Sozialsystem am Ende?

So locker wie jetzt Wohlstand nicht mehr leistbar

Neues zur Lebenserwartung: Die Zahl der über 65-Jährigen wird sich bis 2050 EU-weit verdoppeln – eine Herausforderung für unsere Sozialsysteme. Aber wäre es wirklich so tragisch, bis zum 70. Lebensjahr zu arbeiten?

Experten schlagen Alarm, unser Sozialsystem, eines der besten der Welt, fährt trotz hoher Steuerlast gegen die Wand. Politiker tun sich schwer, die Misere ihren Wählern zu erklären.

Dass die Gesundheitsversorgung im Argen liegt, spüren Beitragszahler längst am eigenen Leib. Stichwort Zweiklassenmedizin. Aber auch die Sorge bei den jetzt Jungen um die Pensionen ist groß. Die Industriellen-Forderung nach längerem Arbeiten sorgt für einen Aufschrei.

Auch die Sorge bei den jetzt Jungen um die Pensionen ist groß.
Auch die Sorge bei den jetzt Jungen um die Pensionen ist groß.(Bild: www.poepleimages.com stock.adobe)

Fakt ist: Dank medizinischen Fortschritts wird Europas Bevölkerung immer älter. So ist die Zahl der über 65-Jährigen von 16,4 Prozent im Jahr 2004 auf 21,6 Prozent im Vorjahr gestiegen. Das sind etwa 65 Millionen Senioren. Diese Zahl soll sich bis 2050 verdoppeln. In Österreich leben derzeit 1,8 Millionen Frauen und Männer, die bereits ihren 65er gefeiert haben. Das hat die UniCredit, Mutterkonzern der Bank Austria, in einem Index zur Langlebigkeit veröffentlicht. Das Fazit: Nicht nur Staat und Gesellschaft, auch die Wirtschaft muss sich anpassen. Zukunftsvorsorge wird immer wichtiger.

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Staat, Gesellschaft und Wirtschaft müssen sich mit diesem Thema befassen. Mit bis zu 30 Jahren, die in Zukunft potenziell im Ruhestand und in der Freizeit verbracht werden, verändert sich die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben gestalten.

Ivan Vlaho, Bank-Austria-Chef

Bei gesunden Jahren „schwächeln“ wir
Eine enorme Herausforderung für Wohnen, Bildung, Beschäftigung, Finanzplanung und Versicherungen.

Unser Durchschnittsalter liegt derzeit bei 43, die Lebenserwartung bei 80,99 Jahren. Mittelfeld unter den 30 untersuchten Nationen in Europa und den USA. Das Ranking führt Luxemburg mit 82,78 Jahren an, gefolgt von Spanien und Schweden. Schlusslicht in Europa sind die Bulgaren. Sie sterben um neun Jahre früher als wir. Langes Leben bedeutet nicht unbedingt, gesund zu sein. Vergleicht man die Lebenserwartung mit den tatsächlichen gesunden Jahren, die uns vergönnt sind, klafft eine Lücke. Denn gesund ist man bei uns im Schnitt nur 69,79 Jahre lang. Deutsche, Luxemburger und Schweden schwächeln erst nach dem 71. Geburtstag.

Bis 2050 wird die Lebenserwartung in den 27 EU-Staaten um weitere 4,5 Jahre zulegen, auf 86 Jahre. Die gesunden Jahre allerdings nur um 2,6 Jahre, also bis 67,4. Im Langlebigkeitsindex der Unicredit belegen wir übrigens Platz 9. Führend: (s. Grafik) die Skandinavier.

Die Ansprüche der Senioren als wichtige Käufergruppe für Handel & Co. haben sich auch schon längst geändert. Aber: Besonders Frauen sind durch Kindererziehung und Teilzeitvarianten armutsgefährdet. Derzeit erhalten sie im Schnitt monatlich eine Pension von 1409 € brutto (14-mal/Jahr), Männer kommen auf ca. 2374 Euro.

(Bild: Diverse Fotografen honorarfrei)
Interview
Wäre es wirklich so tragisch, bis zum 70. Lebensjahr zu arbeiten?

Vier Fragen an den Zukunftsforscher Tristan Horx, die Antworten auf die Welt von morgen geben – und was KI bringt.

„Krone“: Herr Horx, wie können neue Technologien und künstliche Intelligenz unsere guten Lebensjahre verlängern?
Tristan Horx: Es gibt eine Vielzahl an Konsum- und Verhaltensformen, die unsere guten Lebensjahre verkürzen – nur wissen wir es nicht. Genau hier kann KI helfen, Korrelationen und Kausalitäten zu finden, die wir einfach noch nicht sehen. In den 30er-Jahren glaubten wir auch nicht, dass Rauchen ungesund ist oder dass Blei gefährlich sein könnte. Welche neuen Substanzen schädlich sind, wird schneller herauszufinden sein. Weiters wird KI einen leichteren Zugang zu individualisierter Medizin schaffen, jeder Körper ist anders.

Forscher Tristan Horx erklärt uns, warum die technischen Helferlein in unserem letzten ...
Forscher Tristan Horx erklärt uns, warum die technischen Helferlein in unserem letzten Lebensdrittel Pfleger doch nicht vollständig ersetzen.(Bild: Horx.com)

Wie sieht die Zukunft der Pflege aus? Wird der Roboter tatsächlich der Begleiter der heutigen Teenager sein?
Den Pflegemangel ausschließlich mit Robotern zu lösen, ist eine Illusion, ein linearer Zukunftsfehler. Sie können durchaus helfen, bei hohen Redundanzaufgaben, wo immer das Gleiche gemacht wird. Uns daran erinnern, Medizin zu nehmen, waschen, schwere Menschen heben – all die mühsamen Aufgaben in dem knochenharten Berufsfeld. Allerdings ist die Leistung von Pflegerinnen vor allem eine soziale. Menschen wollen von Menschen gepflegt werden. Denn Einsamkeit führt zu kurzen Lebenserwartungen, das zeigen alle Studien. Wenn die Roboter bessere Roboter werden, müssen die Menschen humanere Menschen werden.

Der Pflegeroboter als täglicher Begleiter im Alter.
Der Pflegeroboter als täglicher Begleiter im Alter.(Bild: APA/Haus der Barmherzigkeit/APA-Fotoservice/Pauty)

Werden wir länger arbeiten, um unser Sozialsystem zu finanzieren, und wie können diese Jobmodelle aussehen?
Das werden wir. Aber das ist nicht so dramatisch, wie es klingt. Immer weniger arbeiten in Berufen, bei denen wir uns körperlich zu Tode schuften, und mit 65 am Ende sind. Zusätzlich ist davon auszugehen, dass wir durch die zunehmende Automatisierung weniger Arbeitsstunden pro Woche leisten müssen. Wäre es wirklich so tragisch, bis zum 70. Lebensjahr zu arbeiten, wenn wir nur 24 Stunden die Woche arbeiten müssten?

Welche Herausforderungen kommen auf eine „überalterte“ Gesellschaft zu? Wie kann das Problem gelöst werden?
Unser System basiert darauf, dass die jungen, produktiven Arbeiterinnen die Rentner finanzieren. Man muss kein Mathematiker sein, um zu sehen, dass sich das bei einer Geburtenquote von 1,4 Kindern pro Frau nicht ausgehen wird. Uns gehen die jungen Leute aus, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Zum Glück gibt es Hebel, die die Politik nutzen kann. Ganz klar ist: Durch Automatisierung und KI werden immer mehr Arbeiten nicht von Menschen gemacht werden, das reduziert den demografischen Druck. Funktionierende Ganztagsbetreuung für Kinder würde mehr heimische Frauen in Vollzeit in den Arbeitsmarkt bringen. Das einfachste Mittel wäre Migration – mit dem Vorschlag wünsche ich politisch viel Glück. Oder man schafft es doch, die Geburtenquote hochzuschrauben.

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