Manchmal ist es ein Zeichen dafür, dass man es geschafft hat, wenn man in der zweiten Reihe sitzt. Jedenfalls wenn es sich dabei um einen Platz in der Langversion der neuen Mercedes-S-Klasse handelt. Oder es heißt einfach, dass ich mich mal chefmäßig fühlen möchte und diesen Text in einem 200.000-Euro-Testwagen schreibe.
Da könnte ich mich glatt dran gewöhnen. Edelstes Ambiente umgibt mich, ich ruhe in mir und auf dem feinen Nappaleder des klimatisierten Executive-Sitzes, Geräusche dringen nur gedämpft von außen zu mir - sagen wir mal, es ist das Gegenteil von unserem neuen Newsroom. Den Beifahrersitz habe ich elektrisch quasi in die Ecke gefahren, sodass ich meine Beine ausstrecken kann, aus der Armlehne ragt ein massives Falt-Tischchen, auf dem mein Notebook steht. Wie im Flugzeug. Business Class.
Aus der Burmester-High-End-Surround-Anlage (sogar optisch ein Genuss) schallt in erstklassiger Soundqualität klassische Musik, die passt hier am besten. Ich könnte auch fernsehen oder ein Fläschchen eiskalten Schampus aus dem Kühlfach neben mir köpfen, wenn ich nicht zu arbeiten hätte. Außer einem Startknopf (für die Zündung) habe ich hier hinten alles, was ich brauche, von der Sitzklimatisierung bis zur Fernbedienung für das Entertainmentsystem.
Auch der Fahrerplatz ist nichts für Fronarbeiter
Trotzdem gut, dass zu meinem Job nicht nur sitzen und schreiben gehört, sondern auch fahren, denn das geht hier im Mercedes "S 500 4MATIC lang" auch ganz hervorragend. Der 4,7-Liter-Doppelturbo-V8 säuselt sanft wie anderswo ein Zwölfzylinder, auch der Fortissimo-Einsatz der 455 PS und 700 Nm klingt maximal wie mezzopiano, obwohl das Triebwerk heftigst anschiebt, was sich behelfsmäßig in einem 0-bis-100-Sprintwert von 4,8 Sekunden ausdrücken lässt. Auf der anderen Seite gibt es eine perfekte Stopp-Start-Automatik, die beste am Markt und die einzige, die ich nicht ausschalte.
Das legendenbildende "Magic-Body-Control"-Fahrwerk ist hier nicht an Bord, weil es sich gemeinsam mit dem Allradantrieb nicht ausgeht, aber auch das serienmäßige Luftfahrwerk mit stufenloser Dämpfungsregelung ist ein Genuss. In Comfort-Stellung ist Gleiten angesagt, und auch wenn das rote Lamperl für "Sport" leuchtet, verliert der Wagen nie die Contenance und überträgt diese Souveränität auch auf den Fahrer. Zwar sind wir hier von echtem Sport weit weg - aber das arbeitet alles richtig präzise und bleibt dennoch jederzeit komfortabel. Im Vergleich z.B. zu einem Rolls-Royce oder Bentley merkt man, dass die lange Allrad-S-Klasse mit zwei Tonnen Leergewicht ohne Fahrer fast eine halbe Tonne leichter ist und sich entsprechend dynamischer fährt.
Die Bedienung ist etwas für Berufs-Chauffeure
Von meinem Arbeitsplatz hinter den verdunkelten Scheiben habe ich auch einen herrlichen Blick über den eleganten Innenraum. Schon hier wird klar, dass diese S-Klasse (üppig ausstaffiert) weder als Konkurrent zum 7er-BMW noch zum Audi A8 zu sehen ist, sondern sich eher an den genannten Luxus-Marken orientiert. Nach dem Aus für die Marke Maybach muss eben die S-Klasse dieses Segment bedienen.
Wer einen Chauffeur hat, kann ruhig die Hände in den Schoß legen, Selbstfahrer sollten sich jedoch ausgiebig mit der Bedienung beschäftigen, denn die könnte durchaus intuitiver, klarer und weniger umständlich ausfallen. Das mag ein Grund dafür sein, dass die Einweisung zur Fahrzeugübergabe nach Angaben eines Mercedes-Mitarbeiters nicht wie früher eine halbe, sondern ganze drei Stunden dauert. Bedienungsunfreundlich ist etwa die Bluetooth-Anbindung: Mein iPhone bucht sich zwar sofort als Telefon ein, aber nicht automatisch auch gleich als Mediaplayer. Dafür muss ich mich erst durch die Menüs quälen.
In der Mitte prangt ein riesiges Display, das über die ganze Fläche z.B. dem Fahrer die Navi-Karte und gleichzeitig dem Beifahrer einen Film zeigen kann, generell unterteilbar wie BMWs "Split Screen" ist es allerdings nicht. Und das alte "Comand" ist irgendwie unelegant in eine spacige Umgebung integriert.
Was ist schon perfekt?
Auch im "besten Auto der Welt" ist nicht alles perfekt. So können Vorder- und Rücksitze zwar massieren wie nach einer mehrjährigen Physio-Ausbildung, von Entspannung bis Hot Stone, aber man hört die Massage-"Hände" einrasten; bei Nichtgebrauch spürt man es immer wieder mal in der Lehne knacken. Und im Testwagen hat die Königslinie, also der Übergang von Türverkleidung zur Frontkonsole, auf den man bei Mercedes so stolz ist, nicht sauber gepasst.
Vorreiter in Sachen Assistenz
Sicherheits- und Assistenzsysteme haben bei Mercedes seit je her einen besonderen Stellenwert, und auch die neue S-Klasse trumpft heftig auf. Um nur einige zu nennen: Sie kann nicht nur dem Vordermann nachfahren und das Tempo anpassen, sondern sogar selbst lenken (allerdings muss der Fahrer die Hände am Lenkrad haben, was den Sinn etwas infragestellt). Der Bremsassistent kann Kollisionen selbsttätig vermeiden, sogar solche mit dem Querverkehr. Auf dem bis zu 43,5 Grad neigbaren Rücksitz bin ich sogar halb liegend im Fall eines Unfalles gut geschützt, weil ein "Cushion Bag" verhindert, dass ich unter dem Gurt durchrutsche. Zusätzlich schützt ein Belt Bag meinen Brustkorb.
Von außen wirkt das 5,25-Meter-Schiff, als wäre es schwierig zu rangieren, so dass mein Nachbar mich beim Wenden auf dem Hof spontan einweisen wollte. Wenn der wüsste, dass ich dank des unfassbar scharfen Bildes der 360-Grad-Kamera mehr sehe als er!
203.324 Euro kostet der Testwagen inklusive teuren Extras wie dem Burmester-Konzertsaal zum Preis eines Kleinwagen und günstigen wie der 220-V-Steckdose im Fond. Der Basispreis für den S 500 4MATIC mit langem Radstand liegt bei theoretischen 136.970 Euro, wobei allein die Radstandsverlängerung um 13 Zentimeter mit 5.000 Euro zu Buche schlägt. Der Einstieg in die S-Klasse beginnt bei 86.150 Euro für den S 300 BlueTEC mit 204-PS-Benziner und 27-PS-Elektromotor.
Was man mehr oder weniger gratis dazubekommt, ist ein gewisser Soliditätsschub für den Charakter, eine Lektion in Gelassenheit nach dem Motto "In der Ruhe liegt aber so was von die Kraft". Ich bin mittlerweile derart entspannt, dass ich jetzt noch ein wenig die Beine hochlege und mein Haupt an der polsterartigen Kopfstütze bette - bis mich der Hafer sticht und ich ausprobiere, ob ich das Fahrwerk nicht doch aus der Ruhe bringe.
Warum?
Ultimativer Luxus auf höchstem technischem Niveau
Warum nicht?
Bedienung etwas umständlich
Oder vielleicht …
… doch lieber eine Wohnung für die Tochter, die zu studieren beginnt?
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.