Industrie 4.0

Mehr Roboter, weniger Arbeit?

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04.09.2021 05:55

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fürchteten viele englische Arbeiter eine zunehmende Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen im Zuge der industriellen Revolution. Die sogenannten Ludditen bekämpften den Einsatz von Maschinen, welche große Teile ihrer Arbeit überflüssig machten und sie zu ersetzen drohten. Daher sabotierten sie Drehmaschinen, Woll- und Baumwollspinnereien, bis die Bewegung schließlich militärisch niedergeschlagen wurde. Seitdem haben Maschinen und andere Formen der Automatisierung gewaltige Fortschritte erlebt. Roboter sind in zahlreichen Anwendungsgebieten Wirklichkeit geworden. Verdrängen sie unsere Arbeit?

Die Ökonomen Georg Graetz und Michaels Guy von der Universität Uppsala und der London School of Economics untersuchten, welche Folgen der Einsatz von Industrierobotern für Arbeitsproduktivität, Preise, Löhne und Beschäftigung hat. Um diesen Einfluss zu schätzen, verwendeten die Forscher Daten mit Informationen zu 14 Wirtschaftszweigen in 17 Industriestaaten von 1993 bis einschließlich 2007. In diesem Zeitraum stieg die Anzahl der eingesetzten Industrieroboter in nahezu allen Wirtschaftszweigen und Ländern.

Wurden 1993 im Schnitt nur 0,53 Roboter pro eine Million Arbeitsstunden eingesetzt, stieg die Roboterdichte in den Jahren darauf um gut 150 Prozent auf 1,48 in 2007. Besonders stark fiel der Anstieg dabei in den Bereichen Transportmittel, Chemie und Metall aus. Mit steigender Dichte sanken schließlich auch die Preise für Roboter. In den sechs betrachteten Ländern halbierte sich der Preis während 15 Jahren. Bereinigt man die Preise um Qualitätsverbesserungen, wurden Roboter im Schnitt sogar um fast 80 Prozent billiger.

Doch wie beeinflusst der zunehmende Einsatz von Robotern die Wirtschaft? Was ist der Effekt auf die Arbeitsproduktivität? Um dies zu schätzen, berechneten die Experten den Zusammenhang zwischen der Roboterdichte, also der Anzahl an Industrierobotern pro eine Million Arbeitsstunden, und der Arbeitsproduktivität, gemessen als Wertschöpfung pro geleistete Arbeitsstunde. Da die Forscher am langfristigen Einfluss der Robotik interessiert waren, betrachteten sie jedoch nicht den Einfluss auf die absoluten Zahlen, sondern auf die Veränderungsraten (1993-2007), also wie die Zunahme des Robotereinsatzes das Wachstum der Arbeitsproduktivität beeinflusst.

Mehr Roboter bedeuten nicht automatisch mehr Produktivität
Ergebnis: Der Beitrag von Robotern zum Produktivitätswachstum ist vergleichbar mit dem Beitrag der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert. Er ist etwas weniger groß als der Beitrag von Schnellstraßen Mitte des 20. Jahrhunderts, und der Informations- und Kommunikationstechnologien der vergangenen Jahrzehnte. Die Ergebnisse weisen jedoch auch darauf hin, dass die positive Wirkung der Robotisierung mit einem zunehmenden Roboterbestand abnimmt: Setzt ein Wirtschaftszweig erst wenige Roboter ein, so steigern neue Roboter die Arbeitsproduktivität stärker, als wenn bereits viele Roboter verwendet werden.

Zudem schätzten die Forscher nicht nur den Effekt auf die Arbeitsproduktivität in den einzelnen Wirtschaftszweigen, sondern auch in der gesamten Volkswirtschaft. Der zunehmende Einsatz von Robotern erhöht demnach das jährliche Wachstum der Arbeitsproduktivität um circa 0,36 Prozentpunkte. Dies entspricht einer Steigerung um 15 Prozent, denn das durchschnittliche Wachstum betrug im betrachteten Zeitraum 2,4 Prozent.

Robotisierung bringt höhere Löhne
Profitieren die Arbeitenden vom zunehmenden Einsatz der Roboter oder müssen sie um ihre Jobs fürchten? Generell steigen die Löhne in Branchen mit hoher Roboterdichte stärker. Im Vergleich zum Produktivitätswachstum fällt der Lohnzuwachs jedoch deutlich geringer aus. Der zunehmende Einsatz von Robotern führt im Schnitt zu einer Erhöhung der Löhne. Allerdings wachsen die Löhne etwa zehn Mal langsamer die Arbeitsproduktivität.

Während Arbeitnehmer insgesamt durch höhere Löhne von der Robotisierung profitieren, können die Beschäftigungseffekte je nach Bildungsstand unterschiedlich ausfallen. Die Autoren schätzen den Effekt der zunehmenden Roboterdichte auf den Anteil der geleisteten Arbeitsstunden dreier Beschäftigungsgruppen: hoch-, mittel- und niedrigqualifizierte Arbeitnehmer. Die Schätzergebnisse weisen auf einen gleichbleibenden oder steigenden Anteil an Arbeitsstunden mit hoher und mittlerer Qualifikation hin, während jener von gering qualifizierten abnimmt.

Geringqualifizierte am stärksten betroffen
Den größten Einfluss hat die Robotisierung auf geringqualifizierte Arbeitnehmer: Ihr Anteil an den geleisteten Arbeitsstunden fällt deutlich, wenn der Anteil von Industrierobotern an den Arbeitsstunden steigt.

Wachsender Einfluß
Die Wissenschaftler weisen abschließend allerdings darauf hin, dass der Einfluss der Robotisierung in Zukunft noch größer ausfallen könnte, als ihre Ergebnisse vermuten lassen. Denn im betrachteten Zeitraum (1993 bis 2007) wurden Industrieroboter im Schnitt nur in etwa einem Drittel der Wirtschaft eingesetzt. Zudem machten sie in den betreffenden Sektoren bloß 2,2 Prozent des gesamten Kapitals aus. Die Möglichkeiten der Robotisierung scheinen daher bei Weitem noch nicht ausgeschöpft zu sein.

Weiter sinkende Anschaffungspreise und Innovation in neuen Anwendungsfeldern wie Medizin, Logistik und autonomes Fahren künden vom enormen Potenzial der Robotik. Zudem war China aufgrund mangelnder Daten nicht Bestandteil dieser Analyse, stellt jedoch bereits den größten Absatzmarkt für Industrieroboter dar.

Céline Diebold

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