Taxi-Geschichten

Flucht vorm Militär: Lieber das Taxi als die Waffe

Wien
01.05.2022 19:00

Wir fahren mit und hören zu. „Krone“-Reporter Robert Fröwein setzt sich auf die Taxi- oder Uber-Rückbank und spricht mit den Fahrern über ihre Erlebnisse, ihre Sorgen, ihre Ängste. Menschliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Wer sich hierzulande beim Dienst an der Waffe nicht wohlfühlt, der hat die Option Zivildienst zu machen. In Ägypten gibt es dahingehend keine Möglichkeit. Das regelt die dortige Verfassung unmissverständlich: Die Verteidigung des Heimatlandes und seines Territoriums ist eine heilige Pflicht. Die Wehrpflicht ist obligatorisch. „Darauf hatte ich wirklich keine Lust. Dort verlierst du viel zu viel Lebenszeit.“ Mein Fahrer Aly erzählt mir seine Geschichte, während wir an einem Dienstagnachmittag über die verkehrsberuhigte Ringstraße fahren. Aly ist Ende 40 und hat sich dem Wehrdienst in Ägypten verweigert. Nicht aber, weil er Waffen verabscheut oder Pazifist ist, sondern weil er schlichtweg keine Lust hat, eine so lange Zeit seines Lebens dafür zu opfern.

Das Militärsystem im afrikanischen Staat ist gnadenlos und die Wehrdienstverpflichtung unterscheidet sich je nach Bildungsgrad. 36 Monate Militärdienst ab Vollendung des 18. Lebensjahres sind üblich. Bei Maturanten verringert sich die Dauer auf 24 Monate, Hochschulabsolventen müssen nur zwölf Monate für ihr Land dienen. Für Aly immer noch zu viel. „Ich habe in Ägypten Geschichte studiert und wollte Lehrer werden. Ich habe mich immer für die Vergangenheit meines Landes und der Welt im Allgemeinen interessiert, habe das Studium dann aber länger schleifen lassen, um mich dem Wehrdienst zu entziehen.“ Aus einer Profession als Lehrer wurde nichts, weil Aly quasi im letzten Moment die Reißleine zog.

„Ich war mit dem Studium schon sehr weit, doch ein paar Jahre davor zog mein Cousin nach Wien und wurde dort Taxifahrer. Ich hatte viel Kontakt mit ihm und er hat mir von der Stadt vorgeschwärmt. Irgendwann wurde ich dann schwach und wollte auch aus der Heimat weg.“ Schon Ende der 90er-Jahre zieht sich seine Ausbildung nur mehr zäh dahin, 2000 folgt schlussendlich der Umzug nach Österreich. Bereut hat er den Schritt noch keine Sekunde lang. „Natürlich wäre es schön, als Geschichtslehrer zu arbeiten. Das ist mir hier nicht so einfach möglich. Aber mein Cousin hat mich schnell in das Taxiwesen eingegliedert und jetzt fahre ich seit etwa 20 Jahren selbstständig. Dabei habe ich schon viel von der Geschichte Wiens gelernt und kann auch Geschichten erzählen“, lacht er.

Doch nicht nur der drohende Militärdienst hat Aly in die Alpenrepublik gebracht, auch das dürftige Lohnniveau in seiner alten Heimat bereitete ihm früh Sorgen. „Natürlich kannst du das mit einem Wohlfahrtsstaat wie Österreich nicht eins zu eins vergleichen“, sagt er, „aber die Ägyptischen Pfund sind dort nichts wert. Hier in Wien wird alles viel teurer und ich werde im Taxi nicht reich, aber ich kann mir die Miete und das Essen leisten und sogar noch Urlaub machen. Wenn du in Ägypten als Lehrer arbeitest, dann kannst du mit deinem vollen Verdienst gerade einmal die Miete abzahlen. Wenn überhaupt. Willst du dir etwas zusätzlich leisten oder woanders hinfahren, kommst du um einen zweiten Job nicht herum.“

Österreich im Allgemeinen und Wien im Speziellen sieht Aly schon längst als seine Heimat an. „Seit ich in dieses Land gekommen bin, fühle ich mich wohl.“ Die Starthilfe durch seinen Cousin war mitentscheidend für einen schnellen Wohlfühlprozess, doch auch nach der Abnabelung von seiner Verwandtschaft fand er schnell selbst in die Spur. „Die Menschen waren immer hilfsbereit. Sie haben mir mit der deutschen Sprache geholfen, beim Einkaufen und anderen alltäglichen Wegen. Natürlich gibt es auch weniger positive Beispiele, aber die sind verschwindend gering.“ Ägypten trauert Aly längst nicht mehr nach, mit seiner Familie ist er in Wien bestens integriert. „Eine Rückkehr schließe ich aus. Ich weiß ja, wo ich daheim bin.“

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