Drei Monate Haft

Bub auf Schutzweg in Wien überfahren – Lenker verurteilt

Österreich
04.11.2010 13:41
Jener Autofahrer, der am 18. Mai dieses Jahres in Wien-Döbling einen achtjährigen Buben auf einem Zebrastreifen ungebremst überfahren hatte, muss für drei Monate ins Gefängnis. Der 51-jährige Gemüsehändler ist am Donnerstag im Straflandesgericht wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, neun Monate davon auf Bewährung.

Der Unglückslenker muss den Eltern des kleinen Fabian die Begräbniskosten ersetzen und für alle zukünftigen Kosten der Hinterbliebenen aus therapeutischen Behandlungen aufkommen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der 51-Jährige erbat Bedenkzeit, die Staatsanwältin gab vorerst keine Erklärung ab.

"Normalerweise sehe ich alles"
"Ich fahre schon seit 36 Jahren und habe noch nie einen Unfall gehabt. Ich habe viele gefährliche Unfälle vermieden. Normalerweise sehe ich alles. Dieser Unfall war wirklich eine Falle", hatte sich der Angeklagte während der Verhandlung gerechtfertigt. Entgegen seiner Darstellung am Unglücksort, wo er unmittelbar nach der Kollision aus dem Auto gesprungen war und geschrien hatte, er wäre eingeschlafen, versicherte er vor Gericht, dies wäre nicht der Fall gewesen: "Ich war ganz einfach unachtsam."

Tausende Male habe er die Döblinger Hauptstraße befahren, nie sei etwas passiert. Am 18. Mai habe er sich auf dem Weg zu einem Schuhmacher befunden, um sich Schuhe reparieren zu lassen. Er habe weder den Schülerlotsen gesehen, der die Straße absicherte, noch die drei Kinder, die im Begriffe waren, die Fahrbahn am Schutzweg zu überqueren, versicherte der Angeklagte.

"Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort"
"Der Weg war frei", behauptete der 51-Jährige. Er sei mit höchstens acht Stundenkilometern in die Kreuzung eingefahren. Erst unmittelbar vor der Kollision habe er Fabian wahrgenommen: "Ich wollte ausweichen, habe gebremst, und trotzdem passiert mir das." Der Bub hatte keine Überlebenschance, er wurde von dem schwarzen Mercedes überrollt. "Armer Fabian. Er tut mir so leid. Es ist so schnell passiert. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort", sagte der Lenker.

Für die Richterin stand fest, dass die übermäßige Einnahme eines blutdrucksenkenden Medikaments kausal für den Unfall war. Der 51-Jährige nimmt seit mehreren Jahren regelmäßig zwei Amlodipin-Tabletten pro Tag zu sich, obwohl der Hersteller ausdrücklich nur die Gabe von einer Tablette täglich empfiehlt und vor Schläfrigkeit, Schwäche und kurzfristigem Bewusstseinsverlust warnt.

"Überdosierung" von Blutdruckmittel
Am Tag vor dem Unfall hatte der Gemüsehändler wie üblich morgens und abends zwei Kapseln eingenommen. Wie der Gerichtsmediziner Christian Reiter ausführte, lag damit zum Unfallzeitpunkt eine "Überdosierung" vor. "Dieses Dosierungskonzept ist mit einem sehr hohen Risiko behaftet, dass Nebenwirkungen auftreten", sagte der medizinische Sachverständige. Als mögliche Unfallursachen kamen für Reiter daher Unachtsamkeit, Einschlafen oder eine "arzneimittelbedingte Beeinträchtigung des Bewusstseinszustandes" infrage.

Obwohl der Angeklagte versicherte, das ihm von seinem Hausarzt verschriebene Medikament mache ihn nicht müde, bemerkte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung: "Sie haben sich damit in einen Zustand gebracht, der ihre Reaktionsfähigkeit und Ihre Fähigkeit, am Verkehr teilzunehmen, massiv reduziert hat". Folglich wurde der 51-Jährige wegen fahrlässiger Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen für schuldig erkannt, was im Unterschied zur "gewöhnlichen" fahrlässigen Tötung den Strafrahmen von einem auf drei Jahre erhöhte. Trotz des tödlichen Unfalls hat sich der Arzneimittel-Konsum des 51-Jährigen nicht geändert. Er fährt auch nach wie vor Auto, nachdem er Amlodipin zu sich genommen hat.

Zeugen widersprechen dem Angeklagten
Mehrere Zeugen, darunter vor allem der Schülerlotse, widersprachen der Version des Angeklagten. Demnach stand der Lotse - ein 20 Jahre alter Zivildiener - mit ausgebreiteten Armen und einer Kelle in der rechten Hand mitten auf der Fahrbahn, als Fabian und zwei Mitschüler des Achtjährigen auf die andere Straßenseite gelangen wollten. In seinem Rücken vernahm der Lotse dann ein Motorengeräusch. "Der Mercedes ist direkt unter meinem Arm durchgefahren. Wenn ich die Kelle nicht in die Höhe reiß', hätte er sie erwischt", erklärte der junge Mann im Zeugenstand.

"Umgekippt wie ein Strohhalm"
Dem Lotsen gelang es noch, Fabians Klassenkameraden an sich zu ziehen, doch musste er mitansehen, wie im selben Moment der ein paar Meter vorausgehende blonde Bub überrollt wurde: "Er ist umgekippt wie ein Strohhalm."

Der Vater des ums Leben gekommenen Volksschülers ist seither in psychotherapeutischer Behandlung. Auch die Mutter und die beiden Geschwister - sechs und zwei Jahre alt -  leiden massiv an den Folgen der Tragödie. Die Eltern nahmen als Zuseher an der Verhandlung teil.

Auch der Unglückslenker befindet sich in einem äußerst angeschlagenen Zustand. In einem fachärztlichen Bulletin eines Neurologen wird der 51-Jährige als "schwer traumatisiert" beschrieben. Der Mann war demnach eine zeitlang selbstmordgefährdet und hat Antidepressiva verschrieben bekommen. Zudem steht er in psychologischer Behandlung. Zur Verhandlung wurde der fünffache Vater und mehrfache Großvater von seiner Ehefrau, einem Bruder und einigen Söhnen begleitet.

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