Leichen gehören für ihn zur Tagesordnung: Gerichtsmediziner Mario Darok aus der Steiermark gewährt der „Krone“ Einblick in seine Arbeit und erklärt, warum er sich bei Krimis gar nicht mehr ärgert und warum nicht alle Mordfälle entdeckt werden.
„Krone“: Wie viele Obduktionen machen Sie in der Woche?
Mario Darok: Im Schnitt sind es drei.
Und wie lange dauert eine?
Man benötigt zwischen 50 Minuten und vier Stunden. Wenn eine Leiche zum Beispiel 30 Einstiche hat, dann werden die genauestens angeschaut und vermessen. Dadurch sind viele Rückschlüsse möglich.
Gewöhnt man sich an den Leichengeruch?
An den „normalen“ - ja. An den von Fäulnis- oder Wasserleichen - nein! Da riecht sogar die eigene Haut.
Gibt es einen Trick?
Nach Möglichkeit durch den Mund atmen.
Sie waren noch nie bei einem Leichenfund dabei?
Ich wünsche es mir nicht. Es wäre zwar eine interessante Erfahrung und ein Erlebnis, wenn man als Profi eine Leiche finden würde - es muss aber nicht sein.
Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Alles mit Kindern geht uns immer sehr nahe. Und bei einem Fall in Kapfenberg, da wurde mir trotz damals 20-jähriger Berufserfahrung flau. Ein Mann ermordete seine Ex-Frau und deren Schwester vor einem Supermarkt. Das war ein „Overkill“ mit vielen Stichwunden, sogar Knochen sind abgesplittert. Beide Frauen hatten zudem Schuhabdrücke im Gesicht, der Mann ist auf sie gesprungen. Da dachte ich mir schon: Muss das alles sein, muss ich das sehen?
Glauben Sie, dass viele Morde unentdeckt bleiben?
Wenn man realistisch ist, wird es unentdeckte Mordfälle geben. Aber in der Regel nicht. Vor allem, weil es im ländlichen Bereich ja meist Beziehungstaten sind und die Leute dann auch dazu stehen. Es ist hier weniger die Unterwelt, die hinterrücks Anschläge verübt.
Können Sie Krimis schauen, ohne sich aufzuregen?
Anfangs habe ich mich schon über die Fernsehserien geärgert. Teilweise über die Klischees, aber auch über den vielen Unsinn. Jetzt, im Laufe der Jahre, finde ich es eigentlich gut so. Denn es soll ja keine Fortbildungsveranstaltung sein. Man weiß ja nicht, wer da alles zuschaut. Und die wüssten dann, was wir alles können oder eben nicht können.
Anfangs habe ich mich schon über die Fernsehserien geärgert. Teilweise über die Klischees, aber auch über den vielen Unsinn.
Mario Darok
Schauen Sie sich überhaupt „Tatort“-Folgen an?
Ja, aber nur jene mit Dr. Boerne (der „Tatort“ aus Münster, Anm.) - wegen der Unterhaltung. Das ist ja alles sehr unrealistisch.
Mit welchem Vorurteil würden Sie gerne aufräumen?
Dass die Gerichtsmedizin kein eigenes Fach wäre, sondern ein Teil der Pathologie. Das wird häufig verwechselt. Oft werden Gerichtsmediziner und Pathologe in einem Satz verwendet.
Wenn ich privat herumfahre, habe ich auch Erinnerungen: Da auf der Kreuzung, dort in dem Wald und da drüben in dem Bauernhaus ist das und das passiert.
Mario Darok
Was ist der Unterschied?
Der Unterschied ist: Die Pathologen machen Krankheitserforschung und Diagnostik. Wenn ein Arzt bei mir ein komisches Hautmal findet, wird es eingeschickt und von der Pathologie befundet. Das könnte ich gar nicht. Die Gerichtsmedizin hingegen ist die angewandte Medizin für die Zwecke der Rechtssprechung. Also der nicht natürliche Tod, aber auch die Verletzungslehre.
Also nicht nur Leichen?
Nein, überhaupt nicht. Einer der größten Irrtümer. Wir schauen uns auch die Lebenden an - zum Beispiel nach Verkehrsunfällen oder Gewaltdelikten. Wenn etwa unklar ist, wer am Steuer saß oder wie eine Verletzung entstanden ist.
Klingt sehr spannend.
Oh ja, deshalb habe ich dieses Fach gewählt. Weil es über die Grenzen der Medizin hinausgeht und in andere Bereiche wie Kriminalistik, Biodynamik oder Juristerei hineinreicht. Dieses breite Spektrum fasziniert mich.
Können Sie abschalten?
Nein. Man ist immer das, was man macht. Das habe ich bei einem Freund gemerkt und auf mich übertragen. Der ist Dermatologe. Und letztens beim Abendessen merke ich, wie er mich scannt. Ganz automatisch. Wenn ich privat herumfahre, habe ich auch Erinnerungen: Da auf der Kreuzung, dort in dem Wald und da drüben in dem Bauernhaus ist das und das passiert.
Nervt das Ihre Familie?
Nein! Bloß beim Argumentieren, sagt meine Frau oft: ,Wir sind hier nicht bei Gericht‘ (schmunzelt).
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