Experten einig:

Investitionen lösen Europas Chip-Problem nicht

Elektronik
27.06.2023 08:48

Ob Infineon, Intel, Wolfspeed und vielleicht bald auch TSMC: Chip-Hersteller investieren Milliarden in den Auf- und Ausbau ihrer Produktionskapazitäten in Europa. Dabei erleichtern ihnen üppige Staatshilfen die Entscheidung. Ob damit das mit dem „Chips Act“ der Europäischen Union angestrebte Ziel einer größeren Unabhängigkeit von ausländischen Lieferanten und einer Verdoppelung des weltweiten Marktanteils erreicht werden kann, ist aber fraglich.

„Der ‘Chips Act‘ bringt zwar Hersteller nach Europa, aber dennoch werden noch viele Produkte von außerhalb zugekauft“, sagt Analyst Alan Priestley von der Beratungsfirma Gartner. „Außerdem müssen die Prozessoren zur Weiterverarbeitung und zum Einbau in die fertigen Produkte wieder verschifft werden.“ Auch Oliver Blank, Bereichsleiter Global Affairs beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie ZVEI, weist auf diesen Aspekt hin. „Bevor ein Chip irgendwo eingebaut wird, ist er rechnerisch zweieinhalbmal um die Welt gereist.“

In der Magdeburger „Mega-Fab“ von Intel könnten Überlegungen zufolge hypermoderne Halbleiter mit Strukturgrößen von einigen wenigen Nanometern produziert werden, die noch nicht serienreif sind. Derartige Hochleistungschips werden vor allem in Unterhaltungselektronik oder Rechnern eingebaut, die hauptsächlich aus Asien kommen. Europäische Fahrzeughersteller nutzten dagegen Prozessoren älterer Bauart mit Strukturgrößen von 28 Nanometern oder mehr, erläutert Zhou Xing, Autoexperte der Beratungsfirma AlixPartners. Daran werde sich so schnell auch nichts ändern.

So soll der neue Intel-Standort in Magdeburg einmal aussehen. (Bild: Intel)
So soll der neue Intel-Standort in Magdeburg einmal aussehen.

Frank Börsenberg, Geschäftsführer des Verbandes Silicon Saxony, in dem sich die Branche in der Halbleiter-Hochburg Sachsen organisiert hat, sagt, ein Bedarf für derartige Chips sei auch in Europa vorhanden, wenn man etwa an autonomes Fahren oder den modernen Mobilfunkstandard 5G denke - „aber nicht in den Stückgrößen, dass damit eine ganze Fab gefüllt wird“. Zugleich zeigt er sich zuversichtlich, dass das noch wird: Die neue Intel-Fabrik soll 2027 den Betrieb aufnehmen, bis dahin werde die Nachfrage europäischer Hersteller sicher steigen.

Fachkräftemangel größte Herausforderung
Die größte Herausforderung für die Chip-Industrie sei aber der Fachkräftemangel, erläutert Gartner-Experte Priestley. Jede Fabrik benötige 3000 bis 5000 hoch Qualifizierte. Da es fraglich sei, ob an deutschen Fakultäten genügend Menschen ausgebildet werden könnten, müssten Spezialisten aus dem Ausland angeworben werden. Stefan Kooths, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hatte unlängst zudem gewarnt, dass Konzerne wie Intel kleineren Unternehmen die Mitarbeiter abjagen könnten.

Laut einer im Frühjahr veröffentlichten Studie des ZVEI und des Bundesverbands der Deutschen Industrie fehlen in der Chip-Industrie im Jahresdurchschnitt 62.000 Beschäftigte. Jede zweite offene Stelle könne daher nicht besetzt werden.

Ambitionierte Ziele
Zweifel hegen Fachleute auch bei der Frage, ob die von der EU angestrebte Verdoppelung des Marktanteils an der weltweiten Halbleiterproduktion bis 2030 gelingen kann. Da sich bis dahin wohl auch der Bedarf verdoppeln wird, müssten sich die europäischen Kapazitäten in diesem Zeitraum vervierfachen. „Das ist sehr ambitioniert“, wirft ZVEI-Experte Blank ein. „Bis dahin ist nicht mehr viel Zeit. Außerdem müssen Unternehmen gefunden werden, die investieren wollen. Das ist kein Selbstläufer.“

Gewünschter Effekt fraglich
Gartner-Analyst Priestley stellt auch das EU-Ziel des Schutzes vor Lieferkettenstörungen infrage. „Es macht Europa nicht unabhängig, nur weil man so viele Chips herstellt.“ Schließlich müssten viele Rohstoffe und Vorprodukte importiert werden. Ähnlich wie beim „Chips Act“ der USA sei die EU-Entscheidung politisch motiviert. Bisher produziert die Halbleiterindustrie hauptsächlich in Ostasien, wo die Spannungen zwischen China und dem Westen zunehmen.

ZVEI-Experte Blank rät daher, bis zu den Wahlen zum Europaparlament im kommenden Jahr mit Bedacht vorzugehen. „Die neue Kommission sollte dann zunächst einmal prüfen, ob die jetzt auf den Weg gebrachten Initiativen den gewünschten Effekt haben.“

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