Schauspielhaus Graz:

Scharfe Analyse oberflächlich inszeniert

Steiermark
12.05.2019 17:25

Bei Gerhard Hauptmann ist „Vor Sonnenaufgang“ noch ein bitteres Sozialdrama, in Ewald Palmetshofers Überarbeitung wird es zu einer scharfen gesellschaftspolitischen Analyse, der die Inszenierung von Bernd Mottl am Schauspielhaus aber viel an Pfeffer nimmt.

Palmetshofer zeichnet in seiner Fassung von „Vor Sonnenaufgang“ das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft nach, den Umstand, dass man heute kaum noch miteinander reden kann, wenn man gegensätzlicher Ansicht ist. Sein Aufhänger ist die Begegnung zweier einstiger Studienkollegen, die sich höchst unterschiedlich entwickelt haben. Der eine, Alfred, ist Journalist bei einer linken Wochenzeitung, hat höchste moralische Ansprüche, der andere, Thomas, ein gut situierter Geschäftsmann, bei der politischen Rechten aktiv.

Zwei Welten prallen aufeinander
Dieses Aufeinanderprallen zweier Welten erzeugt weitere Risse in der glatten Fassade von Thomas’ Familie, stellt aber auch die Unfähigkeit von Alfred bloß, den eigenen Ansprüchen nur annähernd gerecht zu werden. Kein Wunder also, dass der einzige Weg für alle in den Abgrund führt.

Spannende Charaktere, oberflächliche Inszenierung
Es ist eine spannende Vorlage, die Palmetshofer in der ihm eigenen abgehackten Sprachmelodie aus Satzfragmenten zur Verfügung stellt. Doch Regisseur Bernd Mottl bleibt weitgehend an der Oberfläche. Seine Figuren wirken distanziert, so wie die Möbel auf der Baustellenbühne von Friedrich Eggert in Plastik-Schutzfolie verpackt. Anni etwa, die es als zweite Ehefrau des Seniorchefs und Stiefmutter seiner Töchter allen recht machen will. Susanne Konstanze Weber zeichnet sie mit verzweifeltem Perfektionismus. Ihr aufs Abstellgleis verfrachteter Gatte ergibt sich derweil dem Suff, was Franz Xaver Zach den Abend über gekonnt zelebriert. Seine ältere Tochter Martha, die hochschwangere, ihren Launen nachgebende Ehefrau von Thomas, kann ebenfalls nicht aus ihrer verzweifelten Haut heraus. Ihr verleiht Sarah Sophia Meyer zynische Egozentrik. Einzig die jüngere Tochter Helene schafft es, Gefühle zum Ausdruck zu bringen, um daran natürlich auch zu scheitern, was Maximiliane Haß mit vibrierender Intensität zeigt.

Bleiben noch die Protagonisten: Alfred, der die Ursachen für das gesellschaftliche Auseinanderdriften wortreich erkundet und dem Mathias Lodd in diesen langatmigen Litaneien Tiefe zu geben versucht. Sowie Thomas, dessen beste Verteidigung der Angriff und das Lächerlichmachen ist, und der trotz der Power von Fredrik Jan Hofmann nicht greifbar wird. Die wenigen Spannungen zwischen ihnen - und auch dem entwurzelten, vereinsamten Landarzt (Clemens Maria Riegler), ein weiterer Studienkollege - sind in Mottls Inszenierung vorrangig homoerotischer Natur, ohne aber irgendwohin zu führen.

Ein so starker Text und ein so gutes Ensemble hätten einen mitreißenden Abend ergeben können. Hier allerdings wünscht man sich nicht selten einen starken Kaffee zum Durchhalten.

Infos zu dieser Produktion und Karten finden Sie hier.

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