„Das Ferienhaus“

Simon Stone seziert die Schuld des Schweigens

Kultur
19.12.2025 14:16

Bejubelte Österreichische Erstaufführung im Burgtheater: Regisseur Simon Stone hat aus Motiven von Henrik Ibsen das Familienepos „Das Ferienhaus“ gebaut. Ein hochkarätiges wie imposantes Ensemble macht es zu einem eindringlichen Sezierkurs in Sachen familiärer Schuld. 

Es sollte ein Rückzugsort sein für die ganze Familie. Für unbeschwerte Tage befreit von den Sorgen des Alltags. Luftig und modern, rundherum riesige Glasfassaden mitten in der Natur. Doch es kommt anders. Das gläserne Ferienhaus wird zum zentralen Schauplatz eines Familiendramas, das über vier Generationen auf immer neue Tragödien zuläuft. Bis eine der letzten Überlebenden das Haus nach sechs Jahrzehnten auslöscht – und es abfackelt.

Der australisch-schweizerische Regisseur Simon Stone hat aus diversen Dramen von Henrik Ibsen einen Theaterabend geschmiedet. Durch die Figuren und Themen, ja sogar den Schauplatz von „Das Ferienhaus“ weht unverkennbar Ibsens Geist. Das Stück selbst spielt in der nahen Vergangenheit, Kostüme und Sprache ist nahtlos aus einem heutigen Alltag gesponnen. 2017 in Amsterdam uraufgeführt, hat Simon Stone das Stück für Wien adaptiert und auch hier angesiedelt.

Erdrückende Lebenslügen
Neben Ibsen ist das Haus selbst das Rückgrat des Stückes. Bühnenbildnerin Lizzie Clachan hat es in voller Größe als nordischen Design-Bungalow aus Sichtbeton und Glas auf die Drehbühne gestellt. Wie die Zeit, steht das Haus selten still, rotiert beinahe ohne Unterlass. Stone erzählt in den gläsernen Räumen das Generationen übergreifende Drama der Familie Albrich von 1964 bis in die Gegenwart.

Schauplatz der dramatischen Szenen einer Familie: das 1964 erbaute gläserne Ferienhaus.
Schauplatz der dramatischen Szenen einer Familie: das 1964 erbaute gläserne Ferienhaus.(Bild: Burgtheater/Marcella Ruiz-Cruz)

Da ist die Großmutter, die einst die Familie verlassen hat, um die Söhne vor ihrer Depression zu schützen; da ist das ungleich traumatisierte Brüderpaar; der pädophile Onkel und Großvater; da sind die schweigenden Mütter, die Schuld auf sich laden, weil sie nicht hinschauen wollen; da ist der Wildfang der Familie, der dafür bestraft wird, die Lebenslügen aufdecken zu wollen, der homosexuelle Sohn, der an all dem zerbricht. 

Geschickt lässt Simon Stone die Szenen auseinander entstehen, springt zwischen Jahrzehnten und Anlässen, beinahe meint man, live einen Film zu sehen. Die Figuren bleiben über knappe vier Stunden die logische Konstante, die Schauspieler wechseln geschmeidig von Generation zu Generation, spielen Onkel und Neffen, Mütter und Nichten.

Feuerwerk der Katastrophen
In schneller Abfolge folgt ein Puzzlestein auf den nächsten, wird das Schweigen gelüftet – bis sich die Fäden des Dramas in jeder Generation zur Katastrophe verdichten.

Spielen das zentrale Ehepaar famos: Caroline Peters (links) und Franziska Hackl
Spielen das zentrale Ehepaar famos: Caroline Peters (links) und Franziska Hackl(Bild: Burgtheater/Marcella Ruiz Cruz)

Dass sich dieses Feuerwerk an Katastrophen so unerbittlich entspinnt und zuspitzt, liegt an einem hochkarätigen wie herausragenden Ensemble. Gleich in mehreren Generationen und Rollen überzeugen aus einem großen Cast unter anderem eine differenzierte Caroline Peters, eine fein wandelbare Franziska Hackl, ein starker Michael Maertens, ein in sich ruhender Roland Koch und eine Birgit Minichmayr im dauernden Ausnahmezustand.

Sie alle formen unprätentiös alltägliche Charaktere, die auch aus einer Fernsehserie stammen könnten. Stone braucht keine theatrale Erhöhung oder Überzeichnung, das Leben selbst ist hier Drama genug. Die (nicht zuletzt dem Glashaus geschuldete) Verstärkung schafft anfangs Distanz, funktioniert jedoch in der Gestaltung der lebensnahen Figuren gut.

Simon Stone zeigt mit „Das Ferienhaus“ ein dramaturgisch zwingendes, sprachlich pointiertes und psychologisch fein seziertes Familienepos im Geiste Ibsens. Nur für wenige Szenen verlässt Stone die Hermetik des Familiensystems, lässt sich zu politischem Gegenwartsbezug hinreißen, rechnet mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ab. Es sind Momente, die ein großes Stück kleiner machen.

Leichtfüßig, aber nie banal
Simon Stone erzählt die Katastrophen ihres Lebens – von Drogen und Depression, Missbrauch und mentale Gewalt, Suizid und Mord  – dabei filmisch fließend und dramaturgisch leichtfüßig, ohne je in die Banalität abzugleiten. 

„Nehmen Sie einem Durchschnittsmenschen die Lebenslüge, und Sie nehmen ihm zu gleicher Zeit das Glück“, lässt Henrik Ibsen seinen Protagonisten in „Die Wildente“ sagen. Dieses gläserne Ferienhaus bringt alle diese Lügen ans Licht, schält sie aus den sich häutenden Schalen der Generationen. Hier kann sich selbst das Schweigen nicht verstecken.

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