Neue Liste entdeckt

BND-Affäre: Europäische Unternehmen ausgespäht

Web
22.05.2015 09:21
Die Affäre um die Zusammenarbeit des deutschen Bundesnachrichtendienstes und des US-Geheimdienstes National Security Agency zieht immer weitere Kreise: Nach Informationen von "Spiegel Online" wurden nun fast 460.000 neue NSA-Spähziele entdeckt – darunter zahlreiche europäische Unternehmen.

Bisher war bekannt, dass europäische Politiker sowie u.a. die Rüstungsunternehmen EADS und Eurocopter, aber auch Österreich - etwa Behörden sowie Leitungen der Telekom Austria - ausgespäht worden sein dürften. Die neuen Dateien, die auf BND-Rechnern in der Zentrale im oberbayerischen Pullach entdeckt wurden, zeigen dem Bericht zufolge aber, dass das Interesse des US-Geheimdienstes an Wirtschaftsunternehmen weitaus größer war als bisher bekannt.

Die Dateien beziehen sich auf die Jahre 2005 bis 2008. Die Liste umfasst 459.000 Suchbegriffe, sogenannte Selektoren, mit denen laut "Spiegel" unter anderem europäische Institutionen, hochrangige politische Persönlichkeiten und Firmen ausspioniert werden sollten. Details sind zwar noch nicht bekannt, doch wurden damit den Vereinigten Staaten möglicherweise deutliche Vorteile gegenüber vielen europäischen Top-Unternehmen verschafft. Die Dimension des wirtschaftlichen Schadens ist jedenfalls gewaltig, das Ausmaß des Vertrauensbruchs sogar noch größer.

Horchposten in Bad Aibling doch kein Einzelfall
Weiters heißt es, der Fund entkräfte damit auch die Theorie vom Eigenleben des BND-Horchpostens in Bad Aibling, der demnach an der Zentrale vorbei mit den Amerikanern kooperiert hätte, da die neuen Dateien aus dem Referat "Rechtsangelegenheiten und G10" (TAG) in der BND-Zentrale in Pullach stammten. Diese Abteilung sei damit beauftragt gewesen, deutsche Staatsbürger vor gesetzeswidrigen Spähangriffen zu bewahren, schreibt "Spiegel Online". Ausgerechnet diese Abteilung habe also seit Jahren gewusst, dass die USA den vereinbarten Schutz europäischer Bürger ignorierten.

Dem Bericht zufolge wirft der Fund mehrere Fragen auf, etwa ob ihn die Rechtsabteilung weitergemeldet hat und ob die Dateien in der BND-Spitze schon viel länger bekannt gewesen seien als bisher angenommen.

BND-Chef räumt "organisatorische Mängel" ein
Der Chef des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, hat am Donnerstag Versäumnisse seines Hauses bei der Kooperation mit der NSA eingeräumt. Die von der NSA übermittelten Suchkriterien für die abgefangenen Daten der Abhörstation in Bad Aibling seien nicht ausreichend gecheckt worden, sagte Schindler im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages. "Die Überprüfung der Selektoren war von Beginn an unvollständig." Es gebe "organisatorische Mängel", die abgestellt werden müssten.

Der BND überwacht von Bad Aibling aus die internationale Satellitenkommunikation aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia und lässt die NSA an den abgefischten Daten teilhaben. Die NSA übermittelt dazu seit 2005 Suchbegriffe wie Handynummern oder E-Mail-Adressen, um die BND-Datensammlung danach durchsuchen zu lassen. Der US-Geheimdienst nutzte die Kooperation aber über Jahre auch dazu, um an Daten europäischer Ziele heranzukommen.

Angeblich erst im März von Spähversuchen erfahren
Dies fiel innerhalb des BND mehrfach auf, unter anderem bei einer Prüfung im August 2013, bei der Tausende problematische Selektoren im aktiven Suchsystem gefunden wurden. Schindler erfuhr von alldem nach eigenen Angaben aber erst im vergangenen März. Auch der zuständige BND-Abteilungsleiter Hartmut Pauland erklärte im Ausschuss, er habe bis vor wenigen Wochen nichts von den problematischen Spähversuchen der Amerikaner gewusst.

Schindler sagte, dass die Probleme nicht nach oben gemeldet wurden, habe möglicherweise mit den Strukturen beim BND zu tun - und der schwierigen Kommunikation zwischen Zentrale und Außenstellen. Möglicherweise hätten die Mitarbeiter auch den Eindruck gehabt, dass eine Meldung an die Spitze nichts bringe oder dass sie die Lage wegen der technischen Abhängigkeit von der NSA nicht eskalieren lassen sollten. Ihm selbst habe schlicht die Fantasie gefehlt, sich vorzustellen, dass die Amerikaner für Daten aus Krisengebieten wie Somalia oder Afghanistan Selektoren mit EU-Bezug übermitteln könnten.

"Wir sind abhängig von der NSA - und nicht umgekehrt"
Die Zusammenarbeit mit der NSA verteidigte der BND-Chef vehement: Die Kooperation mit der NSA sei "unverzichtbar". Der US-Geheimdienst gefährde nicht die Sicherheit Deutschlands, sondern helfe, diese zu schützen. "Wir sind abhängig von der NSA - und nicht umgekehrt." Schindler mahnte: "Ohne internationale Zusammenarbeit könnten wir unseren Auftrag nicht erfüllen." Die Kooperation drohe derzeit aber nachhaltig Schaden zu nehmen.

Schindler betonte, mögliche Ausspähungen europäischer Ziele durch die NSA wären zwar ein Verstoß gegen eine gemeinsame Vereinbarung beider Geheimdienste, nicht aber ein Verstoß gegen deutsches Gesetz. Es handele sich dabei allein um eine Frage der politischen Bewertung. Er erklärte auch, der BND brauche klare rechtliche Vorgaben, was erlaubt sei und was nicht.

Auch Mikl-Leitner wegen BND-Affäre unter Druck
Auch Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist wegen der BND-Affäre und dem Verdacht, dass auch österreichische Daten abgefischt worden sein könnten, unter Druck. Die Ermittlungen liefen auf "Hochtouren", man sei in engem Kontakt mit den deutschen Ermittlern, sagte sie am Mittwoch in der Aktuellen Stunde des Nationalrats.

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