75 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention: Sind Persönlichkeitsrechte in Österreich – auch im europäischen Vergleich – ausreichend geschützt? „Eine effektive Grundrechtskontrolle und Fachaufsicht finden in der derzeitigen Praxis oft nicht statt“, sagt ein früherer Justizminister.
Rund um den 75. Jahrestag der Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention am 4. November 1950 in Rom entbrannte eine Debatte über deren Auslegung. Diese dreht sich vorrangig um Hürden bei der Ausweisung von Straftätern nach Syrien.
Doch rückt das Jubiläum auch in den Fokus, wie es um die Grundrechte in Österreich bestellt ist und wo es Defizite gibt. Hier lohnt sich ein Blick auf Artikel 6 „Recht auf ein faires Verfahren“ und Artikel 8 „Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“ in Zusammenhang mit Rechtsschutzdefiziten in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Für die lange Dauer von Verfahren steht die heimische Justiz immer wieder in der Kritik, wie zahlreiche Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) untermauern.
Grassers Verfahren dauerte 16 Jahre lang
Auch Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser kündigte unmittelbar nach seiner rechtskräftigen Verurteilung zu vier Jahren Haft eine Beschwerde in Straßburg an. Insgesamt 16 Jahre dauerte das Verfahren gegen ihn.
Auch beim Schutz vor Eingriffen des Staates in Privatleben, Familie, Wohnung und Korrespondenz schrillen bei Experten vermehrt die Alarmglocken. So gab es etwa bei Hausdurchsuchungen einen Wandel. Wurden diese früher vorrangig bei Terror- oder Suchmittelverdacht durchgeführt, wird dieses Instrument in den letzten Jahren auch massiv bei Verdacht auf Wirtschafts- oder Korruptionsdelikte verwendet. Hausdurchsuchungen und Handysicherstellungen erwiesen sich offenbar vor allem für die WKStA als hilfreiches Vehikel. Doch halten die Grundrechtseingriffe den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention stand?
„Eine effektive Grundrechtskontrolle und Fachaufsicht finden in der derzeitigen Praxis oft nicht statt“, kritisiert etwa der frühere Justizminister Wolfgang Brandstetter und bezieht sich beispielsweise auf die BVT-Razzia 2018, die vom OLG als weitgehend rechtswidrig qualifiziert wurde.
Neuregelung bei Handysicherstellungen
Im Dezember 2023 stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Sicherstellung von Handys in Strafverfahren ohne richterliche Bewilligung verfassungswidrig ist und nicht den Anforderungen von Artikel 8 der Konvention entspreche. Der Gesetzgeber reagierte unter Zeitdruck darauf, seit 1. Jänner 2025 ist eine richterliche Bewilligung erforderlich.
Die Kritik ist damit nicht ausgeräumt. Anwälte beanstanden, dass Haft- und Rechtsschutzrichtern teils die Zeit für eine exakte Prüfung der Verhältnismäßigkeit fehle – Stempel und Unterschrift würden ausreichen, um eine Anordnung zu bewilligen. Im Wiener Landesgericht weist man dies scharf zurück: „Ermittlungsmaßnahmen, die gerichtlicher Entscheidungen bedürfen, werden selbstverständlich sorgfältig geprüft“, sagt Sprecherin Christina Salzborn.
Neu in der Strafprozessordnung ist auch, dass Beschuldigten ein subjektives Recht auf Trennung von Verfahren eingeräumt wird, die gegen mehrere Personen zusammen geführt werden. Hier kam es nicht zuletzt durch Datenlecks immer wieder zu Grundrechtsverletzungen. Jetzt haben weniger Personen Einsicht in einen Akt – was auch die Gefahr des „Rausspielens“ von Inhalten verringern soll.
Keine Urteilsstatistik im Jahresbericht der WKStA
Ein Blick auf die Verurteilungsstatistik der WKStA nährt die Behauptung von Kritikern, dass diese teils vorschnell oder überschießend agiere. Zumal Schäden, die durch Eingriffe in Grundrechte verursacht werden, irreversibel sind. Im vorletzten Jahresbericht führt die Behörde aus, dass 2023 zu 459 Beschuldigten die Einstellung des Ermittlungsverfahrens erfolgte. 152 Beschuldigte wurden angeklagt, in 54 Fällen gab es Schuldsprüche, für 86 Beschuldigte eine Diversion durch das Gericht. Es erfolgten 60 Freisprüche.
Spannend: Im aktuellen Jahresbericht sind Informationen zum Ausgang von Verfahren im Jahr 2024 gar nicht mehr enthalten. Laut WKStA sei eine Bilanz „kein Erfolgsfaktor“.
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