Klinik, Freundin, FSB

Handy ausgewertet: Was Marsalek in Moskau treibt

Ausland
16.09.2025 17:30

Jan Marsalek hat sich offenbar ein neues Leben in Moskau aufgebaut. Journalisten ist es gelungen, ein aussagekräftiges Bewegungsprofil des ehemaligen Wirecard-Managers zu entwerfen. Die Reporter hätten sich knapp ein Jahr lang an seine Fersen geheftet.

Zwischen Haartransplantationen und potenziellen Kampfeinsätzen an der Front im Ukraine-Krieg: Jan Marsalek dürfte ein außergewöhnliches Leben in Moskau führen, wie Recherchen des „Spiegel“, „Standard“, ZDF sowie der russischen Plattform The Insider und des US-Senders PBS zeigen.

Der Österreicher befindet sich seit der Insolvenz des Zahlungsunternehmens Wirecard im Juni 2020 auf der Flucht und wird international gesucht. Ihm wird vorgeworfen, Milliarden Euro veruntreut zu haben. Ermittler konnten das entwendete Vermögen bis heute nicht definitiv lokalisieren.

Wohnort und Freundin in Moskau
Fest steht: Marsalek dürfte sich vor allem in Moskau aufhalten. Die Medienhäuser veröffentlichten zahlreiche Fotos, die den Flüchtigen zeigen sollen. Mal beim Einkaufsbummel, mal vor der Wohnung seiner Freundin. Dabei handelt es sich um Übersetzerin Tatiana S. Die Dolmetscherin soll selbst im Dienst des FSB (ehemals KGB) stehen.

Archivbild
Archivbild(Bild: EPA/CLEMENS BILAN)

Marsalek soll ein hochkomplexes Identitätenkonstrukt um seine Person errichtet haben. Mindestens sechs verschiedene Identitäten kommen demnach zum Einsatz. Hinzu kommt ein gefälschter belgischer Pass, ausgestellt auf den Namen Alexandre Schmidt.

Tarnidentität brachte Durchbruch
Beim Durchwühlen der Reisedaten seiner Freundin sei man auch auf den Namen Alexander Nelidow gestoßen: ein in Lettland geborener Russe. Nelidow scheine inzwischen zur zentralen Tarnidentität des Österreichers geworden zu sein. Unter diesem Namen soll er in der Ukraine im Einsatz gewesen sein, Firmen in Moskau gegründet haben und sich in Russland frei bewegen – auch mit E-Scooter in Moskau.

Diese Identität habe einen „Schatz“ offengelegt. Eine Flugbuchung im Sommer 2023 führte die Journalisten zu einer Telefonnummer von Marsalek alias Nelidow. Im Überwachungsstaat Russland wird alles aufgezeichnet, immer wieder kommt es zu riesigen Datenlecks im Netz. 

So konnte ein aussagekräftiges Bewegungsprofil Marsaleks erstellt werden, wenn er das Nelidow-Handy benutzte. Denn: Jedes Mal, wenn das Telefon eine Funkzelle nutzt, wird die Lage des dazugehörigen Funkmasts erfasst. Eine wichtige Erkenntnis dabei: An keinem Ort wurde das Telefon häufiger gepinnt, als im Bereich der FSB-Zentrale am Lubjanka-Platz in Moskau. Insgesamt 304 Mal zwischen Jänner und November 2024. Den Recherchen zufolge arbeitet Marsalek je nach Auftrag für den FSB – aber auch für den Militärgeheimdienst GRU.

Zudem gönnte sich Marsalek, der von Weggefährten als extrem eitel beschrieben wird, mehrmals eine Auszeit von seinem Agentenleben in einem Luxushotel an der Moskwa. Auch einer Haartransplantation soll er sich in einer russischen Klinik unterzogen haben, wie die Daten zeigen.

Kämpfte Marsalek in der Ukraine?
Marsalek ist offenbar übereifrig, dem Kreml seinen Wert unter Beweis zu stellen. Sogar Kampfeinsätze an der Front im Ukraine-Krieg legt die Recherche nahe. Datenanalysen belegten Reisen ins Kriegsgebiet in der Ostukraine und ins russisch besetzte Mariupol.

Zur Person
Wer ist Jan Marsalek?
  • Nach dem Abbruch des Gymnasiums in Korneuburg arbeitete Marsalek ab Jänner 2000 bei Wirecard und war seit 2010 Mitglied des Vorstands.
  • Dabei war er vor allem für das Asien-Geschäft verantwortlich.
  • Die Staatsanwaltschaft München ermittelt unter anderem wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, des besonders schweren Falls der Untreue sowie weiterer Vermögens- und Wirtschaftsdelikte gegen ihn.
  • Die Insolvenz des ehemaligen Dax-Konzerns gilt als einer der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik Deutschland.

 

Marsalek wird international gesucht.
Marsalek wird international gesucht.(Bild: EPA/CLEMENS BILAN)

Der Österreicher soll gemäß geleakter Daten mindestens fünfmal auf die von Russland annektierte Halbinsel Krim gefahren sein. Geortet wurde sein Smartphone im russischen Grenzort Mitrofanowka, nur wenige Kilometer von der Ostukraine entfernt. Weitere Daten zeigen einen Grenzübertritt von Mariupol auf die Krim im November 2023. Fotos, die Marsalek in Militärmontur mit dem russischen Kriegssymbol „Z“ zeigen, deuten zudem auf einen möglichen Kampfeinsatz hin.

Jener Agent, der Marsalek abgeworben haben soll, sagte in Dubai gegenüber Reportern: „Menschliche Beziehungen sind nicht Jans größte Stärke. Ihm fehlt es an Empathie.“ Geschnappt werden konnte Marsalek bisher nicht. Die deutschen Behörden haben ihn zur Fahndung ausgeschrieben und ein Rechtshilfeersuchen an Moskau gestellt. Offiziell bestreiten die russischen Stellen, seinen Aufenthaltsort zu kennen.

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