Nach der jüngsten Bluttat in Wien-Leopoldstadt, wo ein 44-jähriger Serbe seine gleichaltrige Ehefrau erschossen, die gemeinsame Tochter schwer verletzt und sich anschließend selbst gerichtet haben soll, stellt sich einmal mehr die Frage: Tut die Politik genug, um Frauen in Österreich zu schützen? „Die Politik tut sehr viel, um Frauen zu schützen. Aber sie lässt die Täter im Stich“, so die Einschätzung von Gerichtspsychiaterin Sigrun Roßmanith.
Bereits der zehnte Femizid in diesem Jahr in Österreich. Immer öfter stehen brutale Beziehungstaten im Mittelpunkt, bei denen Männer ihre Partnerinnen töten. Doch warum kommt es immer wieder zu solchen Eskalationen? „Na ja, solche Taten ereignen sich immer in Situationen, wo ein Mann seine Partnerin nicht loslassen kann und sie auch keinem anderen gehören soll und wo sich die Situation aufheizt und die Stimmung und letztlich die Waffe entscheidet“, so Gerichtspsychiaterin Sigrun Roßmanith. Oft sei es genau diese Trennungssituation, die für Männer unerträglich werde, die Frau soll nicht mehr frei sein, aber auch keinem anderen gehören.
Wohnung als Tatort
Besonders häufig kommt es innerhalb der Wohnung zu den Verbrechen. „Weil die betroffenen Täter einfach keine andere Lösung parat haben. Weil ihnen lieber ist, sie löschen alles aus und sie stehen nicht da als jemand, der ein Loser ist. Aber in vielen Fällen können sie auch nicht loslassen. Das ist oftmals ein Abhängigkeitsthema. Die Frau wurde lange schon als Teil des eigenen Selbst erlebt. Wir könnten auch sagen, funktionalisiert als Besitz.“
Wenn dieser „Besitz“ plötzlich unabhängig wird, sei das für viele Männer unerträglich. „Und wir wissen, dass Männer mit Bedrohungen eher aggressiv vorgehen gegen andere und somit auch häufiger Waffengewalt bei diesen Beziehungstaten vorkommen“, betont die Expertin.
„Furchtbare letzte Aussprachen“
Auf die Frage, wie Frauen im privaten Umfeld geschützt werden können, sagt Roßmanith: „Zu welcher Gewalthandlung jemand neigt? Im gegenständlichen Fall ist das aber die Frage, ob nicht diese Frau ohnedies ihre Tochter und den Partner der Tochter gebeten hat zu kommen, weil offenbar jetzt hier eine Aussprache – diese furchtbaren letzten Aussprachen – stattfindet.“
Ob die Politik genug tut? „Ich glaube, die Politik tut sehr viel, um die Frauen zu schützen. Sie lässt aber ein bisschen die Täter im Stich, finde ich. Hier sollte viel mehr gemacht werden. Es sollte intensiver eine Täteraussprache erfolgen, sollte intensiver eine Auflage für gewaltpräventive Maßnahmen, Antiaggressionstraining und und und....“, so die Psychiaterin.
Besonders wichtig sei auch ein neues Männerbild:
„Wesentlich wäre, dass in der Gesellschaft ein Ideal entsteht eines Mannes, der vermittelt, wer wirklich einen guten Selbstwert hat. Wer auf sich als Mann und Ehepartner was hält, der braucht keine Gewalt. Gewalttäter sind eigentlich Loser und schwach. Das sollte die Botschaft sein.“
„Drohungen schon im Vorfeld“
Viele Frauen zögern, Hilfe zu holen, weil sie Angst vor dem Urteil anderer haben: „Was sagen die anderen? Was sagt die Familie, wenn ich die Polizei einschalte?“, erklärt Roßmanith. Dieses Zögern könne gefährlich sein, besonders weil Gewalt oft unvorhersehbar eskaliert. Klar sei: Wenn es in der Vergangenheit bereits Drohungen oder Gewalthandlungen gegeben habe, sei das ein eindeutiger Risikofaktor. „Aber meistens haben wir ja im Vorfeld schon Drohungen“, so die Expertin.
Auch beim Schutz durch die Gesetzgebung sieht Roßmanith Verbesserungsmöglichkeiten: „Man kann immer mehr machen. Aber welche Lücken in der Gesetzgebung bestehen, das müssen Juristen feststellen. Ich kann nur feststellen, dass Frauen sehr gut geschützt werden, wenn sie sich rechtzeitig wohin wenden. Natürlich kann man noch mehr Frauennotlinien einrichten oder Frauenhäuser schaffen. Ich sehe aber eher ein Defizit auf der Täterseite in der Prävention von solchen Tathandlungen.“
Die erschreckende Zahl der Femizide zeigt: Frauen brauchen besseren Schutz – nicht nur durch Polizei und Gesetze, sondern durch ein Umfeld, das Warnsignale ernst nimmt. Drohungen und frühere Gewalt sind klare Alarmzeichen, die nicht ignoriert werden dürfen.
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