Recherchen haben ein neues Licht auf die Familiengeschichte der Marsaleks geworfen. Die Erkenntnis: Jan Marsalek dürfte in den Fußstapfen seines Großvaters Hans wandeln. Der bekannte Widerstandskämpfer soll für die Tschechoslowakei als Spion aktiv gewesen sein.
Hans Marsalek, eine in Österreich hoch angesehene Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, steht im Mittelpunkt schwerer Vorwürfe. Einer Recherche der Wochenzeitung „Die Zeit“ zufolge soll der ehemalige Widerstandskämpfer und langjährige Leiter der KZ-Gedenkstätte Mauthausen als Spion für den Ostblock tätig gewesen sein.
Demnach wurde er zu Beginn des Kalten Krieges vom tschechoslowakischen Geheimdienst StB rekrutiert. Über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt soll er dem ausländischen Nachrichtendienst geheime Dokumente und vertrauliche Informationen aus Österreich übermittelt haben.
Die Kontakte sollen erst gegen Ende der 1960er-Jahre weniger geworden und schließlich ganz abgebrochen sein. Diese Enthüllungen werfen ein neues Licht auf eine Person, die bisher vor allem für ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus bekannt war.
Parallelen zum flüchtigen Enkel
Die Vorwürfe erhalten eine besondere Brisanz durch die Verbindung zu seinem Enkel, Jan Marsalek. Dieser ist als ehemaliger Manager des zusammengebrochenen Finanzunternehmens Wirecard europaweit zur Fahndung ausgeschrieben.
Aktuellen Erkenntnissen zufolge hält sich Jan Marsalek in Moskau auf und pflegt enge Beziehungen zu russischen Geheimdiensten. Ihm wird vorgeworfen, selbst ein Netzwerk von Agenten in Europa für Russland aufgebaut und verdeckte Operationen in westlichen Ländern koordiniert zu haben. Die neuen Informationen über die mutmaßliche Spionagetätigkeit des Großvaters legen nun mögliche und überraschende Parallelen in den Aktivitäten zweier Generationen der Familie nahe. Jan Marsalek gilt als einer der meistgesuchten Männer Europas, während das Leben seines Großvaters inzwischen ebenfalls von Geheimdienstaktivitäten überschattet wird.
Codename „Neugieriger Herr“
Grundlage für die Berichterstattung sind Akten aus dem Archiv der tschechischen Sicherheitsdienste in Prag. Hans Marsalek soll in diesen Dokumenten unter dem Decknamen „Zvědavý Pán“ geführt werden, was auf Deutsch so viel wie „Neugieriger Herr“ bedeutet.
In den Akten des Geheimdienstes StB sei er als ein „williger und ehrlicher Mitarbeiter“ beschrieben worden. Die von ihm beschafften Informationen sollen von großer Bedeutung gewesen sein. Angeblich lieferte er Berichte über die österreichische Spionageabwehr, Details zur Überwachung von Botschaften sozialistischer Staaten in Wien sowie andere sensible Daten aus dem Polizeiapparat. Solche Informationen waren für die Dienste des Ostblocks äußerst wertvoll. Erkenntnisse, die von den tschechoslowakischen Diensten dazu verwendet worden sein könnten, „um Personen ausfindig zu machen, Informanten anzuwerben oder Agenten einzuschleusen“, erklärte Sabine Nachbaur, Historikerin am Ludwig Boltzmann Institut, die die Akten einsehen konnte.
Jan Marsalek hat sich offenbar ein Leben in Moskau aufgebaut:
Die angebliche Spionagetätigkeit von Marsalek soll bereits 1946 begonnen, aber nach wenigen Monaten wieder geendet haben. Im Jahr 1961, als er noch als Kriminalpolizist tätig war, soll er die Zusammenarbeit wieder aufgenommen und bis 1970 fortgesetzt haben. Bereits in den 1950er-Jahren gab es in Österreich den Verdacht, Marsalek könnte Informationen an die Sowjets weitergeben, es fehlten damals jedoch konkrete Beweise.
Ein Leben im Widerstand
Die Spionagevorwürfe stehen in starkem Kontrast zu seinem bekannten Lebenslauf. Als aktiver Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten wurde er 1941 von der Gestapo verhaftet und überlebte das Konzentrationslager Mauthausen. Nach dem Krieg widmete er sein Leben der Aufarbeitung der NS-Verbrechen.
Sein Buch „Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen“ gilt bis heute als ein Standardwerk zu diesem Thema. Als Leiter der Gedenkstätte prägte er die österreichische Erinnerungspolitik maßgeblich mit. Für seine Verdienste wurde ihm im Jahr 2001 das Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen, eine der höchsten Auszeichnungen des Landes. Hans Marsalek verstarb im Dezember 2011 im Alter von 97 Jahren.
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