Eine neue Studie zeigt: Schon die aktuelle globale Erwärmung von rund 1,2 Grad Celsius bringt die Eisschilde Grönlands und der Antarktis aus dem Gleichgewicht. Selbst das im Pariser Abkommen verankerte 1,5-Grad-Ziel könnte nicht ausreichen, um langfristige Schäden zu verhindern.
Der Eisschwund an den Polkappen hat sich seit den 1990er-Jahren vervierfacht – aktuell gehen jährlich rund 370 Milliarden Tonnen Eis verloren. Laut einer internationalen Forschungsgruppe gefährdet dieser beschleunigte Eisverlust nicht nur die Stabilität der Eisschilde, sondern setzt auch einen Prozess in Gang, der über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende nicht mehr rückgängig zu machen ist.
Die Folgen: ein über Jahrhunderte anhaltender Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter und massive Bedrohungen für hunderte Millionen Menschen in Küstenregionen weltweit.
Beobachtungen sind „alarmierend“
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Communications Earth & Environment“ veröffentlicht. Die Forschenden kombinierten aktuelle Satellitenmessungen, Klimamodelle sowie Erkenntnisse aus früheren Warmzeiten der Erdgeschichte. Ihr Fazit: Bereits die heutige Erderwärmung von etwa 1,2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau reicht aus, um einen langfristigen und unumkehrbaren Anstieg des Meeresspiegels auszulösen.
„Die jüngsten Beobachtungen des Eisverlusts sind alarmierend – selbst unter den derzeitigen Klimabedingungen“, sagt Studienleiter Chris Stokes von der Durham University.
Eisverlust beschleunigt sich schneller als erwartet
Während Klimamodelle bisher von einem moderaten Eisverlust ausgingen, zeigen Satellitendaten, dass die Realität bereits darüber hinausgeht. Jonathan Bamber von der Universität Bristol erklärt: „Die Modelle haben nicht vorhergesagt, was wir in den letzten drei Jahrzehnten tatsächlich beobachtet haben.“
Wenn das Schmelzen der Eisschilde in Grönland und der Antarktis ungebremst weitergeht, könnten sie zusammen den Meeresspiegel um fast 65 Meter anheben – auch wenn ein vollständiges Abschmelzen viele Jahrhunderte in Anspruch nehmen würde. Schon jetzt aber leben rund 230 Millionen Menschen in Regionen, die weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel liegen.
Zielmarke muss auf 1 Grad gesenkt werden
Die Forschenden warnen, dass selbst das 1,5-Grad-Ziel zu hoch angesetzt sein könnte. Frühere Warmzeiten wie die Eem-Warmzeit zeigen: Bereits bei vergleichbarer Erwärmung kam es zu einem Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern. Die Studie legt daher nahe, ein globales Temperaturziel von maximal 1 Grad über dem vorindustriellen Niveau anzustreben, um die Eisschilde möglichst zu stabilisieren.
Andrea Dutton von der University of Wisconsin-Madison betont: „Je länger hohe Temperaturen anhalten, desto gravierender sind die Folgen für das Eis und den Meeresspiegel.“ Auch Rob DeConto von der University of Massachusetts warnt: „Selbst, wenn wir zur vorindustriellen Temperatur zurückkehren würden, dauert es Jahrhunderte oder Jahrtausende, bis sich die Eisschilde erholen.“
Dauerhafte Konsequenzen für kommende Generationen
Ein zentraler Aspekt: Der Eisverlust ist auf menschlichen Zeitskalen irreversibel. Das bedeutet, dass Landflächen, die durch den steigenden Meeresspiegel verloren gehen, nicht wiedergewonnen werden können – zumindest nicht innerhalb vieler Generationen.
Die Autoren der Studie sehen darin eine akute Herausforderung für politische Entscheidungsträger. Die Anpassung an künftig möglicherweise jährlich um einen Zentimeter steigende Meeresspiegel – ein Wert, den die junge Generation laut den Forschern noch selbst erleben könnte – sei extrem schwierig.
Jeder Bruchteil eines Grads zählt
Die Forscher betonen, dass zwar nicht alles verloren sei, wenn die 1,5-Grad-Marke erreicht oder kurzfristig überschritten wird. Doch jeder zusätzliche Bruchteil eines Grads könne den Unterschied zwischen Stabilität und unumkehrbarem Kollaps der Eisschilde ausmachen.
„Je früher wir die Erwärmung stoppen, desto größer ist die Chance, wieder in sichere Temperaturbereiche zurückzukehren“, so Chris Stokes.
Die Studie zeigt deutlich: Es geht nicht mehr nur darum, Klimaziele einzuhalten – es geht darum, zu korrigieren, was bislang als ausreichend galt. Der Blick zurück auf vergangene Warmzeiten und die Daten der Gegenwart sprechen eine klare Sprache: 1,5 Grad könnten zu viel gewesen sein.
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