Konzert & Interview

Ghost: Pompöses Heavy-Rock-Theater in Reinkultur

Wien
12.05.2022 01:51

Mit dem prunkvollen Album „Impera“ im Gepäck kamen die schwedischen Performance-Hard-Rocker Ghost das erste Mal in die Wiener Stadthalle. Nur rund 3.000 ließen sich von der feuer- und effektreichen Show von Mastermind Tobias Forge mitreißen, der sich langsam aber sicher zu den allerwichtigsten Entertainern der modernen Rockkultur hocharbeitet. Hits gepaart mit Unterhaltung und viel Ironie - dazu ein aktuelles Interview mit dem Bandchef kurz vor dem Konzert.

Platz eins in den österreichischen Albumcharts, respektable Streaming-Zahlen und ausufernde, detailverliebte Liveshows - die Schweden Ghost haben sich mitunter am Schnellsten vom Schock der Pandemie erholt und spielten in den USA mit Volbeat im Schnitt vor mehr als 10.000 Fans pro Abend. Auf ihrer lang ersehnten Headlining-Tour in Europa stockt der Motor ein bisschen, doch rund 3.000 Liebhaber von bombastischem Rock mit Pop-Appeal und Entertainment fanden am ersten Sommertag des Jahres den Weg in die Wiener Stadthalle. Dort heizte das kalifornische Ehepaar Alexandra und Zachary James aka Twin Temple mit ihrer „satanischen Orgie“, viel dunkler Magie und noch mehr Liebe zum Rock’n’Roll und dem Doo Wop der 50er-Jahre kräftig ein. Uncle Acid And The Dead Beats lieferten rauer und ursprünglicher, doch so richtig auf Touren kam die Menge natürlich mit Tobias Forge und seinen futuristisch maskierten Ghuls.

Die Mischung aus komödiantischen Elementen, stilsicherer Selbstironie, harten Riffs, ABBAesken Pop-Melodien und dem untrüglichen Gespür für eine audiovisuell erhebende Arena-Show hat Mastermind Forge über die Jahre so perfektioniert, dass zwar das Überraschungselement von früher etwas verlustig ging, sich die Professionalität des Dargebotenen aber mit den ganz Großen messen kann. Pyroeffekte beim Klassiker „Year Zero“, ein Alice-Cooper-artiger Geldregen bei „Mummy Dust“ oder paralysierende Lichtspiele während des ganzen, fast zweistündigen Sets bewiesen, dass die Hommage an die Liveshows der Großen von früher bei Ghost in Fleisch und Blut überging. Etwas mehr Material des neuen Meisterwerks „Impera“ hätte der Band gut zu Gesicht gestanden, das Metallica-Cover „Enter Sandman“ war dafür eher unnötig und nur ein Highlight für bornierte Nostalgiker. Show, Gesang, Sound und Spielfreude über alle Zweifel erhaben. Vor der dunklen Messe gewährte uns Forge Audienz für ein Gespräch über Vorbilder, Opfergaben und Erziehungsmethoden.

„Krone“: Tobias, deine Shows werden von Tour zu Tour größer und bombastischer. Du bist selbst ein Riesenfan von großen Konzerten und Rockspektakeln. Welche Bühnensettings begeisterten und inspirierten dich selbst?
Tobias Forge:
Jene von sehr vielen Bands aus den 70er- und 80er-Jahren. Der Arena-Rock der 60er- und 70er-Jahre war live noch nicht so aufregend, aber in den 80ern wurde alles übertroffen. Die Beatles spielten noch Clubshows vor wenigen Leuten, aber so richtig groß wurde das Livegeschäft mit den Rolling Stones in den USA Ende der 60er. Pink Floyd haben angefangen, die Grenzen neu auszuloten und in den 80ern wurden die Bühnen bombastisch. Meine Hauptinspirationsquelle waren die Rolling Stones 1989 und 1990. Aber auch Metallica auf der „...And Justice For All“- und der „Black Album“-Tour. Iron Maiden haben bei den Touren zur „Powerslave“ und „Live After Death“ auch Großes geleistet. Unsere Show mit Ghost ist mehr ein Tribut an die pompösen Shows in den 80ern.

Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen wird kürzer und kürzer. Bedenkst du das auch, wenn du an ein Livesetting denkst? In Form der Spieldauer oder des Bühnenbilds?
Ich habe das schon an mir selbst bemerkt. In den frühen 90ern waren Guns N‘ Roses an die vier Stunden auf der Bühne. 1992 haben sie quasi alles gespielt, was sie je rausbrachten und dazu noch tonnenweise Cover-Songs. Wichtig ist, die Show so interessant wie möglich zu gestalten und wenn ich Guns N‘ Roses heute sehe, dann sind drei Stunden schon sehr viel. Sie feuern Hit um Hit raus und trotz allem verliert man irgendwann das Interesse. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre heute ein 18-Jähriger, dann könnte ich dem langen Set nicht folgen. Die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen geht allgemein zurück. Man muss die Dramaturgie eines Konzertes unmittelbarer und direkter machen. Die Leute sofort in die Geschichte ziehen. Darüber denke ich sehr viel nach. Vor ein paar Jahren haben wir die „An Evening With…“-Tour gespielt, wo wir etwas über eine Stunde spielten und nach einer halbstündigen Pause noch einmal knapp eine Stunde. Alles zusammen waren das dann an die 150 Minuten und samt Pause war das einfach zu viel. Selbst treue Fans sagten mir danach, dass wir es etwas knapper halten sollten. Derzeit spielen wir ein Best-Of mit ein paar neuen Songs.

Du hast in einem Interview das Songwriting von Def Leppard auf dem „Hysteria“-Album gelobt. Einerseits, weil die Songs komplexe Strukturen aufweisen, andererseits seien sie trotzdem eingängig. Ist das die richtige Melange für einen Ghost-Song und kommt das dann doch wieder der verkürzten Aufmerksamkeitsspanne der Menschen zugute? Easy-Listening mit Anspruch?
Gefährliches Terrain! Easy-Listening ist ein sehr vager Begriff, denn für Musiksammler und Musikfreaks ist er komplett negativ konnotiert, andere können aber sehr gut etwas damit anfangen. Die Ramones haben einen einfachen Standard. Strophe, Refrain, Strophe, Refrain. Def Leppard haben in den 80ern sehr eigenwillig komponiert. Sie haben Riesenschritte im Songwriting gemacht und das in sehr kurzer Zeit. Jeder Mensch kennt den Refrain von „Pour Some Sugar On Me“, aber nur die echten Fans erinnern sich an die anderen Songteile, zwei oder drei Riffs davor bzw. danach. Diese Reichhaltigkeit und Vielseitigkeit haben mir immer imponiert. „Hysteria“ ist ein unfassbar komplexes Album, aber es klingt so leichtfüßig.

Es gibt im Musikgeschäft nur wenige Menschen, die so ein Arbeitsethos wie du an den Tag legen. Du bist bei Ghost von den Songs über das Bühnensetting und Outfit bis hin zum Tourplan überall mitbeteiligt und federführend. Du nimmst dir an jedem Konzerttag Zeit für Interviews und hast während einer US-Tour permanent Fragen nach Europa zum neuen Album „Impera“ beantwortet. Wird es da manchmal zu viel?
Ich mache alles mit bewussten Abständen. Als wir die großen Hallen in den USA spielten, war es noch tiefster Winter und die Covid-Restriktionen waren viel härter. Wir hatten ein Agreement mit der zweiten Headliner-Band Volbeat, dass wir uns möglichst nicht treffen und auch die Crews voneinander abgeschnitten waren. Man konnte nur drinnen bleiben, proben und trainieren. Das war ein bisschen wie im Gefängnis und nicht immer leicht für die mentale Komponente. Um überhaupt Sonne zu bekommen, musste man sich zu einem Fenster stellen und sie bewusst aufsaugen - sofern sie überhaupt da war, denn an vielen Tagen gab es Schneestürme und Nebel. Nach ein paar Tagen ohne Sonne und mit jeweils zwei Stunden Interviews wurde ich zunehmend wütender. Diese Art von Leben hat mich sehr ermüdet und ich wurde unruhig und unzufrieden. Jetzt in Europa ist alles anders. Die Restriktionen sind fast weg, der Sommer kommt und alle sind glücklich, dass sie wieder mitmachen dürfen oder eine tolle Show sehen. Der Vibe ist angenehm. Es ist kein großes Problem, neben der Show noch ein paar Interviews zu geben.

Welche Opfer musstest du für die Karriere mit Ghost bringen, die seit Jahren im Steigen begriffen ist, aber immens viel Zeit und Energie abverlangt?
Das ist immer eine Frage der Sichtweise. Ich habe eine Frau und zwei Kinder und natürlich bringt man Opfer, wenn man sie lange nicht sieht. Aber wir alle profitieren auch von den Vorteilen, die Ghost mit sich bringt. Ich war jetzt zwei Jahre lang bei meiner Familie daheim und habe extrem viel Zeit mit ihr verbracht. In eineinhalb Wochen bin ich wieder daheim und dann fast den ganzen Sommer bei der Familie. Da bleibt mir wesentlich mehr Zeit mit allen als den meisten anderen Vätern. Je nachdem, ob man das Glas als halbvoll oder halbleer betrachtet, aber ich betone daheim gerne, dass ich insgesamt sogar mehr Zeit mit allen verbringen kann, als es anderen möglich ist. Eines meiner Kinder meinte einmal, ich wäre wie ein Besucher. Das hat mich etwas erschrocken. Es war nicht böse gemeint, aber so hat es sich beim Kind festgesetzt.

Wenn du auf Tour bist, dann wird vieles überspitzt. Wenn du mit jemanden aber wirklich gut befreundet bist und schon sieben Jahre lang nichts mehr mit ihm zu tun hattest, dann wird es sofort wieder funktionieren, wenn du ihn siehst. Ich kenne viele Leute seit Ewigkeiten, die immer noch extrem gute Freunde sind, auch wenn wir uns nur alle drei Jahre sehen, weil wir weit auseinanderwohnen oder weil ich auf Tour bin. Es gibt auch ein paar Menschen, die mich deshalb nicht mehr ausstehen können, weil ich Erfolg habe. Es gab nie Streit, nie ein Problem, aber sie mögen mich jetzt einfach nicht mehr. Plötzlich war man nie befreundet. Das ist ein Opfer, für das ich gar nichts dafür kann. Ich wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Das ist wohl ein Teil des Erwachsenwerdens. Jeder macht sein Ding, alle haben Kinder und Familien. Auch wenn man nicht unterwegs ist, gleiten Freundschaften auseinander.

Mit Ghost kannst du dir immer die Naivität und Unschuld der Kindheit bewahren. Im Prinzip betreibst du ein Rollenspiel und unterhältst die Menschen. So können erwachsene Versicherungsvertreter nicht leben...
Das macht einen Künstler aus. Du kriegst einen Freibrief, um dein möglichst ursprünglichstes Kind immer wieder in die Freiheit zu entlassen. Wenn du dir die Rock’n’Roll-Biografien durchliest, dann sind fast alle guten und lustigen Geschichten von Musikern, die sich wie Elfjährige benehmen. In der Schule und vielleicht auch noch in unseren 20ern haben die meisten von uns dasselbe erlebt. Man fragt, was wir tun und mit unserem Leben anfangen möchten. Wir sollten aufhören zu träumen und irgendwelchen Götzenbildern nachzujagen, sondern lieber ein solides Leben führen. Ich war als Musiker extrem unerfolgreich. Ich habe vor meinem 29. Geburtstag nicht einen Euro mit der Musik verdient, der mir auch in der Tasche blieb. Diese vielen Jahre des Misserfolgs vergesse ich nie.

Heute werde ich dazu angestiftet, möglichst keine Verantwortung zu übernehmen, einfach so weiterzumachen und so viel wie möglich zu träumen. Es braucht aber auch das nötige Arbeitsethos, von dem wir geredet haben. Jahrelang arbeitet man darauf hin, professionell zu werden und Erfolg zu haben. Man liest und lernt von den Besten und natürlich nimmst du die Chance an, wenn sie dir geboten wird. Du machst alles, was möglich ist. Ich bin aber keine 20 mehr und habe auch kein Alkoholproblem. Ich stehe mitten im Leben und nehme nichts für selbstverständlich. Möglicherweise geht das nicht immer so weiter, also muss man das Momentum nutzen. Hätte ich diese Chance vor 20 Jahren bekommen, hätte ich sie vielleicht ruiniert.

Natürlich sorgen sich die Eltern immer um die Zukunft ihrer Kinder. Würdest du deinen beiden Kindern raten, ihren Träumen zu folgen, auch wenn sie noch so unrealistisch erscheinen?
Ich würde ihnen zumindest nicht davon abraten. Ich würde sie sehr realistisch darauf vorbereiten und dazu ermutigen, ihre Träume zu verfolgen, aber es ist wichtig, viel Energie und Fleiß reinzulegen. Das gilt für alles im Leben. Wenn du ein guter Boxer sein willst, dann übe boxen. Du kannst kein Fußballprofi werden, ohne konstant und permanent an dir zu arbeiten. Ich verwende sehr viel Zeit, um zu träumen, aber noch mehr Zeit verbringe ich damit, einfach an Dingen zu arbeiten. Als ich im Alter meiner Kinder war, mit knapp 14, spielte ich bereits in lokalen Bands. Was mich und meine Kinder unterscheidet, ist die Art des Aufwachsens. Meine Eltern hatten nicht viel Geld. Wir waren immer reich an Kultur, aber es waren keine großen Sprünge möglich. Meine Kinder wachsen ohne finanzielle Sorgen auf, aber umso wichtiger ist es mir, ihnen begreiflich zu machen, das Geld großartig, aber nicht selbstverständlich ist. Und dass es vor allem andere Dinge im Leben gibt, die zählen. Meine Kids sind zum Glück sehr klug und verstehen das. Ich will nicht mit Kindern enden, die sich zurücklehnen und keinen Antrieb im Leben haben, weil der Vater das Geld heimbringt. Die Kids können machen was immer sie wollen, aber sie sollen etwas dafür tun und nicht herumsitzen. Ein paar falsche Entscheidungen und das ganze Geld ist weg. Darauf sollte man sich niemals dauerhaft verlassen.

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