Nicolas Stockhammer

Terror-Experte: „Kaum Hinweise auf Schreckenstat“

Österreich
16.06.2025 08:00

Im Gespräch erklärt Terrorexperte Nicolas Stockhammer, ob der Grazer Amoklauf verhindert hätte werden können und was es zu beachten gilt, sobald man sich in einer solchen lebensgefährlichen Situation befindet. Ein Grundsatz aus den USA lautet: Flüchten und verstecken! 

„Krone“: Nicht nur der Terrorismus hat Österreich erfasst. Der schreckliche Vorfall mit erschossenen Menschen in Graz hat nun auch den „Amoklauf an einer Schule“ als brutale Realität in die Alpenrepublik gebracht. Vorab kannten wir solche einschneidenden Ereignisse nur aus Meldungen aus den fernen USA. Wie kommt’s?
Nicolas Stockhammer: Aufgrund der medial und virtuell verbreiteten „Inspiration“, der teilweisen Glorifizierung der Attentäter in einschlägigen Foren und durch vergangene Amoktaten hat das Prinzip Amoklauf in Form von Nachahmungstaten auch unsere Breitengrade erreicht. Seit der Jahrtausendwende sind diese Fälle in Europa ebenfalls markant angestiegen. Seit 2010 gab es schon 14 Fälle in Deutschland.  

War das „Columbine“-Massaker im Jahr 1999 eine Art Blaupause für „school shootings“ rund um den Globus?
Das lässt sich mit Fug und Recht behaupten. Columbine war gleichsam die Initialzündung für Schul-Amoktaten. Bis dahin hatte es ein solches Szenario, vor allem in Hinblick auf die massenmediale Live-Berichterstattung nicht gegeben. Die Tragödie ist eine Art Archetyp und zugleich „Inspiration“ für spätere Schulmassaker. Wir sprechen von dem so genannten „Columbine-Effekt“. 

Im Oktober erscheint das neue Printwerk von Dr. Nicolas Stockhammer mit dem Titel „Terrorismus ...
Im Oktober erscheint das neue Printwerk von Dr. Nicolas Stockhammer mit dem Titel „Terrorismus und Amok, Bedrohung und Prävention“.(Bild: Holl Reinhard)

Sie haben ein neues Buch mit dem Titel „Terrorismus und Amok, Bedrohung und Prävention“ verfasst, das im Herbst in den Verkauf kommen wird. Welche Schwerpunkte haben sie dem Thema Amok gewidmet?
In erster Linie ging es meinen Mitautoren und mir darum, Terror von Amok sauber und trennscharf zu unterscheiden. Gerade Amokfahrten mit terroristischem Hintergrund wurden medial immer wieder als „Amokfahrten“ benannt, was die ideologische Motivation der Attentäter völlig ausgeblendet hatte. Ein weiterer Fokus liegt auf der Reaktion der Einsatzbehörden in komplexen Lagen. Zudem wird Krisenmanagement und -kommunikation bei Terrorismus und Amoktaten Raum gegeben.

Hätte der fatale Amoklauf in der Mur-Stadt im Vorfeld durch Gegenmaßnahmen Ihrer Meinung nach verhindert werden können?
Im Vorfeld gab es bisherigen Informationen zufolge kaum Hinweise, die auf eine derartige Schreckenstat hätten schließen lassen.

Zitat Icon

Oft können eine Abkapselung von Familie und Freunden, eine übertriebene Hinwendung in virtuelle Welten, der Austausch mit Gleichgesinnten in Foren und ein gesteigertes Interesse für Waffen ein Indiz für eine geplante Tat sein.

Terrorismus- und Amokforscher Dr. Nicolas Stockhammer

Wie kann Amok im Vorfeld grundsätzlich verhindert werden?
Indem präventiv auf die psychischen und äußerlich wahrnehmbaren Anzeichen von potenziell Radikalisierten geachtet wird. Aber auch, indem präventive Sicherheitsmaßnahmen angedacht und umgesetzt werden. Dazu können Gebäudeschutz, Metalldetektoren, Sicherheitsschulungen für mögliche betroffene Organisationen und Zielgruppen zählen.

Wie verhalte ich mich als Schüler, wenn ich aus einem Nebenraum Schüsse wahrnehme?
Das FBI in den USA hat als Reaktion auf wiederkehrende „School Shootings“ die dreistufige Handlungsempfehlung „RUN-HIDE-FIGHT“ (Fliehen-Verstecken-Kämpfen) vorgestellt. Im Wesentlichen ist eine Flucht immer die beste Option. Sicheren Unterschlupf suchen, wenn Fliehen nicht möglich ist und als Exit-Option, wenn Fliehen und Verstecken nicht funktionieren, kann man den direkten Kampf mit dem Angreifer suchen, wobei man eine zahlenmäßige Überlegenheit zum eigenen Vorteil einsetzen kann. Das ist jedoch eher ein hypothetisches Szenario und kommt für Schüler nicht in Frage. Wichtig ist, sofern keine Koordination durch Lehrkräfte besteht, irgendwie zu versuchen, Ruhe zu bewahren. Weiters gilt es, eine Gruppenbildung zu vermeiden und zu versuchen, aus dem Zielraster des Attentäters zu verschwinden! Das erste Gebot lautet immer, in Bewegung bleiben. Wer statisch verharrt, ist meist im Nachteil.

Sie haben sich mit dem Thema Amok wissenschaftlich auseinandergesetzt. Sind bei Amokläufern Parallelen im Leben vor der Tat erkennbar?
Der typische jugendliche Amoktäter lebt meist sozial isoliert und zeigt häufig Persönlichkeitsauffälligkeiten lange vor der Gewalttat. Er fühlt sich als Opfer von Ausgrenzung und Abwertung durch die Schule, sein persönliches Umfeld oder zwischenmenschliche Beziehungen. Statt durch Vorstrafen aufzufallen, plant er im Verborgenen eine Gewalttat, die seinem persönlichen Opfernarrativ entspricht.

Stellen Ego-Shooter-Spiele nach wie vor eine Gefahr für junge Menschen dar, die auf diese Art und Weise das Erschießen von Menschen im vermeintlich digitalen Spielvergnügen erleben?
Ja, das tun sie, vor allem die taktischen Bewegungsabfolgen und die künstlich erzeugte Enthemmung, zu töten. Aber: Nicht jeder Ego-Shooter Spieler wird zum Amoktäter. Nur bei einer bestehenden Veranlagung kann das Eines ins Andere greifen.

Warum nehmen Amokläufer in vielen Fällen ihnen völlig fremde Menschen mit in den Tod?
Das gehört zum Opfer-Rachedenken dazu. Diese Täter verstehen ihre Gewalt als Ausdruck für „Rache“. Erlittenes, oder auch vermeintlich erlittenes Leid soll kompensiert werden. 

Wie erkenne ich Anzeichen bei einem Menschen aus meinem Umfeld, dass für einen potenziellen Amok-Lauf hindeuten könnte?
Das ist stets individuell zu betrachten und daher schwierig zu generalisieren. Aber die massive Abweichung von einem „Norm-Verhalten“ der betroffenen Person, oft eine Abkapselung von Familie und Freunden, eine übertriebene Hinwendung in virtuelle Welten, der Austausch mit Gleichgesinnten in Foren und ein gesteigertes Interesse für Waffen können ein Indiz sein.

Loading...
00:00 / 00:00
Abspielen
Schließen
Aufklappen
kein Artikelbild
Loading...
Vorige 10 Sekunden
Zum Vorigen Wechseln
Abspielen
Zum Nächsten Wechseln
Nächste 10 Sekunden
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.

Kostenlose Spiele
Vorteilswelt