Ausgekocht! Sarah Wiener muss für ihre Restaurants in Berlin Insolvenz anmelden, 42 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. Mit Conny Bischofberger spricht die Fernseh-Köchin über Herzblut und Schuldgefühle, das Ende einer Ära und ihr kulinarisches Erbe.
Nach ihrer Absage am Donnerstag meldet sich Sarah Wiener am Freitagmittag doch noch einmal. „Ich bin nun ausgeschlafen“, sagt die 57-Jährige, und wir legen gleich los, am Telefon. Sie sitzt im Garten ihres Holz100-Hauses, gebaut vom österreichischen Nachhaltigkeitspionier Erwin Thoma. Mondphasengeerntete Tanne und Fichte ohne Leim und Lack.
Es steht in der Nähe ihres Biohofes in der Uckermark, 90 Kilometer nördlich von Berlin, mit Rindern, Fleischkühen, Schweinen, eigener Schlachterei und Hofladen. Hier hat Sarah Wiener die gesamte Corona-Zeit verbracht. Rund um sie herum sind gerade Himbeeren, Stachelbeeren, schwarze Ribisel und Pfirsiche reif. „Auch jungen Mangold und Erbsen hab ich geerntet, und Wildkräuter wie Vogelmiere und Brennnessel, die wachsen für die Falter und Bienen und schmecken köstlich.“
„Krone“: Die Nachricht von der Insolvenz hat eingeschlagen wie eine Bombe. Wie geht es Ihnen im Moment?
Sarah Wiener: Es tut natürlich weh. Vor allem wegen meiner Mitarbeiter und allem, was wir zusammen aufgebaut haben. Wir haben gekocht und gekämpft, sind gemeinsam durch alle Hochs und Tiefs gegangen. Sie liegen mir sehr am Herzen und ich hoffe, dass alle Jobs erhalten werden können.
Platzt da auch ein Lebenstraum?
Den Traum hab ich ja 30 Jahre gelebt und er ist auch nicht vorbei. Ich habe mich immer auch stark über meine Restaurants und das Catering definiert, fühle mich seelisch sehr damit verbunden. Deshalb ist ein Teil von mir gedrückt. Das ist ja verständlich. Die Frage bleibt: Hätte ich etwas anders machen können oder sollen?
Was ist die Antwort?
Natürlich habe ich das Gefühl, hinsichtlich meines Gastronomiezweiges versagt zu haben. Andererseits wüsste ich nicht, was ich anders hätte machen können und auch keiner in der Firma hatte eine befreiende Idee. Wir können ja schlecht sagen: „Kinder, ab morgen nähen wir Masken!“
Wie konnte es so weit kommen?
Corona hat die gesamte Gastronomie und Hotellerie getroffen. Aber auch Zulieferer, Künstlerinnen, Übersetzer, die Modebranche, selbst Fotografen ächzen. Es kämpfen jetzt viele ums Überleben. Meine Firma hat ja zum Glück mehrere Standbeine, aber für Mikrounternehmerinnen und Unternehmer und viele andere ist es existenzgefährdend.
Also geben Sie der Pandemie die Schuld?
Ohne Corona hätten wir sicher nicht Insolvenz angemeldet, so einfach ist das. Aber natürlich gab es in den letzten 30 Jahren auch ohne Corona Ups and Downs. Tatsache ist, dass wir vom frischen, ökologischen und handwerklichen Kochen, von der Dienstleistung und von großen Buffets gelebt haben. Wir sind keine AG, die einfach mal ein paar Millionen Euro Verlust abschreiben und weniger Dividende ausschütten kann. Wir konnten auch nicht ewig frisches Geld reinpumpen und darauf hoffen, dass es schon irgendwer zahlen wird. Deshalb habe ich mitentschieden, dass wir Insolvenz anmelden, weil wir nicht mehr daran geglaubt haben, dass wir alles kompensieren können, was wir dieses Jahr verloren haben. Wesentlich war aber meine Einschätzung der Zukunft: Glaube ich, dass Corona überstanden ist und wir demnächst zu normalen Verhältnissen zurückkehren werden? Die Antwort war: Nein.
Warum nicht?
Weil wir noch mitten in der Krise sind. Wir machen Museumsgastronomie. Viele Menschen gehen jetzt nicht ins Museum. Zudem fehlen in Berlin die Touristen. Die Branche ist überhaupt zum Großteil angespannt. Andere trifft es noch härter. Clubs haben noch immer nicht geöffnet. Es gibt null Aufträge für große Veranstaltungen. Wir kochen sehr aufwändig - vom geräucherten Fisch über selbstgebackenes Brot bis hin zu hausgemachtem Eis und Marmelade -, wir produzieren kein Convenience-Food. Das sind unsere Werte und unsere Philosophie, der ich die ganze Zeit treu geblieben bin. Damit scheffelt man aber auch keine Millionen Rücklagen.
Haben Sie Werner Kogler eigentlich über die Insolvenz informiert?
Nein, warum sollte ich? Ich trenne das ganz klar. Meine unternehmerische Tätigkeit hat mit der Politik rein gar nichts zu tun.
Was wird jetzt aus den beiden Restaurants?
Sie sind beide offen. Wir hoffen, dass wir mit dem Insolvenzverwalter eine gute Lösung für unsere Mitarbeiter finden können. Das ist nun das Wichtigste und Dringlichste. Mich trifft die Schließung seelisch, aber ich stand ja nicht mehr selber in der Küche.
Seit wann nicht mehr?
Seit einigen Jahren schon. Es war so, dass meine Restaurants und das Catering erwachsen geworden sind, sie brauchten mich nicht mehr jeden Tag. Sie haben sich emanzipiert von mi r… Ich bleibe natürlich die Mutter, die ihre Kinder wohlwollend und liebend begleitet hat. Ein Großteil meines Teams war mein ganzer Stolz. Tolle Küche, tolle Mitarbeiterinnen. Wir waren so lang verbunden … Wir alle investierten Lebenszeit, Hoffnung, Kraft, Leidenschaft und Spaß. Ich hatte tolle Köche, ich bin so stolz auf sie und das wird auch so bleiben. Ich hoffe also sehr, dass sich für sie alles noch zum Guten wendet. Das zählt jetzt. Ich selber brauche kein Mitleid.
Wie fühlt sich der endgültige Abschied an?
Das ganze Leben ist eine einzige Übung im Abschiednehmen und im Loslassen, eine Demutsübung sich selber und dem Leben gegenüber. Ich weiß allerdings nicht, ob der Abschied endgültig sein wird. Ich gebe ja noch nicht die Löffel ab und werde auch nicht das Messer aus der Hand legen. Aber ich habe zurzeit andere Dinge im Fokus.
Ist es auch ein Abschied vom Unternehmertum?
Nein. Die Sarah Wiener Gruppe hat noch andere erfolgreiche Zweige, die Holzofenbäckerei und unsere Bio-Fleischerei, in die wir viel Liebe und Herzblut und Ideen gesteckt haben. Ich bin also nicht zerstört. Ich falle nicht ins Bodenlose. Aber ich bin konsterniert, weil es eine seelisch schwierige Zeit ist. Ich will den verbleibenden Gastronomen trotzdem Mut machen. Unsere Strukturen erlaubten keine positive Aussicht. Ich hoffe sehr, dass viele junge, besondere und kreative Gastronomen und Hoteliers nicht aufgeben müssen und wenn, dass sie alle doppelt stark zurückkommen. Krise ist immer auch eine Chance.
Wofür wird Ihr Herzblut künftig fließen?
Es gibt immer mehrere Projekte, die mich beschäftigen. Natürlich ist es nun hauptsächlich die Politik, wo ich noch immer viel lernen und verstehen muss. Ich will einen Unterschied machen. Konkret beschäftige ich mich seit längerem mit der Ernährungswende, mit nachhaltiger Landwirtschaft, Antibiotikaresistenzen, mit unserem Fleischsystem. Besonders arg geht’s der Pute in Europa. Für das drittmeistgeschlachtete Tier in Europa gibt es keine Mindeststandards - außer in Österreich. Österreich könnte also Vorreiter für bessere Haltungsbedingungen sein. Das wird mein Herzensthema die nächsten Monate sein, oder solange es eben braucht.
Hat es Ihnen als Grün-Politikerin leidgetan, dass die EU den „Green Fonds“ geplündert hat? Dort sind statt 40 Milliarden nur noch 10 Milliarden Euro drin.
Es wäre die Chance für eine nachhaltige, radikale Transformation gewesen, sinnvoll in unsere Zukunft zu investieren. Zum Wohle aller. Trotzdem müssen wir weiter zusammenrücken, die Gesellschaft stärken, sozialer, nachhaltiger, regionaler und empathischer werden. Die einzige Sicherheit, die wir erringen können, ist die Unterstützung der wohlwollenden Gemeinde. Lieber mal den kleinen Handwerker und die Manufaktur unterstützen als irgendwelche anonyme Großkonzerne, die die Vielfalt abschaffen und bei uns nicht einmal Steuern zahlen. Bessere, gesündere Lebensmittel für alle. Faire Preis für hochwertige Lebensmittel, die auch fruchtbaren Boden erhalten. Daran glaube ich weiterhin ganz fest. Deswegen bin ich ja in die Politik gegangen.
Apropos nachhaltig: Wie reisen Sie von der Uckermark nach Brüssel oder Straßburg?
Nach Straßburg meistens mit dem Nachtzug, nach Brüssel gibt es keinen, da muss ich nachts umsteigen und deshalb fliege ich da auch oft. Die Verbindungen sind leider schlecht … und auch öfters unzuverlässig.
Frau Wiener, wenn es Ihnen wie im Moment nicht so gut geht, welche Speise vermag Sie dann zu trösten?
Schöne Frage. Wenn ich wirklich kaputt bin, schlafe ich sehr viel, das regeneriert mich mehr als essen. Welche Speise kann mich trösten? Vorhin ein Teller Topfen, etwas Honig und Gewürze mit den frischen Früchten aus meinem Garten, ein paar Hanfsamen, ein bisschen Buchweizen. Das ist schon ein kleiner Trost - zumindest für den Magen.
Vom Biohof ins EU-Parlament
Geboren am 27. August 1962 als Tochter der Künstlerin Lore Heuermann und des Schriftstellers und Jazzmusikers Ossi Wiener in Deutschland, aufgewachsen in Wien. 1999 eröffnet sie ihr erstes Restaurant, zuletzt beschäftigte die Sarah Wiener Gruppe 120 Mitarbeiter. Am Donnerstag musste die mehrfach preisgekrönte Fernsehköchin und Buchautorin für ihre Restaurants „Hamburger Bahnhof“, „Restaurant im Futurium“ und das Event-Catering in Berlin Insolvenz anmelden, 42 Mitarbeiter verlieren ihre Jobs. 2019 holte Werner Kogler sie als Europa-Abgeordnete für Landwirtschaft und Ernährungswende zu den Grünen. Sarah Wiener hat einen 34-jährigen Sohn und seit wenigen Monaten eine Enkeltochter.
Conny Bischofberger, Kronen Zeitung
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.