Hypochondrie

Eine eingebildete Krankheit, aber echtes Leid

Gesund
02.11.2012 16:52
Hypochonder sind keine Simulanten. Sie werden von einer Angst- bzw. Zwangskrankheit geplagt, die auch unter Prominenten weit verbreitet ist.

Herr W., 45, misst täglich mehrmals seinen Blutdruck, weil er Angst vor einem Herzinfarkt hat. Daher kann er auch keine weiter entfernt wohnenden Kunden besuchen, weil dann nicht rasch genug medizinische Hilfe verfügbar wäre. Frau S., 30, fürchtet seit dem Brustkrebstod ihrer Mutter, deren Anlage geerbt zu haben. Sie bedauert, dass es bei uns – anders als etwa in den USA – nicht möglich ist, sich die Brust prophylaktisch entfernen zu lassen, und hat grauenvolle Ängste, dass auch ihre Tochter an Mammakarzinom sterben könnte.

Frau Sch., 37, hat folgende Gesundheitsvorstellungen: Täglicher Stuhlgang ist ein Muss, jeder, auch nur kurz anhaltende Schmerz ist ein Krankheitszeichen "sonst wäre er nicht da", nur Bio-Produkte und Vollkornkost kommen als Ernährung in Frage. Bei kleinsten Abweichungen wird der Arzt konsultiert – aber aus Furcht vor möglichen Nebenwirkungen kommt die Anwendung von Arzneimitteln für sie nicht infrage.

Angst vor Krankheiten
Diese Menschen sind durch ihre Leiden in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt – aber nicht, weil sie organische Krankheiten hätten, sondern weil sie sich davor fürchten. "Der Bereich der Krankheitsängste umfasst zwei unterschiedliche Symptomatiken: einerseits die Angst oder Überzeugung, bereits eine lebensgefährliche oder unheilbare Krankheit zu haben (Hypochondrie), andererseits die Befürchtung, in absehbarer Zeit eine solche zu bekommen (Krankheitsphobie)", erklären Hans Morschitzky, Psychotherapeut an der Landesnervenklinik Linz, und Thomas Hartl in ihrem Buch "Die Angst vor Krankheit" (Patmos Verlag).

Je nach Studie leiden zwischen sieben und zehn Prozent der deutschen Bevölkerung unter erhöhten Krankheitsängsten, etwa ein Prozent sind internationalen Untersuchungen nach als Hypochonder zu bezeichnen. Einer der berühmtesten "Patienten" war und ist auf der Theaterbühne Molières "Eingebildeter Kranker" aus dem 17. Jahrhundert. Der französische Dichter nimmt hier gleich Ärzteschaft und Betroffene aufs Korn.

Der amerikanische Regisseur und Schauspieler Woody Allen bekennt sich öffentlich zu seiner Krankheitsangst und machte in seinen Filmen den Typ des Hypochonders sogar zum eigenen Stilmittel. Zitat: "Das Leben ist voller Leid, Krankheit, Schmerz. Und zu kurz ist es übrigens auch."

Echte Krankheiten werden nicht behandelt
Betroffene sitzen aber nicht nur übel gelaunt herum – sie sind unter Umständen sogar sehr umtriebig, denn es besteht häufig eine Angst vor körperlichem Versagen. Zu viel oder falsches Training kann bekanntlich ja erst recht zu Beschwerden führen - und schon folgt die Bestätigung für die zu Grunde liegenden Sorgen. Es kann auch ständiger Kontrollzwang der Körperfunktionen oder zwanghaft gesunde Ernährung mit Überdosierung von ergänzenden Substanzen auftreten. Zumal paradoxerweise dann bei "echten" Symptomen der Gang zum Arzt aus lauter Angst unterbleibt und behandlungsbedürftige Leiden übersehen werden.

In die "Psychoecke" darf man Betroffene also nicht abschieben, wie die Buchautoren warnen. Denn auch Angehörige und Freunde leiden mit, können aber mit gut gemeinten Ratschlägen allein nicht helfen.

Mittlerweile gibt es eine Anzahl wirkungsvoller Behandlungsmethoden der Hypochondrie. Das Therapiekonzept geht davon aus, dass bestimmte Lebenserfahrungen und Risikofaktoren in Verbindung mit Denk- und Wahrnehmungsmustern zugrunde liegen. Diese kann man aufspüren, erklären und zugunsten besserer Lebensqualität zum positiven hin verändern (Psychoedukation).

Selbsthilfe

  • Erforsche deine Krankheitsängste: Welche Erkrankungen hast du schon gehabt, was verstärkt deine Ängste, in welchen Situationen treten sie auf usw.?
  • Ändere dein Denkmuster: Kognitive Übungen und eine realistische Einschätzung von Krankheitsrisiken kann man erlernen. Irrationale Gedanken, Schuldgefühle, Unsicherheit etc. lassen sich in Gesprächstherapie behandeln. Führe positive Selbstgespräche: "Ich vertraue auf meinen Körper. Auch, wenn ich Ängste habe, kann ich alles tun, was mir wichtig ist."
  • Stärke dein Vertrauen in deinen Körper: Verzichte auf Schonung, Kontrollen und Sicherheitssignale (häufiges Blutdruck-, Fiebermessen etc., In-sich-Hineinhören, ständige Arzttermine).
  • Lenke deine Aufmerksamkeit auf die Umgebung und deine Mitmenschen
  • Mentales Training
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