Fakt oder Fiktion?

Wirbel um bloggende „Sophie Scholl“ auf Instagram

Web
24.02.2022 12:55

Seit Mai 2021 erzählen Schauspieler auf Instagram - teils fiktional - aus dem Leben der deutschen NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Wenige Tage nach dem 79. Jahrestag ihrer Hinrichtung am 22. Februar 1943 durch die Nationalsozialisten endet nun am kommenden Samstag das Projekt @ichbinsophiescholl, das zuletzt mehr als 769.000 Nutzer verfolgten. Für den Bayerischen Rundfunk (BR) und den Südwestrundfunk (SWR) als Initiatoren ein voller Erfolg, doch es gibt auch Kritik.

Der Satiriker Jan Böhmermann etwa monierte letzte Woche in der ZDF-Show „Magazin Royale“, er habe eine „supersweete“ Bloggerin entdeckt, „die postet total cooles Influencerzeug, Rezepte, Traveltipps zwischen München und Ulm und Aktivisti-Lifestyle so bisschen mit Flyer verteilen an der Uni“. Sophie Scholl, die Videos und Fotos teilt und sogar Kommentare beantwortet: Er sei nur Hobbyhistoriker, aber das klinge alles ziemlich erfunden, lautet Böhmermanns Fazit. Er leitete daraus die Frage ab: „Geht es bei Geschichte nicht um Fakten und um Genauigkeit?“

„Historische Lücken kreativ geschlossen“
Doch das ist das Konzept der Serie: Es soll so wirken, als würde Sophie selbst posten, mit Luna Wedler („Biohackers“) als Gesicht des Kanals. In fiktiven Filmsequenzen spielt sie die Studentin, neben Darstellern wie Max Hubacher (Hans Scholl) oder David Hugo Schmitz (Alexander Schmorell). Sie genießt das Studentenleben, feiert, ist verliebt - und wird immer nachdenklicher angesichts der NS-Verbrechen, bis sie in der Weißen Rose aktiv wird, die in Flugblättern die Schandtaten des Nazi-Regimes anprangert.

„Wie bei jedem historischen Spielfilm zeichnen wir unser Bild von Sophie Scholl, nur eben nicht im Fernsehen oder im Kino, sondern auf Social Media“, sagte BR-Redakteurin Lydia Leipert. In Abstimmung mit Historikern habe man sich die Freiheit genommen, historische Lücken kreativ zu schließen, auf Basis der recherchierten Fakten.

Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, dem internationalen Zentrum über NS-Verfolgung, findet genau diesen Bezug zur Lebenswelt junger Menschen und die erzählerische Form wichtig: „Lücken mit Fiktion zu füllen, ist für uns kein Tabu. Es ist nur wichtig, die fiktionalen Elemente zu kennzeichnen oder deutlich zu machen, um Missverständnissen vorzubeugen.“

Weiße-Rose-Vorsitzende ortet Handlungsbedarf
Das sieht Böhmermann nicht überall erfüllt, etwa wenn Sophie unter einem Video schreibt: „Alex hat uns die ersten Aufnahmen von Ostfront gezeigt“. Erst weiter unten in den Kommentaren wird klargestellt: „Die gezeigten Bilder stammen von keinem Mitglied der Weißen Rose.“ Andere teilen unter dem Film Erinnerungen von Angehörigen, die als Soldaten an der Ostfront waren. Eine historische Einordnung des Russlandfeldzuges oder ein Verweis auf die Verbrechen der Wehrmacht an der Bevölkerung findet sich an der Stelle nicht, nur mitfühlende Worte: „Das tut uns sehr leid. Danke, dass du dieses sehr persönliche Schicksal mit uns teilst“. In den Kommentaren Empörung: „Hier werden die Täter der NS-Zeit fast schon zu Opfern erklärt“.

Hildegard Kronawitter, Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung in München, sieht in solchen Fällen Handlungsbedarf: „Wenn zum Beispiel bei einem Post von einzelnen UserInnen Familienerzählungen eingebracht werden, sollte hier eine Anmerkung über diesen verbrecherischen Krieg gemacht werden.“ Insgesamt findet Kronawitter das Projekt aber gut und historisch korrekt. „Wir setzen darauf, dass das bei sehr, sehr vielen Menschen geweckte Interesse weiter wirkt und sie sich mit den Inhalten in anderen Medien befassen“, hofft sie. „Wichtig ist, dass junge Menschen erst einmal vom Widerstand der Weißen Rose hörten und den bedrückenden Anlässen, den dieser Widerstand hervorrief.“

In der Tat hat die Serie viele sehr berührt, wie aus den Kommentaren hervorgeht. BR und SWR reagierten zudem aufgeschlossen: Das Konzept könne und dürfe jederzeit kritisiert werden. „Das hat Jan Böhmermann in seiner Sendung in satirischer Form getan“, sagt Leipert. „Wenn Kritik am Konzept von ‘@ichbinsophiescholl‘ eine konstruktive Debatte über die deutsche Erinnerungskultur auslöst, begrüßen wir das.“

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