Ein Tiroler Intensivpfleger übermittelte der „Krone“ einen dramatischen Einblick in den Corona-Alltag: „Wir kriechen hier alle am Abgrund.“ Oft ist der Spitalsmitarbeiter auf sich alleine gestellt, wenn sämtliche Warngeräte bimmeln.
Die Öffentlichkeit soll aus erster Hand erfahren, was die Realität ist – mit diesem Wunsch schrieb ein Intensivpfleger seine Erfahrungen nieder. Teils im Tiroler Dialekt und stichwortartig, aber lebensnah! Zur besseren Lesbarkeit haben wir den Text angepasst – stilistisch, aber nicht inhaltlich.
Wer ansatzweise eine Möglichkeit hatte, in den Krankenstand oder in eine Schwangerschaft zu „flüchten“, ist bereits weg.
Der Intensivpfleger
Über die Personalsituation: Auf quasi allen Stationen ist die Lage absolut kritisch. Wer ansatzweise eine Möglichkeit hatte, in den Krankenstand oder in eine Schwangerschaft zu „flüchten“, ist bereits weg. Wir haben 55 Mitarbeiter auf der Station, mit dem heutigen Tag sind zehn gegangen oder (noch) nicht brauchbar. Denn die Intensivausbildung dauert drei Semester, drei bis vier Monate beträgt die Einlernzeit. Es gibt Urlaubssperren, bis zu 30 Überstunden pro Monat und angesichts der Covid-Lage keine Aussicht auf eine Besserung.
Über den Arbeitsalltag: Wir machen ausschließlich 12-Stunden-Dienste, vollisoliert, versteht sich. Also Haube, dichtsitzende Brille, FFP3-Maske, Mantel, Schürze, zwei Paar Handschuhe. Da ist einem schon heiß auf dem Weg ins Zimmer. Man sieht wenig, hat keine Zeit fürs Klo und trinkt nichts. Schon vom Anhängen der Infusionen ist man schweißgebadet.
Jedes Gerät, das alarmieren kann, bimmelt in voller Lautstärke.
Der Intensivpfleger
Über heikle Situationen: Mein Patient zeigt akuten Blutdruckabfall, presst gegen die Beatmungsmaschine, lässt also kein Volumen mehr in die Lunge. Jedes Gerät, das alarmieren kann, bimmelt in voller Lautstärke. Wer glaubt, dass in solchen Situationen ein Arzt behandelt, liegt falsch. (Pfleger schildert nun detailliert, welche Medikamente er nun verabreicht). Sowas passiert pro Patient ein bis dreimal pro Tag. Dazwischen sollen wir mit Angehörigen reden, telefonieren, dokumentieren, absaugen, die Mund-Nasen-Ohren-Pflege abwickeln, dazu Fiebermanagement, Ernährung, Stuhlgang usw. Solche Dienste, drei Tage hintereinander, sind Standard.
Es kann nichts mehr aufgenommen werden, was kein absolut lebensbedrohlicher Notfall ist.
Der Intensivpfleger
Über die Auslastung: Wir sind in der Krisenstufe 7 von 7 angelangt. An der Klinik sind drei von neun Intensivstationen voll mit Covid-Patienten. Das heißt, dass kein anderer Patient - in unserem Fall mit Schädeltumor, Hirnblutung, Schädel-Hirn-Traumata usw. - mehr Platz hat. Mit Patient Nummer 38 (Anm.: Samstag Stand 32) gehen wir in den Krisenmodus, de facto die Triage. Es kann nichts mehr aufgenommen werden, was kein absolut lebensbedrohlicher Notfall ist.
„Einblick in unsere Arbeit für die Öffentlichkeit“
Viele wird das Ganze nicht interessieren. Uns ist es aber wichtig, dass ein kleiner Einblick unserer Arbeit an die Öffentlichkeit gelangt. Wir sind auf alle angewiesen, uns in dieser Lage zu unterstützen.
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