Nischendasein

Diese Branchen sterben vor unseren Augen aus

Wien
23.05.2025 06:00

Auf- und niedergehende Branchen gibt es immer wieder. Zumeist ist das der technologischen oder gesellschaftlichen Weiterentwicklung geschuldet. Doch kleine gallische Dörfer halten den Umbrüchen stand. Warum? Die „Krone“ hat sich drei aussterbende Branchen genau angesehen und mit den wenigen Betreibern gesprochen, die ihrer Zunft treu geblieben sind.

Die Gesellschaft ändert sich, der technische Fortschritt wird immer rasanter. Das führt zu Veränderungen, die manche Branchen stärker als andere spüren.
Nehmen wir zum Beispiel Videotheken. In einer Zeit vor Netflix und YouTube wich man auf diese Geschäfte aus, um sich die teuren DVDs oder das lineare Fernsehen zu sparen. Im Jahr 2005 gab es in Wien noch 137, aktuell sind es sieben, die meisten davon sind jedoch der Erotik gewidmet.

Der Kult um die Bräune
Nicht viel anders erging es den Solarien. Mitte der 00er-Jahre gehörte die falsche Bräune vor allem bei der Jugend zum guten Ton – Stichwort: „Krocher“. Von 236 im Jahr 2005 sind aktuell 88 übrig. Das Rauchverbot wiederum ließ die wie Schwammerl aus dem Boden schießenden Shishabars mit wenigen Ausnahmen aussterben.
Aber: Nur weil Branchen nicht mehr groß sind, bedeutet es nicht, dass es sie gar nicht mehr gibt. Immerhin sind auch noch Plattenläden und Hufschmieden zu finden. 

Paul Pawlek
Wiens letzte Videotheken

In einem kleinen Geschäfts- lokal auf der Favoritenstraße leuchtet noch das schwache Licht einer untergegangenen Ära. Zwischen Blu-rays, DVD-Hüllen und digitalen Erinnerungsstücken sitzt Paul Pawlek (68), mit einem Espresso in der Hand – und der stoischen Ruhe eines Mannes, der den Sturm überlebt hat. „Ich mach das nicht fürs Geld. Ich mach das, weil ich’s gern tu“, sagt er – und das glaubt man ihm sofort. Früher sei hier „die Hölle los“ gewesen. 2500 Kunden am Tag, geöffnet von 9 bis 23 Uhr, sieben Tage die Woche. Heute gleicht die Videothek mehr einem Wohnzimmer mit Kaffeeplausch. Die Regale sind geblieben, die Laufkundschaft nicht. „Meine Kunden sind jetzt Freunde“, sagt Pawlek.

Paul Pawlek vor der Bestseller-Abteilung
Paul Pawlek vor der Bestseller-Abteilung(Bild: Eva Manhart)

Digitalisierung nach wie vor gefragt
Einige reisen aus anderen Bundesländern an – wegen der Klassiker, der Raritäten, der persönlichen Beratung. Und wegen der Nische: Hochzeitsvideos digitalisieren, Dias retten, Erinnerungen konservieren. Die Pandemie hat das Herzstück seines Geschäfts gekappt: Die Älteren, die lieber stöbern als streamen, blieben zu Hause – und Netflix zog ein. „Aber ich bin nicht wehmütig“, so Pawlek. „Das ist halt der Lauf der Dinge.“ In der Videothek hängen Bilder von Stallone, Schwarzenegger und Gerard Butler. „Gesetz der Rache – mein Lieblingsfilm“, sagt Pawlek. Ein Film über einen, der nicht locker lässt. Zwei Jahre, sagt er, wolle er noch weitermachen. „Ich hab mein ganzes Leben lang getan, was mir getaugt hat. Das ist mehr, als viele sagen können.“

Hunnar Mohammad
Shishabar-Betreiber

Im Dezember 2012 eröffnete Hunnar Mohammad seine erste Shishabar im 16. Bezirk. „Sie hatte nur 50 Quadratmeter, aber hat sich sofort etabliert“, erzählt er. Also entschloss er sich, in den 4. Bezirk umzusiedeln und die Lokalität zu vergrößern. Im Jahr 2018 erfüllte sich Mohammad schließlich seinen Traum und eröffnete seine Shishabar Deuces in der Krugerstraße 6 in der City. Mithilfe eines Kredits und viel Liebe wurde das Lokal umgebaut und schnell ein Erfolg. Doch 2019 kam das Rauchverbot in Innenräumen. „Am Anfang boten wir die Shishas im Gastgarten an. Zuerst gab es einen Umsatzrückgang von 70 Prozent, aber mit der Zeit hat es schließlich funktioniert“, schildert Mohammad. Doch dann musste plötzlich eine Sondergenehmigung für Shishas auch im Gastgarten beantragt werden. Zwei Jahre hat es gedauert, bis diese bewilligt wurde.

Seit über 10 Jahren betreibt Mohammad Shishabars.
Seit über 10 Jahren betreibt Mohammad Shishabars.(Bild: Deuces)

Ein weiteres Standbein musste her
„Im Moment dürfen wir vier Wasserpfeifen gleichzeitig im Schanigarten anbieten“, erklärt der Wiener. Das ist natürlich nicht ausreichend, daher setzt man seit einiger Zeit auch auf Barsnacks aus der orientalischen Küche. Mohammad: „Wir haben durchgebissen, aber es ist sehr hart.“ In der Branche hätten viele schon das Handtuch geworfen, die wenigen, die noch da seien, hätten Existenzängste. „Wieso gibt es in Österreich keine Sondergenehmigung wie im Rest der Welt“, fragt er. Und: „Shisharauchen bereitet doch so vielen Menschen Freude und Entspannung.“ Mohammad hofft, dass die Shisha aus dem Rauchergesetz genommen wird.

Hans Arsenovic
Platzhirsch bei Solarien

Wenn Hans Arsenovic über seine Solariumbetriebe spricht, leuchten seine Augen wie ein Hochleistungsgerät auf höchster Stufe. 13 Filialen führt er noch – von einst 50. Die Branche sei geschrumpft, sagt er. Aber er habe nie aufgehört, an die Sonne zu glauben. Angefangen hat alles neben seiner Bankkarriere – ein Studio, „aus Neugier“. Schnell wurde daraus ein Imperium, das in den 1990ern brummte wie ein Röhrenlüfter. Es war die Ära der Clubbings, Sonnencremes und Solarium als Statussymbol. Dann kam der Einschnitt: Hautkrebsdebatten, WHO-Warnungen, das Verbot für Unter-18- Jährige. „Die Pharmalobby hat uns zerschossen“, sagt Arsenovic – und klingt dabei nicht verbittert, sondern hellwach. Heute sind seine Studios Hightech-Oasen: Gratisgetränke, Beratung nach Hauttyp, Geräte mit medizinischer Lichttechnologie.

Hans Arsenovic glaubt an die Kraft des Lichts
Hans Arsenovic glaubt an die Kraft des Lichts(Bild: Jöchl Martin)

„Wir verkaufen ein positives Lebensgefühl“
„Wir verkaufen keine Bräune mehr, wir verkaufen Wohlbefinden“, sagt er. Licht gegen Winterdepression, gegen Vitamin-D-Mangel, gegen blasse Büroseelen. Und trotzdem: Die Energiekrise habe wehgetan. Aber Arsenovic hat aufgerüstet, modernisiert, gespart, investiert. „Heute sind wir schuldenfrei. Die goldenen Zeiten sind vorbei.“ Er denkt schnell, handelt schneller. Kollagen-Lampen, Bleaching, Kosmetikstudios – was funktioniert, wird getestet, skaliert, verworfen oder multipliziert. Arsenovic ist Unternehmer im besten Wortsinn: einer, der sich nicht wegduckt, sondern umbaut. Sein Geheimrezept? „Ich war nie ein Sonnenanbeter – aber ein Lichtdenker.“

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