Ein Trio spielt Krebspatienten über einen Live-Stream improvisierte Stücke nach Wunsch vor. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet.
Wie gut uns Musik tut, wissen viele aus eigener Erfahrung. Aber was genau bringt sie Krebspatienten, dem Spitalspersonal oder den Vortragenden selbst? Das soll nun eine wissenschaftliche Kooperation der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) mit der Universitätsklinik für Radioonkologie an der MedUni Wien zum Vorschein bringen. Der Ablauf ist einfach, wenn auch in Coronazeiten anders als ursprünglich geplant: Klarinettistin und Musiktherapeutin Johanna Ritscher-Dickbauer, Fagottistin Maria Gstättner und Akkordeonspieler Stefan Heckel spielen vor Mikrofonen und Kameras in einem Konzertsaal der Musikuni. Das Publikum befindet sich im erwähnten Krankenhaus. Jeder Patient darf sich ein bis zwei Stücke nach Wahl wünschen und verfolgt dann die Musikdarbietung live über ein Tablet, das Laura Bezold (Musiktherapeutin in Ausbildung und Ansprechpartnerin vor Ort) von Krankenzimmer zu Krankenzimmer bringt.
„Ich möchte Vögel in einem Garten hören“
Das Besondere daran: „Die Krebspatienten geben den Musikern, abhängig von ihrer derzeitigen Stimmungslage, nur Stichwörter bzw. Assoziationen und keine Liedtitel vor. Beim ersten Projektdurchgang von 22. bis 25. Februar reichten die Vorschläge von ,einem Garten mit Vögeln‘ über ,etwas Ruhiges‘ und ,Urlaub‘ bis hin zu ,nur nichts Trauriges‘. Daraufhin beginnen die Musiker zu improvisieren, also neue Musikstücke zu erschaffen. Die Patienten konnten sich dadurch woanders hinträumen“, erzählt Projektleiter Univ.-Prof. DDr. Thomas Stegemann, Leiter des Instituts für Musiktherapie und des Wiener Zentrums für Musiktherapie-Forschung an der mdw, der zudem ausgebildeter Kinder- und Jugendpsychiater sowie studierter Gitarrist ist. „Der Ansatz entspricht zwar nicht der klassischen Musiktherapie - diese wäre noch stärker beziehungs- und prozessorientiert -, kommt ihr aber sehr nahe.“
Mithilfe der Musik können sich die Krebspatienten aus ihrem Krankenzimmer hinaus an andere Orte träumen und sich von ihrem Leiden ablenken. Wer Freude empfindet, unterdrückt damit auch automatisch seine Ängste.
Univ.-Prof. DDr. Thomas Stegemann, Leiter des Instituts für Musiktherapie und des Wiener Zentrums für Musiktherapie-Forschung an der mdw (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien)
Was sind die Ziele? „Die Krebspatienten sollen positive Ablenkung von ihrer Erkrankung erfahren. Die Musik - dabei wird auf Qualität großen Wert gelegt - soll ihnen guttun, entspannen, den Heilungsprozess anregen und Schmerzen lindern“, so der Projektleiter. In den Niederlanden, aus denen die Idee für das Projekt ursprünglich stammt, durften Musiker (noch vor Pandemiezeiten) im Spital auftreten. Die dortigen Forscher entdeckten, dass es zusätzlich zu den Auswirkungen auf die Betroffenen eine äußerst erfreuliche „Nebenwirkung“ gab: „Die Stationsmitarbeiter (Ärzte und Krankenpflegepersonal) konnten sich ebenso über positive Effekte freuen, z. B. hatte sich ihre Arbeitszufriedenheit verbessert“, berichtet Univ.-Prof. DDr. Stegemann.
„Persönlicher“ Kontakt über Tablet klappt
Gibt es schon Erkenntnisse von der ersten Projektwoche im Februar? „Ja, es hat alles besser funktioniert, als gedacht. Trotz technischer Barriere [Anm.: Übertragung über Tablet] funktionierte der ,persönliche‘ Kontakt. Die Betroffenen fühlten sich wertgeschätzt und waren fasziniert, wie gut das Trio improvisieren konnte.“ In dieselbe Kerbe schlägt auch Univ.-Prof. Dr. Joachim Widder, Leiter der Universitätsklinik für Radioonkologie am Wiener AKH: „Der Enthusiasmus bei Patienten, aber auch Klinikpersonal übertraf unsere Erwartungen. Die Visite nach der Projektwoche fühlte sich erstaunlich besser an.
Musik als edelste Form zwischenmenschlichen Austauschs könnte in der Krebsbehandlung eine wichtige Rolle spielen, für Patienten wie auch für das Gesundheitspersonal. Leider ist Musiktherapie in der Onkologie derzeit aber noch unterrepräsentiert.
Univ.-Prof. Dr. Joachim Widder, Leiter der Universitätsklinik für Radioonkologie und des Comprehensive Cancer Centers Vienna an der Medizinischen Universität Wien
Obwohl das Projekt coronabedingt virtuell stattfand, erwies es sich wegen der gerade schmerzlich nötigen Isolation der Patienten als sehr intensiver sozialer Austausch. Dies könnte der Beginn einer ausbaufähigen Dimension der Behandlung schwer krebskranker Menschen sein - Musiktherapie ist hier derzeit noch sehr unterrepräsentiert." Der nächste Projektdurchgang wird im Sommer in einer anderen musikalischen Besetzung stattfinden. Geplant ist, dass auch Studierende der Uni für Musik und darstellende Kunst Wien mitwirken dürfen. Die Evaluierung erfolgt dann im Jahr 2022.
Nähere Informationen: www.mdw.ac.at/promimic
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