In seiner Kolumne fragt sich Autor Robert Schneider, ob die Aufregung um die Aussagen von Papst Franziskus zum Ukrainekrieg gerechtfertigt war oder nicht.
Da braucht man schon gute Nerven: Der Kleine wird vom Großen auf dem Schulhof verprügelt, die anderen stehen dabei, tun nichts. Dann kommt der Lehrer und sagt zum Kleinen: „Schluss jetzt! Gib dem Großen die Hand!“
Genau so kamen die Äußerungen von Papst Franziskus an, als er unlängst in einem Interview für das Schweizer Fernsehen die Ukraine zu Friedensverhandlungen mit Russland aufgerufen hat. „Der Stärkere ist derjenige, der die Situation sieht, der an die Menschen denkt, der den Mut hat, die weiße Fahne zu hissen, zu verhandeln“, sagte er wörtlich.
Das Entsetzen und die Empörung auf dem westlichen Schulhof waren gewaltig. „Der Große hat den Streit angefangen, nicht der Kleine! Jetzt soll der Kleine um Frieden bitten?“ So äußerten sich sinngemäß die umstehenden Mitschüler, Polens Außenminister Radoslaw Sikorski, Annalena Baerbock oder die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Ein Vatikansprecher mit schlotternden Beinen bemühte sich daraufhin um Schadensbegrenzung und eierte rum, um die peinlichen Äußerungen des Papstes einzuordnen.
Franziskus ist das überhaupt nicht peinlich. Er steht dazu. Wie er hat auch der hundertjährige, im vergangenen Jahr verstorbene Henry Kissinger argumentiert. Ebenfalls zum Entsetzen der Umstehenden. Sind diese alten Männer völlig senil geworden?
Ich habe da eine dumpfe Ahnung. Diese Männer werden in die Geschichtsbücher eingehen, weil sie genau das voraussagten, was sich ohnehin längst abzeichnet. Ich gebrauche wieder das Bild vom Schulhof: Alle stehen rum und entsetzen sich über so viel Ungerechtigkeit des Großen. Wie gemein, wie furchtbar! Aber dann klingelt die Pausenglocke, und der Unterricht geht weiter. Genau so wird es kommen.
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