wurden,
zu Entscheidungen,
zu gelebter Verantwortung.

CPAP, High-Flow, NIV-Maske …
ihr habt sie an mir eingesetzt
wie Instrumente einer ruhigen,
lebensrettenden Symphonie.

Und auch wenn ich selbst „nur“ Patient war,
habe ich mitgelernt -
in euren Bewegungen, euren Blicken,
in jedem Wechsel der Sauerstoffbrille:
was Vertrauen bedeutet.

Bronchoskopie, Kortison, Geduld -
drei Worte, die für mich
wie Zaubersprüche klangen,
denn sie hielten die Tür offen,
durch die ich zurück ins Leben
treten durfte.

„Am Ende zählt nur eines:
Der Patient muss atmen.“
(Ja, Dr. House sprach es trocken -
aber ihr habt es mit Herz getan.)

Jetzt liege ich hier,
nicht mehr zitternd vor Angst,
sondern geborgen
wie in einem sicheren Hafen,
und ich spüre:
Ihr seid mehr als ein Team.

Ich sehe euch.
Auch dann, wenn meine Augen halb geschlossen sind,
wenn Schmerzmittel, Müdigkeit und Angst
die Konturen der Welt verwischen -
euch sehe ich klar.

Ich sehe die Hand,
die meine zitternde festhält,
wenn ein neuer Zugang gelegt wird
oder ein Monitor laut alarmiert.

Ich sehe den Blick,
der prüfend über die Kurven huscht,
aber weich wird,
wenn er bei mir ankommt.

Ich höre die leisen Sätze,
die ihr zueinander sagt,
wenn ihr denkt,
ich schlafe längst:
Planung, Sorge, Fachsprache -
und dazwischen immer wieder
ein kleines Lachen,
ein Versuch, die Schwere dieser Station
ein wenig leichter zu machen.

Ich spüre den Unterschied
zwischen einer routinierten Berührung
und einer Berührung,
in der Liebe zum Beruf steckt:
Wenn ihr mich umlagert,
mich wascht,
mir die Haare kämmt,
meine Lippen befeuchtet,
die Decke zurechtrückt,
als wäre ich nicht
„der Patient in Zimmer 3“,
sondern ein Mensch,
der jemandem wichtig ist.

Ihr seid da,
wenn die Nacht am längsten ist.
Wenn die Geräusche lauter scheinen,
die Gedanken dunkler,
und die Angst größer:
„Was, wenn es doch nicht besser wird?“

Dann kommt ihr leise ins Zimmer,
richtet eine Kanüle,
prüft einen Schlauch,
fragt mit einer Stimme,
in der Ruhe wohnt:
„Alles in Ordnung? Brauchen Sie etwas?“

Manchmal brauche ich
gar nichts Bestimmtes -
nur genau diese Frage.

Ich weiß,
ihr tragt mehr,
als man euch ansieht.

Ihr tragt die Geschichten
vieler Menschen,
die hier auf dieser Station
um Luft, um Zeit,
um ihr Leben ringen.

Ihr tragt den Druck der Alarme,
die Verantwortung der Entscheidungen,
die Müdigkeit der Nachtdienste,
die körperliche Erschöpfung,
wenn die Schicht mal wieder
ein Marathon ohne Pause ist.

Und trotzdem lächelt ihr.
Trotzdem erklärt ihr mir geduldig
zum dritten Mal am Tag,
was genau dieses Gerät macht,
warum diese Maske wichtig ist
und weshalb das Piepen
manchmal mehr nervt,
als es gefährlich ist.

Ihr vergesst dabei nicht,
dass ich mehr bin
als meine Lunge,
meine Werte,
mein Röntgenbild.

Ihr sprecht mit mir
über das Danach,
als wäre es selbstverständlich,
dass es ein Danach gibt.
Ihr schenkt mir damit
still und leise
Zukunft.

Vielleicht wird man euch von außen
manchmal „die Pflege“ nennen,
so als wärt ihr eine anonyme Gruppe
in blauen Kasacks.

Aber für mich habt ihr Gesichter.
Ihr habt Stimmen.
Ihr habt eigene Geschichten,
eigene Sorgen,
eigene Familien,
zu denen ihr nach einer langen Schicht
zurückkehrt -
manchmal mit schwerem Herzen,
weil ihr eine Geschichte,
ein Schicksal,
nicht einfach an der Umkleide
abstreifen könnt.

Ich möchte,
dass ihr wisst:

Wenn ich heute gehe -
gesund, stärker,
wieder aufrecht atmend -
dann gehe ich
nicht einfach „entlassen“ aus Zimmer X.

Ich nehme euch mit.

In jeder Treppe,
die ich wieder ohne Pause hinauflaufen kann,
in jedem Spaziergang
durch kalte Morgenluft,
in jedem tiefen Atemzug,
der sich frei anfühlt,
werdet ihr dabei sein.

Euer ruhiges Atmen im Dienst,
eure Gelassenheit in der Krise,
euer Humor zwischen Alarmen,
eure Wärme in einer oft kalten Welt -
all das lebt in mir weiter.

Ihr habt nicht nur
meine Lunge unterstützt,
sondern auch
mein Herz gestützt.

Am Ende zählt nur eines:
Der Patient muss atmen.

Ja.
Aber ihr habt mir gezeigt,
dass es auch darauf ankommt,
wie man atmet.

Nicht panisch,
nicht allein,
nicht im Schatten der Angst -
sondern Schritt für Schritt
zurück ins Leben,
begleitet von Menschen,
die ihren Beruf
mit so viel Würde und Hingabe ausfüllen,
dass aus „Versorgung“
echte Zuwendung wird.

Ihr seid mehr als ein Team.
Ihr seid ein Netzwerk aus Händen,
Herzen und Köpfen,
die im Hintergrund
ein stilles Wunder möglich machen:

Dass Menschen wie ich
wieder nach Hause kommen,
wieder lachen,
wieder träumen,
wieder tief einatmen können.

Danke,
dass ihr mich gehalten habt,
als ich dachte,
ich würde fallen.

Danke,
dass ihr mir Luft gegeben habt,
als mir die Kraft zum Atmen ausging.

Danke,
dass ihr mir gezeigt habt,
wie Menschlichkeit klingt -
zwischen Monitoralarm,
Infusionspumpen
und dem leisen:
„Wenn etwas ist,
drücken Sie einfach die Klingel,
wir sind da.“

Von Herzen,
ein Patient,
der dank euch
wieder atmen kann. 💙

Haben auch Sie ein schönes Gedicht geschrieben oder ein sehenswertes Foto gemacht? Schicken Sie uns Ihre Inhalte an leserreporter@krone.at 

Porträt von Community
Community
Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
kein Artikelbild
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt