Verstoß gegen EU-Recht

EuGH kippt Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

Web
20.09.2022 14:52

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsdaten in Deutschland aufgehoben. Die Luxemburger Richter erklärten die sogenannte Vorratsdatenspeicherung in einer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung für nicht vereinbar mit europäischem Recht. 

Die Regelung trug Telekommunikationsanbietern auf, Verkehrsdaten ohne Anlass zu speichern und im Bedarfsfall Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen. Der Münchner Internetanbieter SpaceNet AG klagte gegen die Regelung und hatte 2017 vor dem Oberverwaltungsgericht Köln Erfolg. Daraufhin setzte die deutsche Bundesregierung die Anwendung aus, ging aber vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berufung, das den Fall dem EuGH vorlegte.

Parteien in Causa gespalten
Der deutsche Justizminister Marco Buschmann begrüßte das EuGH-Urteil. „Ein guter Tag für die Bürgerrechte! Der EuGH hat in einem historischen Urteil bestätigt: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist rechtswidrig. Wir werden die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen“, schrieb der FDP-Politiker am Dienstag auf Twitter. Buschmann vertritt die Position, dass es allenfalls eine anlassbezogene Datenspeicherung mit richterlichem Beschluss geben könne.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sei „eine erneute herbe Klatsche“ für die Befürworter der anlasslosen Speicherung von Daten, denen es bis heute nicht gelungen sei, eine verfassungskonforme Regelung vorzulegen, hieß es von der Grünen-Bundestagsfraktion. Anstatt über immer neue Eingriffsbefugnisse zu diskutieren, müsse jetzt endlich eine „Überwachungsgesamtrechnung“ in die Wege geleitet werden.

Ob sich die gesamte deutsche Ampel dabei so einig ist, bleibt abzuwarten. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich zuletzt offen für stärkere Befugnisse der Sicherheitsbehörden. Faeser hat wiederholt betont, dass sie eine Datenspeicherung zur Aufklärung schwerer Straftaten, wie etwa sexuellen Missbrauchs von Kindern, für erforderlich hält. Zuständig für das Dossier ist allerdings das Justizministerium.

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CDU), forderte die deutsche Regierung auf, jetzt zügig einen Gesetzesentwurf vorzulegen. „Das Urteil lässt eine befristete Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen zur Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch zu“, sagte die Rechtspolitikerin.

Speicherung nur bei ernster Bedrohung für nationale Sicherheit
Das oberste EU-Gericht hatte am Dienstag entschieden, dass die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger nicht ohne Anlass gespeichert werden dürften. Eine gezielte und zeitlich begrenzte Speicherung der Daten sei nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit möglich. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität könne auch eine Vorratsspeicherung der IP-Adressen möglich sein.

Die deutsche Regelung kann nach Ansicht der Richter sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen ermöglichen - etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens oder das soziale Umfeld. Damit könne ein Profil dieser Personen erstellt werden. Dies sei ein Grundrechtseingriff, der eine gesonderte Rechtfertigung erfordere, so die Richter. Der EuGH bleibt damit seiner Linie treu. Das höchste EU-Gericht hatte in den vergangenen Jahren immer wieder nationale Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gekippt oder stark eingeschränkt.

SpaceNET und Bitkom begrüßen Urteil
Die SpaceNet AG, die die Klage angestrengt hatte, begrüßte das Urteil: „Nach sechs Jahren Verfahren sind wir froh, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung endlich geklärt ist. Jetzt herrscht wieder Rechtssicherheit für die Internetbranche, unsere Kunden und alle Bürger“, sagte der Vorstand der SpaceNet AG, Sebastian von Bomhard.

Auch der Digitalverband Bitkom zeigte sich erfreut: „Es macht keinen Sinn, sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten. Die Politik ist aufgefordert, andere, und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen“, teilte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder mit.

Bei den Beratungen der Ampel-Regierung über eine Nachfolgeregelung zur Vorratsdatenspeicherung müssten zwei Dinge berücksichtigt werden, forderte der Bundesvorsitzende der deutschen Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke: In welchem Umfang Daten an die Ermittlungsbehörden übergeben würden, dürfe nicht im Ermessen der Telekommunikationsanbieter liegen. Außerdem schränke eine kurze Speicherdauer den Nutzen drastisch ein. Er sagte: „Eine rechtskonforme und im polizeilichen Alltag funktionierende Speicherung von Verkehrsdaten ist gleichsam praktizierter Opferschutz und optimierte Strafverfolgung.“

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