Angriff bei Rammstein

ORF-Redakteur: „Brauchten zehn Polizisten“

Wien
27.07.2023 17:06

Ein Team des ORF rund um Kulturredakteur Didi Petschl wurde beim ersten Rammstein-Konzert Mittwochabend beim Wiener Ernst-Happel-Stadion tätlich angegriffen. Der Journalist erzählt der „Krone“ im Interview, was sich an diesem Abend ereignete.

„Krone“: Herr Petschl, Sie und Ihr Kamerateam wurden Mittwochabend am Ende des Rammstein-Konzerts attackiert. Die Rede war von mehreren Attacken. Was genau ist passiert?
Didi Petschl: Einige Menschen, die gegen Ende des Konzerts aus dem Stadion herauskamen, waren bereits relativ aggressiv. Es wurde „Lügenpresse“ und dergleichen skandiert. Vor der Zugabe warteten wir darauf, die Fans draußen zu interviewen. Eine augenscheinlich betrunkene Frau torkelte vor uns herum und wurde ausfällig, als sie die Kamera bemerkte. Sie fragte uns, ob wir spinnen und dass wir sie nicht filmen sollen. Wir haben versucht, ihr ruhig zu erklären, dass wir nur auf die Fans warten. Sie glaubte uns nicht, wurde leicht handgreiflich und griff auf die Linse. Als wir sie baten, Ruhe zu bewahren, wurde sie richtig aggressiv. Sie sprang von hinten auf uns zu, schlug gegen die Kamera und versuchte sie zu Boden zu werfen. Die Kamerafrau hatte die Kamera in der Schlaufe, weshalb ihr Daumen überdehnt wurde. Sie erstattete Anzeige wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung, weil die Kamera dabei leicht beschädigt wurde.

In dem Moment fuhr zum Glück ein Polizeiwagen vorbei und ich rief nach der Polizei. Sie kam dann zu uns und nahm unsere Daten und jene der Dame auf. Nun wird alles seinen gerichtlichen Weg gehen. Trotz des Schocks haben wir dann unsere Interviews mit dem Publikum gemacht. Als wir mit den Interviews fertig waren, waren sowohl Polizei und Dame nicht mehr da. Wir haben gestern aber nachgefragt und alles wurde polizeilich aufgenommen und geht seinen Weg. Nach circa 20 Minuten stand ein Live-Einstieg für die „ZiB 3“ an und während ich mir meine Ohrstöpsel richtete, sprang uns ein Typ ins Bild und schrie „Scheiß ORF. Ihr seid alle Juden. Ihr seid’s alle Gfraster“ und zeigte mir die Faust. Ich habe ihn ignoriert und dann sprang er auf mich zu und hat mich ziemlich heftig gestoßen. Ich bin gerade nicht zu Fall gekommen. Das haben zum Glück Securitys vom Veranstalter gesehen, die ihn dann von uns vertrieben haben. Meine Kamerafrau lief los, um Polizisten zu holen und meinte, für den Live-Einstieg bräuchten wir polizeiliche Unterstützung. Wir mussten ihn dann tatsächlich mit etwa zehn Polizisten um uns herum durchführen.

Vor dem Konzert, als auch die Gegendemonstration stattfand, war die Grundstimmung allgemein nicht so aggressiv?
Vorm Konzert gab es einzelne Geplänkel. Ein paar Leute skandierten „Lügenpresse“, aber ich war überrascht, wie friedlich alles ablief. Auch das Aufeinandertreffen zwischen den Demonstrierenden und den Rammstein-Fans verlief sehr friedlich. Es gab einzelne Wortgefechte, aber nichts darüber hinaus. Wir waren froh, dass alles so glimpflich verlief, aber gegen Ende des Konzertes scheint die Stimmung gekippt zu sein, wobei ich schon sagen muss, dass das natürlich einzelne betrunkene Menschen waren und sie nicht stellvertretend für die 55.000 Besucher stehen. Alle anderen wollten ein Konzert, das unter sehr widrigen Umständen abgehalten wurde, genießen.

„Ihr seid alle Juden“ ist in diesem Kontext natürlich ein antisemitischer Angriff. Haben Sie gegen den Täter Anzeige erstattet?
Der Mann konnte flüchten. Er wurde von den Veranstalter-Securitys zur Seite bugsiert, während er auf mich losgehen wollte. Als dann die Polizei kam, hatte er bereits das Weite gesucht. Die Kamera lief aber die ganze Zeit weiter, also haben wir den gesamten Vorfall mit dem Herrn aufgezeichnet. Wir werden jetzt schauen, ob er sich identifizieren lässt und sind diesbezüglich mit der Polizei bereits in Kontakt.

War bei Ihnen auch die Überlegung da, den Live-Einstieg nach dem tätlichen Angriff gar nicht mehr durchzuführen und aus Sicherheitsgründen abzubrechen?
Die Überlegung war nicht da, weil es mir gerade unter solchen Umständen als meine journalistische Pflicht erscheint, zu berichten. Persönliche Befindlichkeiten schalte ich dabei aus. Erst nach der Sendung denke ich daran, wie es mir mit der Situation ging, aber das stand anfangs nicht zur Debatte. Das muss berichtet werden.

Im Video sehen Sie Eindrücke vom umstrittenen Konzert in Wien:

Sie berichten als Musikjournalist der Kulturredaktion im ORF seit mittlerweile 16 Jahren von Großveranstaltungen. Haben Sie so etwas oder Ähnliches schon jemals erlebt?
In dieser Form war ein solcher Angriff das erste und hoffentlich letzte Mal der Fall. Wir sind es inzwischen leider gewöhnt, dass wir von Leuten beschimpft werden, aber tätliche Angriffe habe ich in meiner Berufslaufbahn beim ORF zum Glück noch nie erlebt.

Es ist auch nicht in Ordnung, sich beschimpfen lassen zu müssen. Haben die Angriffe auf die Pressemenschen und die Pressefreiheit in den letzten Jahren nicht allgemein zugenommen?
Ich habe das Gefühl, dass sich das mit Corona massiv verschärft hat. Der Begriff „Lügenpresse“ ist seit Corona einer, den wir recht oft hören.

Sie haben abseits des Angriffs auf Sie und Ihr Team auch von mehreren Schlägereien beim Stadion berichtet. Was ist da genau passiert?
Das war vor dem Fall, wo der Mann mich attackierte. Ich holte gerade Mineralwasser, während die Kamerafrau beobachtete, wie jemand aus dem Stadion rauslief und beim Laufen einer Frau einen Faustschlag versetzte, sodass sie zu Boden fiel. Der Täter lief weiter und ein Begleiter der Frau lief ihm nach - ich weiß nicht, was danach passiert ist. Die Frau wurde jedenfalls von der Rettung versorgt. Insgesamt herrschte schon eine aggressive, aufgeheizte Stimmung.

Was hat Sie an dem Angriff auf Sie und Ihre Kollegin am meisten schockiert? Die fehlende Hemmschwelle oder der Antisemitismus?
Was mich erschreckt hat, war die Aggressionsbereitschaft. Nicht gegen uns als Personen, sondern gegen uns als Journalisten. Das hat mich wirklich schockiert und lässt mich fragen, ob man bei solchen Großveranstaltungen zukünftig nicht andenken muss, zum Kamerateam einen Geleitschutz zu organisieren. Ich weiß nicht, ob wir solche Großevents künftig ohne Securitys besuchen können.

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In den 16 Jahren meiner Berufsausübung war das das einzige Mal, dass mir so etwas passiert ist.

(Bild: ORF (Screenshot))

Didi Petschl

Kann man diese Großveranstaltungen vermischen? Ist ein Rammstein-Konzert für Journalisten unsicherer als eines von Harry Styles?
Ich würde mich hüten, das in Zusammenhang zu bringen mit der jeweiligen Darbietung, die im Stadion gerade passiert. Das hätte genauso beim Donauinselfest oder nach jedem x-beliebigen Fußballspiel passieren können. Ich glaube nicht, dass die Rammstein-Fans insbesondere gewaltbereit und gefährlich sind. Immer da, wo sehr viele Menschen sind, gibt es eine kleine Handvoll von aggressiven Leuten, die sich nicht unter Kontrolle haben. Dass unsere Gesellschaft insgesamt so gespalten ist, dass sich Aggressionen viel schneller bilden und entladen, das ist ein anderes Thema, über das Soziologen, Politiker und Psychologen diskutieren sollten.

Ziehen Sie für sich und Ihr Team künftig Konsequenzen aus diesen Erfahrungen? Eben den Geleitschutz oder anderes?
Ich halte es mit einem Zitat, das mir Marco Wanda einmal bei einem Interview gesagt hat: „Es gilt unbedingt keine Angst vor der Masse zu haben. Es gilt unbedingt, dass Menschen nicht in die Situation gebracht werden, wo sie sich automatisch voreinander fürchten.“ Ich werde mir meine Liebe für Konzerte und Großveranstaltungen von diesen Einzelnen nicht verderben lassen. Und ich sage nochmal: In den 16 Jahren meiner Berufsausübung war das das einzige Mal, dass mir so etwas passiert ist. Ich werde aber tatsächlich in manchen Fällen darüber nachdenken, ob ich ohne Geleitschutz zu diversen Events gehe.

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