Streit um US-Gesetz

Wikipedia aus Protest einen Tag lang schwarz

Web
19.01.2012 15:56
Das Flaggschiff der Wikipedia blieb am Mittwoch abgeschaltet: Die englischsprachige Ausgabe der Online-Enzyklopädie zeigte nur eine Protestnote gegen zwei Gesetzesinitiativen in den USA, die mit Netzsperren gegen die Anbieter von Raubkopien im Internet vorgehen wollen. "Bei einer Verabschiedung hätten beide Gesetze verheerende Folgen für das freie und offene Web", erklärte die Wikimedia Foundation, die das freie Wissensprojekt betreibt. Auch andere Websites protestierten, so konnten die Nutzer der englischsprachigen Google-Suche eine Petition gegen die Gesetze unterzeichnen.

Wikipedias Entscheidung ging eine breite Meinungsbildung voraus, an der mehr als 1.800 Autoren von Wikipedia-Artikeln mitwirkten. Dies sei die bisher höchste Beteiligung bei einer Wikipedia-Diskussion, was die große Besorgnis angesichts der geplanten Gesetze zum Ausdruck bringe, erklärte Wikimedia.

Die Abschaltung des englischsprachigen Angebots begann um 6 Uhr, 24 Stunden später war sie beendet. "Über 162 Millionen Menschen haben unsere Botschaft gesehen, in der wir sie gefragt haben, ob sie sich eine Welt ohne freies Wissen vorstellen können. Und ihr habt Nein gesagt", ließ die Wikimedia-Stiftung mitteilen. Die Telefonzentralen im US-Kongress seien unter dem Ansturm der Protestierenden zusammengebrochen. "Ihr habt ihre Server zum Schmelzen gebracht."

Die beiden umstrittenen Gesetzesinistiativen mit den Bezeichnungen SOPA (im Repräsentantenhaus) und PIPA (im Senat), die eine schärfere Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen zum Ziel haben, seien aber nicht tot. Die Stiftung kündigte an, den Widerstand fortzusetzen.

Breiter Protest im Internet
Auch zahlreiche andere Internetangebote protestierten mit Abschaltungen oder Bannern gegen die Gesetzesinitiativen. Google etwa zeigte auf seiner englischsprachigen Suchmaschinen-Startseite den Hinweis: "Sag dem Kongress: Bitte zensiert das Web nicht!" Wer darauf klickte, wurde zu einer Erklärung über SOPA und PIPA weitergeleitet, wo er eine Protestnote unterzeichnen konnte.

Trotz vieler Aufforderungen seitens Wikipedia und anderer kleinerer Websites nahmen große Spieler in der Branche aus Angst vor Umsatzeinbußen und negativen Kundenreaktionen nicht an der Aktion teil. Der Chef des Kurznachrichten-Dienstes Twitter, Dick Costolo, begründete die Absage so: "Die Schließung eines weltweiten Geschäfts in Reaktion auf eine einzelne nationale Initiative ist dumm." Zugleich stellte sich Costolo jedoch in eigenen Tweets hinter die Gegner der beiden Gesetzentwürfe. Ähnlich agieren Konzerne wie AOL, eBay und Zynga. Auch Facebook hat sich gegen den Gesetzesentwurf ausgesprochen.

Protest auch in Österreich
In Österreich sperrten die Grünen ihre Website gegen Mittag für den Rest des Tages. Für Besucher war lediglich ein kurzer Text zu lesen, in dem die US-Vorhaben als "unverhältnismäßig und kontraproduktiv" kritisiert wurden. Die Grünen forderten zudem das EU-Parlament auf, noch in diesem Jahr das ACTA-Abkommen (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) abzulehnen, in dem EU und USA gemeinsam eine Verschärfung ihres Vorgehens gegen Datenpiraterie festlegen.

Diskussion über SOPA und PIPA
Der Gesetzentwurf für SOPA (Stop Online Piracy Act) wurde am 26. Oktober 2011 vom republikanischen Abgeordneten Lamar Smith aus Texas vorgelegt. Zurzeit berät der Justizausschuss der Parlamentskammer über den Entwurf. Der Senat, die zweite Kongresskammer, stimmt am 24. Jänner zunächst über Verfahrensfragen bei der Behandlung eines ähnlichen Gesetzesvorhabens ab: PIPA (Protect IP Act) soll ebenfalls Maßnahmen gegen Web-Anbieter im Ausland ermöglichen, die das geistige Eigentum (Intellectual property, IP) verletzen. Eingebracht wurde PIPA vom demokratischen Senator Patrick Leahy in Vermont.

Besonders umstritten ist eine Bestimmung bei SOPA, die von Internetprovidern verlangt, nach einer gerichtlichen Anordnung den Zugang zu ausländischen Webseiten zu sperren, die Raubkopien anbieten. Dies wird von den Gegnern als Zensur und unzulässiger Eingriff in die technische Infrastruktur des Netzes abgelehnt. Unter dem Eindruck der heftigen Kritik signalisierte Smith zuletzt Kompromissbereitschaft in dieser Frage.

Obama-Regierung spricht sich gegen SOPA aus
Die Vorschläge sind auch innerhalb der US-Parteien schwer umstritten. Einige mächtige Gegner scheint SOPA in der Politik immerhin zu haben: Die Internetberater des US-Präsidenten Barack Obama erklärten im Blog des Weißen Hauses, die Regierung sei gegen das Gesetz. Zwar müsse man geistiges Eigentum auch online schützen, dies dürfe aber das offene und innovative Internet nicht gefährden, heißt es in der Erklärung.

Musik- und Filmindustrie will sich durchsetzen
Unterstützt werden die Gesetzesvorhaben von den großen Lobbyingorganisationen der Musik- und Filmindustrie, die durch Raubkopien jährlich Milliarden verliert. Dem gegenüber stehen Menschenrechtsaktivisten, Datenschützer und Journalisten sowie Internetkonzerne, die durch SOPA und PIPA das Ende der Meinungsfreiheit sehen. So könnte auch Whistleblowing, also die Weitergabe möglicherweise geheimer Informationen, durch SOPA unterbunden werden - Skandale aufzudecken und die Öffentlichkeit zu informieren, wäre damit strafbar.

Gesetze wären das Aus für Internet, wie wir es kennen
Werden die Gesetze angenommen, bedeutet dies, dass auch Suchmaschinen und Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten gesperrt werden könnten - zum Beispiel Google oder Facebook, aber auch Amazon und eBay sowie viele weitere Websites in den USA. Zudem würden Herunterladen und Streaming geschützer Inhalte zu schweren Straftaten, für die Gefängnis droht.

Das Internet in seiner heutigen Form wäre mit diesen Gesetzen nicht mehr möglich, da jeder Inhalt vor seiner Einstellung von jemandem auf mögliche Urheberrechtsverletzungen geprüft werden müsste - weder technisch noch mit einer ganzen Armee an Prüfern wäre das möglich. Abgesehen davon, dass die Freiheit im Netz mit einem Schlag am Ende wäre.

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