Matti Bunzl befragt

„Trauere um jedes kleine Geschäft, das schließt“

Wien
21.07.2025 19:00

Wien-Museum-Direktor Matti Bunzl sagt, was er in der Bundeshauptstadt vermisst und liebt, blickt als Anthropologe mit wissenschaftlichem Blick auf die Metropole, ihre Entwicklung und ihre Eigenarten – und verrät, was er anderen Museen gern für sein eigenes stibitzen würde.

Nun schon seit zehn Jahren ist Matti Bunzl Direktor des Wien Museums, vier davon während des Umbaus des Haupthauses (2019-2023) als Bauherr. In unserer „10 Fragen“-Serie geht es aber nicht nur um das Museum, sondern auch um Bunzls Eigenschaft als „professioneller Wiener“: Vor seinem Amt als Museumsdirektor hatte der promovierte Anthropologe eine 16-jährige wissenschaftliche Karriere mit zahlreichen Publikationen auch zu Wiens Geschichte und Bevölkerung.

„Krone“: Wenn Sie einen einzigen verloren gegangenen Gegenstand aus Wiens Geschichte für Ihr Museum zurückholen könnten, welcher wäre das?
Matti Bunzl: Es wäre ein Objekt, das die Geschichte einfacher Leute im 19. Jahrhundert erzählt – vielleicht die Schürze einer Köchin oder die Kappe eines Dienstmanns. Wir haben großartige Gegenstände, die das Leben der Eliten dokumentieren – aber so wenig über die tägliche Existenz der Massen. Zu lange galten solche Dinge nicht als erhaltenswert.

1800 Gäste pro Tag verzeichnet das Wien Museum (mit seinen Zweigstellen) im Schnitt pro Tag, vor ...
1800 Gäste pro Tag verzeichnet das Wien Museum (mit seinen Zweigstellen) im Schnitt pro Tag, vor allem durch den Gratis-Eintritt, der die Besucherzahlen verfünffacht hat.(Bild: lukas-beck)

Welches Ausstellungsstück, das anderswo tatsächlich zu sehen ist, hätten Sie gern für Ihr Museum?
Die Wien-Darstellungen von Bernardo Bellotto – bekannt als Canaletto – zeigen die Stadt um 1760. Es sind unvergleichliche Gemälde, die im Kunsthistorischen Museum zu bewundern sind.

Wiener gelten rund um die Welt als Kulturliebhaber. Stimmt das oder ist das Image besser als die Realität?
Ich habe fast die Hälfte meines Lebens in Chicago verbracht. Der Status, den die Kultur in Wien genießt, ist ungleich höher.

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In den Top Ten der lebenswertesten Städte kommt keine andere auch nur annähernd an das Kulturangebot Wiens heran.

Matti Bunzl

Was bleibt Alleinstellungsmerkmal von Wien in einer internationalisierten Kunst- und Kulturszene?
Die Kombination von kultureller Dichte und zugleich Lebensqualität ist einmalig. In den Top Ten der lebenswertesten Städte kommt keine andere auch nur annähernd an das Kulturangebot Wiens heran.

Bei all den Wiener Kulturinstitutionen: Was fehlt dennoch?
Wir haben alle Kulturinstitution, die wir brauchen. Wir müssen aber weiter daran arbeiten, dass sie für die ganze Bevölkerung attraktiv und zugänglich sind.

Ihr Vertrag als Direktor des Wien Museums läuft bis 2030. Dann sind Sie 59. Noch einmal fünf Jahre und dann Pension, oder haben Sie andere Pläne?
Darüber mache ich mir noch keine Gedanken. Aber es ist kein Geheimnis, wie sehr ich meinen Job liebe. Für mich ist es eine unglaubliche Ehre und Freude, dabei helfen zu dürfen, das historische und kulturelle Erbe meiner Heimatstadt zu verwalten und zu vermitteln.

Auf Alliierte folgt Schnitzel-Schau

Noch bis 7. September ist im Wien Museum die große Sonderausstellung über die Besatzungszeit in Wien zu sehen. Ab 2. Oktober wird die Herbst-Schau die Geschichte des Fleischkonsums in der Stadt des Wiener Schnitzels beleuchten.

Sie sind ja Doktor der Anthropologie. Was macht wissenschaftlich betrachtet die Wiener aus, außer dass sie eben in dieser Stadt leben?
Wie alle Weltstädte ist Wien eine Mischung vielfältigster kultureller Einflüsse. Besonders interessant ist dabei natürlich die Zeit der Monarchie. Während Paris und Berlin um 1900 im Grunde ethnisch homogen waren, zeichnete sich Wien durch eine erstaunliche Diversität aus. Die Korrelation dieser Vielfalt mit der ungleichen kulturellen Blüte ist frappant.

Welche aus dem Wiener Alltag verschwundene Sache vermissen Sie persönlich am meisten?
Ich bedaure die Schließung jedes kleinen Geschäfts. Zu oft sind die Nachfolger Ableger irgendwelcher Konzerne.

Und über welchen Neuzugang zum Wiener Alltag freuen Sie sich umgekehrt am meisten?
Ich genieße es, in einer absolut globalen Stadt zu leben. Ich reise nicht gerne. Aber ich liebe es, die Welt in Wien zu entdecken – sei es auf unseren Märkten oder in den vielen tollen Restaurants. Und ich bin fasziniert davon, wie sich Wiens Kultur in unserer globalisierten Zeit weiterentwickelt.

Was ist Ihr liebster Wienerischer Ausdruck?
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