Zwei neue Obfrauen

„Die Ärztekammer hat jetzt deutlich mehr Östrogen“

Wien
08.04.2024 19:00

Nach den Querelen im vergangenen Jahr haben die beiden Kurien der Wiener Ärztekammer eine neue Führung. Jetzt wurden Natalja Haninger-Vacariu (Angestellte) und Naghme Kamaleyan-Schmied (Niedergelassene) angelobt. Wir haben beide getrennt voneinander zum Interview getroffen. 

Natalja Haninger-Vacariuhat bei angestellten Ärzten das Sagen. Das Gesprächsklima mit Stadt und Gesundheitsverbund war schon besser.

Krone: Frau Dr. Natalja Haninger-Vacariu, in den vergangenen Monaten gab es einige Turbulenzen in der Wiener Ärztekammer. Was unterscheidet Sie von Ihrem Vorgänger?
Dr. Natalja Haninger-Vacariu: Wir müssen natürlich die Probleme in den Spitälern aufzeigen. Ich verstehe meine Rolle als Sprachrohr und Vermittlerin.

Im vergangenen Jahr wurde unter Ihrem Vorgänger ein sehr detaillierter Zehn-Punkte-Plan zur Verbesserung der Wiener Spitäler ausgearbeitet. Was davon hat für Sie noch Gültigkeit?
Dieser Leitfaden hat sich ja aus einer Umfrage unter den Ärzten ergeben. Das ist eine Agenda, die wir mit der Stadt und dem Wiener Gesundheitsverbund abarbeiten müssen.

Gibt es denn Gespräche?
Die sind mittlerweile wieder angelaufen. Mit dem Gesundheitsverbund hatten wir schon einen Termin mit guten Lösungsansätzen.

Gibt es Details?
Ich bitte um Verständnis, dass wir nicht vorgreifen wollen. Es werden weitere Gespräche folgen. Es gilt abzuwägen, welche Ziele man als erste verwirklichen kann.

Wo sehen Sie denn die wichtigsten Punkte?
Wir müssen die Personalflucht aus dem öffentlichen Gesundheitssystem bremsen. Das geht nur mit attraktiven Arbeitsbedingungen, mit wettbewerbsfähigen Gehältern. Stadtrat Hacker hat ja bereits angekündigt, das Gehaltsschema anzugehen, weil Wien im Bundesländervergleich im unteren Mittelfeld rangiert. Wir brauchen spürbare Verbesserungen. Das wird die Basis unserer Gespräche sein. Auch Bürokratieabbau ist wichtig, unsere Kollegen haben viel zu wenig Zeit für die Patienten – das erzeugt Frust.

Gab es mit Gesundheitsstadtrat Peter Hacker schon einen Termin?
Wir haben einen Termin Ende April vereinbart.

Die angestellten Ärzte haben im Herbst gestreikt. Es hieß, dass es im Frühling weitere Maßnahmen geben könnte. Wird es diese geben?
Im Moment haben wir eine gute Gesprächsbasis. Ich hoffe nicht, dass wir diesen Schritt setzen müssen.

Nach nur einem Termin mit dem Gesundheitsverbund?
Dieser war durchaus konstruktiv.

Haben Sie denn den Streik selbst unterstützt?
Ich unterstütze immer die Forderungen der Kollegen.

Waren Sie denn dabei?
Ja.

Anderes Thema: Wie konnte der mächtigen Wiener Ärztekammer so lange das Böhler-Debakel entgehen?
Wir sind Ärzte, keine Brandschutzexperten. Als wir davon erfahren haben, war unser Kollege Dr. Heinz Brenner vor Ort vertreten.

Wie geht es mit den Kollegen dort jetzt weiter? Raten Sie denn den Kollegen zu einem Wechsel in den Wiener Gesundheitsverbund?
(lacht) Da gäbe es noch viele offene Fragen. Wir setzen uns aber dafür ein, dass die gut funktionierenden Teams nicht auseinandergerissen werden.

Hat die Ärztekammer nach den Querelen einen Schaden davongetragen?
Sacharbeit steht jetzt im Vordergrund.

Ist die Arbeit in der Kammer anstrengender als im Vorjahr? Schließlich wurden die Zahlungen an Funktionäre um 45 Prozent erhöht.
Prinzipiell gibt es viel Arbeit, allerdings bin ich nicht die richtige Anlaufstelle, sondern der Finanzreferent. Ob das Geld gut eingesetzt ist, wird man sich gegebenenfalls ansehen müssen. 

Naghme Kamaleyan-Schmiedist für niedergelassene Ärzte in Wien zuständig. Sie fordert rasch bessere Rahmenbedingungen für Kassenärzte.

Krone: Frau Dr. Kamaleyan-Schmied, in den vergangenen Monaten gab es einige Querelen in der Wiener Ärztekammer. Sie selbst sind schon lange Funktionärin. Wie ist die Stimmung?
Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied: (lacht) Wir haben es doch lustig hier, oder?

Absolut.
Nein, im Ernst. Es geht uns jetzt deutlich besser. Das spüren auch unserer Mitarbeiter in der Kammer.

Woran liegt das?
Wir haben jetzt mehr Östrogen in der Kammer.

Das ist alles? Oder liegt es an der Erhöhung der Zahlungen an Funktionäre von 2,27 auf 3,28 Millionen Euro? Immerhin satte 45 Prozent.
Nein, es ist das Östrogen. Es ist ruhiger. Man kann besser arbeiten. Aber ganz ehrlich. Es ist sogar noch viel mehr Arbeit zu tun. Es wurde leider viel verbrannte Erde hinterlassen. Das muss aufgearbeitet werden. Wir arbeiten jeden Tag mit vollstem Einsatz daran und verbringen mehr Zeit in der Kammer als je zuvor.

Der niedergelassene Bereich ist nach den Diskussionen der Spitalsärzte – Stichwort: Streik oder Lorenz Böhler – in den Hintergrund geraten. Wie steht es um die niedergelassenen Ärzte?
Wir brauchen mehr Kassenstellen, wir brauchen mehr Ärzte im System, und wir brauchen vor allem bessere Rahmenbedingungen. Wir haben keinen Mangel an Medizinern, sondern an Kassenärzten. Wir haben heute in nur wenigen Stunden 160 Patienten in meiner Ordination behandelt. Und das war ein ruhiger Tag. Kein Wunder, dass sich das viele nicht antun wollen.

Der Bund hat den 100.000-Euro-Startbonus für 100 neue Kassenärzte ins Leben gerufen. Freuen Sie sich schon auf die neuen Kollegen?
Wie wir ja beide wissen, sind von den vermeintlich über 400 Bewerbern vermutlich nicht viele berechtigt, eine Kassenstelle zu übernehmen. Die zusätzlichen Planstellen und der Bonus für die sogenannten Mangelfächer sind im Prinzip gut, aber die Umsetzung lässt zu wünschen übrig.

Also sind Sie keine Freundin von der Lösung?
Eine Einmalzahlung ist bei einer Ordinationsgründung ein Tropfen auf den heißen Stein.

Es gibt genug Branchen, wo Unternehmer keinen Startbonus bekommen.
Daher würde ich auch die Rahmenbedingungen so anpassen, dass Ärzte freiwillig ins Kassensystem gehen. Früher wollte jeder einen Kassenvertrag, weil es eben noch attraktiv war. Das ist leider vorbei.

Wann ist das System ins Ungleichgewicht geraten?
Es gab früher mehr Ärzte und weniger Bürokratie. Wir haben pro Arzt um 40 Prozent mehr Patientenkontakte als noch vor einigen Jahren. Die Zeit mit den Patienten wird immer weniger.

Jetzt sitzen Sie am Verhandlungstisch. Was sind Ihre konkreten Forderungen?
Es braucht rasch faire und leistungsgerechte Honorare und einen einheitlichen Leistungskatalog. Wir müssen auch über Inflationsanpassung und eine Abschaffung der „unechten Umsatzsteuerbefreiung“ sprechen.

Was wäre die Folge?
Deutlich mehr Kassenärzte und damit mehr Zeit für die Patienten. Unsere staatlichen Gesundheitsausgaben sind hoch, aber die gesunden Lebensjahre steigen nicht im gleichen Ausmaß. In einem idealen System würde das viel Leid ersparen, die Lebensqualität verbessern und die Arbeitsfähigkeit länger erhalten.

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